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Immer dieses Internet!

„Retro-Liking“ ist der neueste Facebook-Trend

Ihr habt eure peinlichen Status-Updates von vor vier Jahren völlig verdrängt? Viel Spaß, wenn demnächst ein Freund eure alten Facebook-Fotos wieder in die Timelines zaubert.

Ein Bild des Autors aus den 80ern. Foto via Facebook

Es ist allgemein bekannt, dass Bilder von vor fünf Jahren immer aussehen wie Familienfotos aus den 80ern. Deshalb ist es auch gut, dass soziale Medien unser visuelles Gedächtnis einer regelmäßigen Entschlackung unterziehen, indem sie uns täglich zu neuen Postings zwingen, weil wir uns sonst ganz schnell in die Irrelevanz schweigen würden.

Manchmal spült uns Facebook zwar Fernsehtipps und Party-Fotos vom Vorabend wieder in den News-Feed (DANKE für GAR NICHTS, Facebook!), aber in der Regel ist alles, was länger als 24 Stunden her ist, zuverlässig tief in der Timeline vergraben, dass es zumindest bis zum Aufkommen dieser furchtbaren Timeline-Dia-Shows zu Jahresende komplett aus unserer Aufmerksamkeit verschwunden sind.

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Jetzt gibt es einen neuen Facebook-Trend, der das ändert—und zwar noch weit über das vergangene Jahr hinaus. Seit einigen Wochen schwappen immer wieder alte Frisurenfotos und peinliche Food-Selfies an die Oberfläche unserer Timelines, von denen wir eigentlich dachten, dass wir uns nie wieder für sie schämen müssen.

Einen Namen hat das Ganze offiziell (und damit meine ich: vom Reddit-Poster mit dem besten Upvoting) noch nicht verliehen bekommen, aber ich schlage einfach mal „Retro-Liking“ vor. Dabei handelt es sich um das von sozialer Verantwortung befreite Geschwisterchen der beiden letzten „Awareness-Challenges“—also der Ice Bucket Challenge für ALS und der Camel Toe Challenge für Gebärmutterhalskrebs—, dessen einziger Sinn es ist, euch zu trollen und in eurer sozialen Welt für chronologisches Chaos zu sorgen.

Im Gegensatz zur Ice Bucket Challenge (an der immer noch nichts schlimmer ist als ihre Kritiker) ging das Retro-Liken nicht von irgendwelchen PR-Abteilungen, sondern von Teens aus. Bevor es unsere eigenen News-Feeds erwischte—und ich ein beschämend hihi-lustiges Essensfoto von Germknödeln mit der Caption „Busenknödel!!“ aus 2009 wieder angespült bekam—, geisterte das Retro-Liken bereits über das Facebook des 18-jährigen Cousins meiner Freundin.

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Post by Markus Lust.

Der erzählte mir, dass es in seinem Freundeskreis einfach nur aus „purer Langeweile hervorgerufen durch die Sommerferien“ entstanden wäre. Gepaart mit ein bisschen Public Shaming erinnert es vom Prinzip an alte Offline-Bewährungsproben, die genau solange Spaß machen, wie es den Freundeskreis gegen den Verarschten vereint—und bis es einen selber erwischt.

Seit meinem Busen-Knödel-Shaming kann ich davon ein Lied singen. Ganz nebenbei hält das Phänomen, wenn auch unabsichtlich, außerdem unserem sozialmedialen Selbstverständnis den Spiegel vor: Ähnlich wie 2012, als Tausende User glaubten, Facebook hätte ihre Privatnachrichten auf den eigenen Walls veröffentlicht, zeigt auch das Retro-Liken, wie sich unser Nutzungsverhalten über die Jahre verändert hat, ohne dass es uns bewusst wäre.

Der Autor trägt Ed Hardy und bestellt 3 Bier in Las Vegas. Foto aus 2009, via Facebook

Retro-Liking befördert die alten Postings in dritter Person („… hat den besten Film der Welt gesehen—Avatar 3D!!!1!“) genauso wieder zutage, wie unsere umgangssprachlichen Was gibt es Neues?-mäßigen Prolo-Schmähs und die immer schon furchtbaren Inflektive (*lach*, *kreisch*, *vorsichhingrundel*).

Ganz nebenbei bietet es auch eine super Ausrede für maßloses Facebook-Stalking und hebt damit endlich Verhaltensweisen, für die man sich bisher irgendwie schämen musste, in den sozialmedialen Mainstream. Außerdem demonstriert es, dass unser ausgelagertes Gedächtnis im Netz genauso chaotisch funktioniert (und gleich schadenfroh ist) wie das in unseren Köpfen—und dass unsere Medien immer nur so gut sind, wie die Menschen dahinter.

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Der Autor vor zwei Jahren. Foto via Facebook

Aber der eigentliche Witz daran sind weder die Leute, die verarscht werden, noch die Kommentare der Verarscher. Es sind die Menschen, die darauf hereinfallen und die alten Postings, die in ihrer Timeline auftauchen, für neue halten. Insofern ist Retro-Liking wirklich wie jede andere Form von Mobbing und gegenseitigem Aufziehen: Es tut nur so lange weh, bis man ein dankbareres Opfer findet.

Man kann das Ganze auch positiv sehen: Immerhin zeigt Facebook alte Status-Meldungen trotzdem immer mit dem aktuellen Profilbild an. So müssen wir zumindest nicht unsere alten Eighties-Look-Selbstbilder noch mal sehen.

Markus hat auch auf Twitter peinliche alte Statusmeldungen für Stalker versteckt.