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Die Do it Well and Leave Something Witchy Issue

Rotes Gold: Die Suche nach verbotenem Rindfleisch auf Kuba

Die seltsamste und am meisten tabuisierte Mangelware der Kubaner ist Rindfleisch.
Titelfoto: SVA BFA (Yuna Ao, Ebb Bayarsaikhan, Crystelle Colucci, Anthony Costa, Alberto Inamagua, Mikaela Keen Lumongsod, Frankie Mulé, Allison Schaller, Hayley Rose Stephon). Alle anderen Fotos: Adam Leith Gollner

Dinge, die in Kuba schwer oder gar nicht zu beschaffen sind, bezeichnet man als perdido. Verloren. Als ich diesen Sommer nach Havanna kam, standen Bier und Toilettenpapier ganz oben auf der perdido-Liste. Ausländer finden solche Waren zwar in ihren Hotels vor, aber für Kubaner sind sie wie vom Erdboden verschluckt. Perdido. Elf Millionen Menschen auf einer Insel ohne Klopapier. Weitere unerreichbare Dinge sind Seife, Kugelschreiber, Smartphones und Kreditkarten-wobei US-Kreditkarten hier sowieso nicht funktionieren. Auch das Internet ist perdido: Nur drei bis vier Prozent der Bevölkerung haben Zugang zum Web. Aber die seltsamste und am meisten tabuisierte Mangelware der Kubaner ist-Rindfleisch.

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Meine Gesprächspartner in Havanna versicherten mir durch die Bank, dass das Schlachten einer Kuh ein schlimmeres Verbrechen als der Mord an einem Menschen sei. Alle Kühe seien Staatseigentum. Kubaner, die bei der Zubereitung von illegalem Rindfleisch erwischt wurden, sollen aus Angst vor dem Gefängnis schon Selbstmord begangen haben. Warum ist Rindfleisch für die kommunistischen Machthaber so kostbar? Ich bin nach Kuba gereist, um es herauszufinden. Meine Vermutung ist, dass es etwas mit der verbreiteten Unterernährung und dem verzweifelten Überlebenskampf zu tun haben muss. Vielleicht ist es auch eine ungewöhnliche legislative Begleiterscheinung von über 50 Jahren Handelsembargos und revolutionärem Idealismus. Die schräge Logik einer Geisteshaltung, die sich nicht davor scheut, Andersdenkende hinzurichten.

Bei meiner letzten Kuba-Reise, vor fast zehn Jahren, hatte man mir geraten, kein Rindfleisch zu essen. Einheimische sagten, das Fleisch in den Restaurants komme aus den USA und habe eine grauenhafte Qualität. Einige meinten, es sei verunreinigt. Andere sprachen von minderwertigen Fleischresten, die in Nordamerika normalerweise zu Hundefutter verarbeitet werden.

Ich habe zwar einen großen Bogen um sämtliche Ropa vieja-Gerichte gemacht, aber es kam mir unwahrscheinlich vor, dass die USA Rindfleisch nach Kuba exportierten. Schließlich galt seit 54 Jahren ein Handelsembargo zwischen beiden Ländern. Doch seit die US-Regierung im Jahr 2000 den Export von Agrarprodukten nach Kuba erlaubte, hat der Inselstaat erstaunliche 3,7 Milliarden Euro für Lebensmittel „made in USA" ausgegeben-fast ausschließlich per Vorkasse. Der Sinn eines Embargos besteht darin, ein feindliches Land zu isolieren und seine Überlebensfähigkeit mit wirtschaftlichen Mitteln zu schwächen. In diesem Fall profitieren die USA allerdings von der Versorgung der Kubaner. Auch wenn es kaum jemand weiß: Ein Viertel oder sogar ein Drittel aller importierten kubanischen Lebensmittel kommt derzeit aus den USA.

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Um zu erfahren, ob auch Rindfleisch dazugehört, kontaktierte ich Jesse „the Body" Ventura. In seiner Amtszeit als Gouverneur von Minnesota war er nach Kuba gereist, um einen neuen Absatzmarkt für Rindfleisch zu erschließen. Leider hat er auf meine Interviewanfrage nicht reagiert.1 Dasselbe gilt für den kubanischen Beamten, der für die Importverhandlungen mit den USA zuständig ist. Die kubanische Importfirma für Lebensmittel heißt Alimport. Ihr ehemaliger Chef, Pedro Álvarez Borrego, sitzt mittlerweile in Florida und vertickt Immobilien. Als das letzte Mal ein Journalist bei ihm anrief, krähte Álvarez Borrego: „Ich bin bloß ein einfacher Zimmermann. Haben Sie Arbeit für mich?" Dann lachte er und legte auf.

