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​„Die verdammte Pflicht der Wurstverkäuferin“: Österreichische Schimpfkultur hat einen neuen Helden

Zielpunkt-Stammkunde und Heute-Leser Hans ist der neue Stern am Wutbürger-Himmel.

Nicht erst seit es die Seite Austrian Problems gibt, wissen wir, dass in Österreich vieles sehr sehr schnell zum Streitthema werden kann. Täglich pochen die Österreicher auf ihre Grundrechte und alles, was darüber hinaus geht: Erwachsene Menschen prügeln sich fast, weil eine Kardinalschnitte zu trocken ist, beschweren sich beim ORF, weil angeblich Szenen aus Gladiator geschnitten wurden oder rufen bei der Hohen Warte an, um dem Ärger darüber, dass die Wettervorhersage schon wieder nicht stimmt, Luft zu machen (und werden dabei aus Versehen zur YouTube-Legende).

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Diese Österreicher sind es, die das Schimpfen und Sudern zu dem gemacht haben, was es heute ist: Das Fundament unserer alpenländischen Kultur. Diese Menschen sind die Helden des Alltags, die Kämpfer für die Rechte der Unterjochten, die jede Gesellschaft (und unsere ganz besonders dringend) braucht. Sie sind quasi das, was Katniss Everdeen für Panem ist.

Jetzt tritt ein neuer Rächer an die Öffentlichkeit, der das Sudern als Waffe gegen die Mächtigen dieser Welt auf eine Ebene hebt, die wir bislang nicht für möglich gehalten hätten. Er führt genau die Revolution fort, die sich im August bereits ankündigte, als eine Seniorin einen Lebkuchen-Aufsteller im Laden angezündet hat, um ihren Unmut gegenüber dem frühzeitigen Weihnachtsvorverkauf Luft auszudrücken: Den Feldzug gegen das entmenschlichte Übel in Gestalt von Supermarktketten.

Dieser stolze Ritter der Entrechteten ist Zielpunkt-Stammkunde und Heute-Leser Hans. Und Hans kann's—Wutbürger-Style. Was bisher geschah: Wie am vergangenen Mittwoch bekannt wurde, ist die Supermarktkette Zielpunkt insolvent. Den Mitarbeitern wurde bisher weder ihr November-Gehalt, noch Weihnachtsgeld ausbezahlt—was zugegebenermaßen ziemlich beschissen für die 2500 Betroffenen ist. Sie müssen sich nun selbst darum kümmern, dass sie vom Insolvenzentgelt-Fonds das Geld bekommen, das ihnen zusteht und auf das sie ziemlich wahrscheinlich nicht einfach so verzichten können—schon gar nicht vor Weihnachten.

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Aber Hans trifft dieser Schlag natürlich noch viel härter. Als treuer Zielpunkt-Kunde hatte Hans selbstredend einen Treuepass zum Abstempeln, mit dem ihm mittlerweile ein Rabatt von 3 Euro zugestanden hätte. Dieser Rabatt wurde ihm nun verwehrt—und das prangert Hans natürlich an. Gegenüber der Gratis-Zeitung Heute bezeichnet er diesen Vorfall als „die größte Kundenverarsche aller Zeiten".

Vergesst Pferdefleisch-Lasagne, Frostschutzmittel-Wein und abgelaufene Freilandeier—und vergesst erst recht jenen Mann, der sich 2014 eine Bodenfliese als Smartphone verkaufen ließ. Der wahre Skandal ist der Verfall von Hansens Treuepass. Und zwar gerade weil alle so tun, als wäre es keine große Sache. Wo kommen wir denn da hin?

Es wäre aber nicht Österreich, wenn sich zur unfassbaren Wut und dem unbestimmten Gefühl der Verarschung nicht auch noch das unglaublich lösungsorientierte Besserwissen der Hausverstand-Fraktion mischen würde: Immerhin wäre es, so Hans, eigentlich die „verdammte Pflicht der Wurstverkäuferin" gewesen, ihn vor der bevorstehenden Pleite zu warnen, sodass er seinen Rabatt noch rechtzeitig einlösen hätte können. Derselben Wurstverkäuferin, die ihren letzten Lohn und ihr Weihnachtsgeld vermeintlich noch nicht erhalten haben dürfte—aber das sind ja wohl die Probleme von jemand anderem.

Markus auf Twitter: @wurstzombie

Verena auf Twitter: @verenabgnr