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Popkultur

Rooftop Bombing mit Netzwerkknoten in Berlin

FREIFUNK ist nicht­kommerziell und lebt von engagierten Freiwilligen, die auf Dächer klettern und eine alternative Infrastruktur aufbauen, um euch kostenloses Internet zu verschaffen.

Es ist einer dieser ersten wirklich ungemütlichen Herbsttage. Als ich mein Rad um 9 Uhr am Mehringdamm im Berliner Stadtteil Kreuzberg ankette, ist es für die Uhrzeit noch ungewöhnlich dunkel. Natürlich habe ich meine Schutzbleche vergessen und bin alleine von meinem Hinweg schon komplett durchnässt.

Ich weiß nicht recht, was oder wer mich erwartete. Erst vor zwei Tagen habe ich die Berliner FREIFUNK­Initiative angeschrieben und gefragt, ob ich sie bei einer ihrer nächsten Aktionen fotografisch begleiten könne. Die Initiative kenne ich seit Jahren. Als ich in Berlin gestrandet war und ohne viel Kohle in besetzten Häusern wohnte, stand FREIFUNK zum einen für kostenloses Internet—zum anderen konnte ihr Konzept schon damals wunderbar mit linker Politik verbunden werden: ein selbstverwaltetes, freies und hierachiefreies Netz mit einem Output, der allen, unabhängig vom sozialen Background, zu Gute kommt.

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Für mich sind technischer Fortschritt, Computer und das Internet ein Segen. Meine Religion. Jesus teilte und vermehrte das Brot, so dass es für alle reichte und ich teile und vermehre Daten via Torrent. Ein Wunder. Ich finde, dass nichts in der Geschichte eine so weitreichende Veränderung mit sich brachte wie die Vernetzung der Menschen durch das Internet. Es katapultiert uns in scheinbar unbegreiflicher Geschwindigkeit in die Zukunft.

Leider unterliegt diese Technologie natürlich auch einer kapitalistischer Marktlogik und unsere Zugänge zum Netz werden durch die Politik unserer Provider bestimmt. Diese arbeiten zur Zeit unter anderem daran, Strukturen zu schaffen, die alle unsere Daten aufzeichnen und nach Inhalt sortieren. Die Dienste externer Anbieter—sei es Google aber auch jedes kleine Web­Startup—werden dann, je nach Vereinbarung mit den Providern, entweder durchgelassen oder abgelehnt. Ein ganz legaler Zensurapperat also, für den wir selbst noch zahlen werden. Leute, die dagegen protestierten, sprechen deswegen auch immer von einer „Gefahr für die Netzneutralität“.

Genau hier setzt die FREIFUNK­Initiative an. Das Anliegen der vor etwas mehr als zehn Jahren gegründeten Initiative ist der Ausbau eines lokalen und diskriminierungsfreien WLAN­Netzwerkes, das sich von Balkon zu Balkon, Dach zu Dach und Viertel zu Viertel erstreckt. Das Netzwerk ist selbstverwaltet und jegliche auf den Routern installierte Software ist Open Source. Der Programmcode kann von jedem eingesehen und weiterentwickelt werden. Dies erlaubt einen hohen Grad an Zensurresistenz, eine der Hauptzielsetzungen der Initiative.

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So, Fahrrad angeschlossen und los. Wir treffen uns vor dem Kreuzberger Rathaus, dem wohl höchsten Gebäude in der Gegend. Ich stehe ein paar Minuten herum, den Kopf unter der Kapuze in den Kragen gesteckt, um mich vor dem Regen zu verstecken. Da hinten steht eine Gruppe junger Typen an ihren Fahrrädern. Vorsichtige Annäherung, dann eine nette Begrüßung. André, Philipp, Daniel und Sebastian stellen sich vor und erklären mir, dass sie hier auf dem Dach des Rathauses einen sogenannten Backbone installieren. Genauer gesagt einen Backbone-Knoten, d.h. ein Teil des Rückgrates des Freifunk­Netzes, durch das du stadtweit über zuverlässige und breitbandige WLAN­Verbindungen kommunizieren kann. Die Jungs sind überaus freundliche Anfang bis Mitte 20-Jährige, und manche von ihnen sind darüber hinaus auch noch Informatikstudenten.

Wir betreten das Gebäude und treffen im Foyer den Chef der IT­ Abteilung des Rathauses, mit dem wir in die 10. Etage fahren und durch eine Luke aufs Dach klettern. Mir schlägt der Wind ins Gesicht und Herr Zachler, der Rathaus-IT, schützt sich mit einer Plastiktüte gegen den Regen, mit Kabelbindern befestigt.

