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"Die freiwilligsten Zwangsarbeiter der Welt": Ein Korea-Experte erklärt die Ausbeutung von Nordkoreanern in Polen

Prof. Remco Breuker forscht zu nordkoreanischen Zwangsarbeitern in der EU. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum für sie die Ausbeutung im Ausland noch die beste Chance auf ein besseres Leben ist—und warum Europa so attraktiv für die Kim-Diktatur.

Ausschnitt aus "Cash for Kim"

In der VICE-Dokumentation Cash for Kim: Warum sich nordkoreanische Zwangsarbeiter in Polen zu Tode schuften können haben VICE-Filmemacher Sebastian Weis und Manuel Freundt erforscht, wie Nordkoreaner in Polen ausgebeutet werden. Im Rahmen der Recherche haben sie sich auch mit Remco Breuker ausgetauscht, der mit einer interdisziplinären Forschungsgruppe zu nordkoreanischen Zwangsarbeitern in der EU forscht. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum für sie die Ausbeutung in Europa noch die beste Chance auf ein besseres Leben ist.

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VICE: Professor Breuker, was sind die Ziele Ihrer Arbeitsgruppe und warum ist sie überhaupt entstanden?
Professor Breuker: Sie ist entstanden, weil wir von nordkoreanischen Zwangsarbeitern in der Europäischen Union gehört hatten. Nordkorea ist vor allem für seine Menschenrechtspolitik bekannt und dafür, dass sich kaum etwas dagegen unternehmen lässt. Man kann Kim Jong-un unter Druck setzen, aber das wird nichts bringen. Vielleicht ein paar kleine Verbesserungen.

Wer gehört alles zu ihrer Gruppe?
Eine ganze Reihe von Forschungsbereichen ist vertreten. Ich etwa bin Experte für Koreastudien. Aber wir haben auch Expertinnen und Experten im Bereich Arbeitsrecht, internationales Arbeitsrecht, Menschenrechte, Nordkorea-Studien und Governance im Allgemeinen. Wir versuchen, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu vereinen—mit verschiedenen Spezialgebieten und unterschiedlichem Wissen.

Seit wann ist bekannt, dass Arbeiter aus Nordkorea in der EU sind?
Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass es Arbeiter aus Nordkorea in der EU gibt. In Tschechien zum Beispiel. 2006, 2007 haben sie ihre Kooperation mit Nordkorea eingestellt. Das ist eine weitere Überraschung, weil osteuropäische Länder traditionell immer eine sehr gute Beziehung zu Nordkorea hatten. Viele dieser Länder unterhalten immer noch wesentlich bessere Beziehung zu Kim Jong-un als die meisten westeuropäischen Länder. Deswegen findet man dort auch die meisten nordkoreanischen Arbeiter.

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Warum schickt Nordkorea seine Arbeiter ins Ausland?
Es gibt vor allem einen wichtigen Grund: Geld. Das Land hat nicht viele Exporte, aber das stimmt so auch nicht. Sie verfügen über viele Dinge, die sie exportieren könnten, wie Mineralien oder Metalle, aber in den letzten zwei, drei Jahren wurden die Exporte weniger. Dementsprechend ist jede Möglichkeit willkommen, an harte Währungen wie chinesische Yuan, amerikanische Dollar oder Euro zu kommen. Deswegen schicken sie ihre Leute in die ganze Welt. In Afrika verdient man an Arbeitern etwas, in China etwas mehr, aber in Europa lässt sich wirklich viel Geld verdienen, wenn man keine Steuern und Versicherungen zahlt. Sie können pro Kopf bis zu 35.000 Dollar im Jahr verdienen, an jedem einzelnen nordkoreanischen Arbeiter. Das ist eine Menge Geld.

Werden die nordkoreanischen Arbeiter in Polen bezahlt?
Wie es aussieht, geht das ganze Geld an den Staat—entweder direkt oder durch die Firma, die dem Staat gehört. Es gibt unterschiedliche Schätzungen darüber. Zu diesem Thema sind zuvor schon einige Untersuchungen angestellt worden, vor allem außerhalb Europas. Man geht davon aus, dass nordkoreanische Arbeiter und Arbeiterinnen in Europa zwischen 80 und 160 US-Dollar im Monat verdienen. Das ist der Betrag, den sie behalten dürfen; der eigentliche Lohn ist viel höher, und dieses Geld wird nicht in Polen versteuert. Es geht direkt an den nordkoreanischen Staat. Das sind etwa zwischen 600 und 700 Euro pro Person, pro Monat.

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Gibt es Zahlen, die zeigen, wie viel Nordkoreaner auf der ganzen Welt verdienen?
Das ist eine sehr einfache Frage, aber sie ist extrem schwierig zu beantworten. Wir haben das noch nicht wirklich untersuchen können. Ich vermute, dass die Zahl höher liegt, als die USA schätzen. Laut dem aktuellsten UN-Bericht sind es zwischen 1,3 und 2,3 Milliarden Dollar jährlich an zusätzlichem Einkommen.