Die FREIFUNKER springen ziemlich routiniert auf dem Dach rum, verlegen Kabel und richten insgesamt 14 Antennen aus. Diese bauen eine bis zu 5 Kilometer lange Funkverbindung zu anderen großen Knotenpunkten, wie dem Zoofenster in Charlottenburg oder den Arkaden in Neukölln, auf.

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So ein selbstverwaltetes Netzwerk hat viele Vorteile. Es liefert eine unabhängige Infrastruktur, die auch dann noch funktioniert, wenn unser Internet durch ein Unwetter ausfällt, oder wenn das Netz wie in totalitären Regimen einfach mal abgestellt wird. Du kannst dich mit deiner Nachbarschaft vernetzen, Community­-Radios einrichten, Netzwerkspiele spielen. Ein paar wenige Internetzugänge können zudem einen ganzen Stadtteil versorgen. Nicht schlecht für sozial schwächere Gegenden, insbesondere da Harz­-IV­-Haushalte vom Amt immer noch kein Geld für einen eigenen Internetzugang erhalten.

Auch umgeht ein Großteil der zur Verfügung gestellten FREIFUNK­-Router, dank ihrer installierten Software und der Zusammenarbeit mit einem schwedischen Provider, die in Deutschland angewandte Störerhaftung. Diese besagt, dass der Besitzer eines DSL­-Anschlusses für alles verantwortlich ist, was über sein Netzwerk passiert. Begleitet wurde die Diskussion damals von den Bildern krimineller Filesharingnutzer und sich ungehindert ausbreitender Kinderpornografie. Dass Menschen einen offenen WLAN­-Zugang jedoch zu 99,9% zum Abrufen ihrer Mails oder sonstiger Informationen nutzen, wurde ausgespart. Das Gesetz hat dazu geführt, dass Cafés, Geschäfte und private Haushalte aus Angst vor Abmahnungen und Geldstrafen nicht mehr bereit waren, ihren Internetzugang zu teilen. Viele FREIFUNK­-Router setzten diese Haftungsregelung jedoch außer Kraft, indem sie den Traffic mittels eines Tunnels (VPN) entweder über den erwähnten schwedischen Server, oder über die Server ihres eigens selbst gegründeten Providers leiten. Ein einfacher technischer Trick, der deutsches Recht umgeht und von dem auch Cafés und Geschäfte profitieren können. Für Provider gilt die Störerhaftung (anders als für Privatleute) nämlich nicht.

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Die FREIFUNK­Initiative ist nicht­kommerziell und die Mitglieder arbeiten aus purem Idealismus, weshalb die Gruppe auch auf Fördermittel und Sachspenden angewiesen ist. Vor ein paar Jahren erhielten sie knapp 550 Router von einem Gerätehersteller und im Jahr 2013 ein Budget in Höhe von 30.0000 Euro von der Medienanstalt Berlin­ Brandenburg. Die Kosten für den Knotenpunkt auf dem Rathaus, mit seinen 16 Datenfunkantennen, Routern, Switches und rund 250 Meter verlegtem Netzwerkkabel, belaufen sich auf ungefähr 2000 Euro. Nicht wirklich viel für die komplette Vernetzung des Viertels!

Ich mag es sowieso, auf Dächern unterwegs zu sein. Du bist mitten in der hektischen Stadt, aber von hier oben wirkt alles entspannt, ist leiser und du bekommst den manchmal nötigen Abstand. Du hast den Überblick, aber dich kann keiner sehen. Fast so wie die Funknetzwerke, die jetzt die Nachbarschaft versorgen.

Langsam klärt das Wetter auf. Die Antennen sind ausgerichtet. Alle kramen ihre Smartphones heraus und checken, ob sie das neues WLAN­-Signal empfangen. Mein Handy erkennt vier FREIFUNK­-Netze—alle vier, die von hier oben in die vier Himmelsrichtungen zeigen. Ich schaue herab auf die Fenster der umliegenden Häuser. Wie lange es wohl dauert, bis sie von dem neuen, kostenlosen WLAN-Netz mitbekommen?

Auch in Zukunft sind die FREIFUNKER in der ganzen Stadt unterwegs, um für den Ausbau des Netzes Genehmigungen von Bezirksämtern, Kirchen und Hochschulen einzuholen, sich um Förderungen zu kümmern und sich über neue MItglieder und Unterstützer zu freuen.

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FREIFUNK ist nicht­kommerziell, kostenlos und lebt von den Menschen, die daran teilnehmen! Auf http://freifunk.net kannst du dich über die Initiative informieren und nach bestehenden Communitys in deiner Stadt suchen.

WLAN für alle!

P.S.: CDU/CSU und SPD haben sich im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen letzte Woche übrigens auf ein Ende der Störerhaftung geeinigt. Ob dies im Detail jedoch nur für Cafés und Hotels gelten soll, bleibt abzuwarten.

Text und Fotos:Boris Niehaus (Facebook)

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