Ist das Geld, das Nordkoreaner im Ausland verdienen, existenziell für das Regime?
Ich würde sagen: Ja. Ich denke, dass es momentan sehr schwierig ist, das Regime am Laufen zu halten, vor allem beim aktuellen Stand der internationalen Beziehungen.

Kann man bei den nordkoreanischen Arbeitern von Sklaven sprechen?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Menschen in Nordkorea melden sich tatsächlich freiwillig, um im Ausland arbeiten zu dürfen. Sie sind stolz darauf, ins Ausland gehen zu dürfen. Sie mögen es also. Aber dann gibt es Geschichten aus Katar, Russland und China, wo viele Menschen verletzt wurden. Vor allem in Russland, Sibirien und auch der EU—in Polen und in Tschechien waren die Arbeitsbedingungen vor 2006 sehr schlecht. Das ist der schreckliche Teil der Geschichte. Warum beschäftigt man also nordkoreanische Arbeiter und keine polnischen oder russischen? Weil es dreckig, gefährlich und schlecht bezahlt ist—deswegen die Nordkoreaner. Sie arbeiten hart, gehorchen, sind billiger und sie machen die ganze Arbeit, die sonst niemand machen will. Von freiwilliger Arbeit kann nicht wirklich die Rede sein. Alle wollen raus aus Nordkorea. Wie viel schlimmer kann es schon im Ausland sein? Meiner Meinung nach kann es hier keine freiwilligen Handlungen geben. Man versucht zu überleben und meldet sich zum Einsatz im Ausland. Ist das Zwangsarbeit? Ja, ich denke, dafür könnte man bei den meisten Nordkoreanern argumentieren.

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Remco Breuker in der VICE-Doku Cash for Kim

Können Sie mir sagen, was mit den Familien der Arbeiter geschieht? Man hört, dass sie als Druckmittel verwendet werden.
Das stimmt. Um ins Ausland geschickt zu werden, müssen die Arbeiter Fähigkeiten aufweisen, die im Ausland gebraucht werden. Aber das ist nur eine von mehreren Bedingungen. Eine weitere Bedingung ist, dass sie eine Familie mit mindestens zwei Kindern zurücklassen müssen. Wenn ich nordkoreanischen Arbeitern in Polen oder einem anderen EU-Staat begegne, kann ich dann auf sie zugehen und mit ihnen sprechen?
Ja, möglich ist das sicher, aber es könnte schlimme Folgen für sie und die Familie dieser Person nach sich ziehen, also rate ich davon ab. Ich würde mit niemandem sprechen, der als Angestellter des nordkoreanischen Staats in Europa ist, weil es einfach zu gefährlich ist.

Wie kann es sein, dass so etwas in der EU passiert?
Darauf habe ich nur eine einfache Antwort: Weil wir Geld genauso sehr mögen wie alle Anderen. An diesen Leuten lässt sich viel verdienen.

Verstößt das nicht gegen die europäische Menschenrechtskonvention? Das, was dort in Polen geschieht?
Es verstößt gegen viele EU-Gesetze und internationale Abkommen. Prinzipiell ist ja an nordkoreanischen Arbeitern in der EU nichts auszusetzen, aber die Arbeitsbedingungen müssen unter die Lupe genommen werden. Die Tatsache, dass sie ihre Löhne nicht einmal selbst besitzen, zum Beispiel.

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Wie läuft es ab, wenn nordkoreanische Arbeiter von polnischen Firmen angeheuert werden? Werden sie direkt von der polnischen Firma bezahlt oder wie funktioniert das?
Ich bin mir sicher, dass die Firma den nordkoreanischen Arbeitern einen gewissen Betrag aushändigt, nur damit sie Essen kaufen und am Leben bleiben können. Immerhin wollen sie ihre Angestellten auch zufriedenstellen. Doch das meiste Geld wird den Arbeitern nicht direkt ausgehändigt, sondern es geht an ihre Agentur.

Was könnte Journalisten passieren, die Nordkoreanern fragen zu dieser Sache stellen?
Dieselben Risiken, denen die Nordkoreaner ausgesetzt sind, könnten auch Journalisten treffen.

Wie würden Sie nennen, was Nordkorea hier macht?
Ich halte Nordkorea für die größte Arbeitsagentur der Welt. Sie schicken Menschen an wen auch immer, so lange das Geld stimmt. Es gibt eigentlich keinen nordkoreanischen Staat; es handelt sich um eine Firma. Nordkorea verhält sich nicht wie ein Staat. Es handelt ständig gegen die Interessen des Staates, gegen die Interessen der Anteilseigner dieser einen Firma wird jedoch niemals gehandelt. Stattdessen tut das Land alles dafür, dass die Firmenspitze weiter an der Macht bleibt und so viel Geld verdient wie möglich. Mehr zur Recherche für "Cash for Kim" erzählt VICE-Filmemacher im VICE-Podcast.