Vor meiner Abreise konnte ich immerhin mit Patrick Symmes sprechen, der zwei Sachbücher über Kuba geschrieben hat (Reiseziel Che Guevara und The Boys from Dolores). „Viele Lebensmittel in Kuba kommen aus den USA", sagte er mir. „Wurst aus North Carolina, Äpfel aus dem Bundesstaat Washington und Tuben mit ekelhafter Separatoren-Truthahnpaste aus Virginia." Statistiken über US-Rindfleisch in Kuba waren ihm nicht bekannt, und er prophezeite mir, dass es schwer werden würde, verlässliche Zahlen zu bekommen. „Du wirst bald merken, dass du bei offiziellen Stellen auf Granit beißt", erklärte er. „Nicht nur in Kuba, sondern auch in den USA, wo viele Bundesstaaten inzwischen die Berichterstattung aus Schlachthöfen verboten haben." Die dortigen Gesetze zeigen, wie weit die Fleischindustrie geht, um ihre schäbigen Praktiken zu verschleiern.

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Symmes erzählte, er habe versucht, den ehemaligen Chef der Lebensmittelzuteilung für Havanna aufzuspüren, einen gewissen „Colonel Fatso". Dieser ist nach Korruptionsvorwürfen geflohen und versteckt sich in Chile. „Die gesamte Lebensmittelzuteilung in Kuba ist ein geheimes und mehr oder weniger korruptes System", meinte Symmes. Von diesen Dick-Tracy-Ganoven abgesehen hat sich die Versorgung in Havanna allerdings laut Symmes gebessert. Seit die Regierung im Jahr 2010 die Beschränkungen für Privatbetriebe lockerte, gibt es mehr privat geführte Restaurants, die sogenannten paladares, die sich oft in Wohnhäusern befinden. Die Konkurrenzsituation zwingt die Inhaber, leckeres Essen zu kochen-etwas, was man in kubanischen Restaurants jahrzehntelang vermisst hat.

Einige dieser Wirte, vermutete ich, würden auch Rindfleisch verarbeiten. Ich versuchte herauszufinden, wie viel davon aus den USA stammt, und stieß dabei auf einen Bericht der US International Trade Commission. Darin hieß es, die Exporte ließen sich steigern, wenn man kubanischen Beamten erlauben würde, das Fleisch zu inspizieren. Das Ganze kam mir ein bisschen halbgar vor, und so ging ich in Havanna an einem sonnigen Junivormittag in die Cafetería 5ta y A.


1 Ventura lebt mittlerweile als „Aussteiger", wie er sagt. Anscheinend in Mexiko. „Damit die Drohnen mich nicht finden und du nicht genau weißt, wo ich bin."

In der Cafetería 5ta y A essen die Kubaner ihre Burger. Touristen findet man dort nicht. Das Lokal akzeptiert den Peso convertible (abgekürzt CUC) nicht. Diese Parallelwährung, mit der alle Ausländer bezahlen müssen, ist Teil des absurden Wirtschaftssystems. Doch hier im 5ta y A gilt nur der einheimische Peso, der einen Wechselkurs von 25,5:1 gegenüber dem CUC hat.

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Der kubanische monatliche Durchschnittslohn beträgt 471 Pesos, gut 16 Euro. Die Rinderbuletten kosten hier 60 Pesos (2 Euro) und sind damit unerschwinglich teuer, aber dies ist einer der wenigen Läden in Havanna, wo man überhaupt einen Burger bekommt. Auch Hähnchenburger stehen auf der Karte, aber die meisten Gäste bestellen Burger aus Schweinehack, die nur 25 Pesos (85 Cent) kosten. Für den Durchschnittskubaner ist das immer noch Luxus, aber wer großzügige Verwandte in Miami hat, kann es sich erlauben. Jeder, der sich das Essen im 5ta y A leisten kann, hat sich seine staatlichen Lebensmittelrationen mit Nebeneinnahmen aufgebessert. Zwei Drittel der Kubaner bekommen Geld von Angehörigen im Ausland-insgesamt 2,4 Milliarden Euro pro Jahr.

Am Tag meines Besuchs genießen mehrere Einheimische ihr Mittagessen auf der Terrasse vor dem Lokal. Es ist noch früh am Tag für einen Burger, aber die Kubaner lieben Fleisch, und das auf Burger spezialisierte 5ta y A gibt ihnen, was sie wollen.

Eine Kellnerin führt mich an einem Schild vorbei: „Especialidad Hamburguesas Caseras", und zeigt mir den Weg in den üppig begrünten Garten neben der Küche. Dort lerne ich die Inhaber des Lokals kennen: Alberto und Ivan Alonso, zwei dickbäuchige Brüder zwischen 40 und 50. Sie leben mit ihren Familien in diesem Haus und bewohnen mehrere Zimmer über und hinter dem Restaurant.

Meine kubanische Kontaktfrau2 erklärt, dass ich Journalist bin und mit ihnen über Rindfleisch reden möchte. Die Brüder besprechen sich kurz. Sie scheinen zu streiten, aber vielleicht reden sie auch einfach nur laut. „Ay, qué calor", sagt Mirta, ihre Mutter, die im Schatten sitzt und sich Luft zufächelt.

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„OK", sagt Alberto schließlich und schränkt ein: „Keine Politik. Nur übers Essen."

No problemo", erwidere ich in holprigem Spanisch. Mir ist klar, dass das Gespräch dennoch politisch werden wird-so wie alles in Kuba.

Alberto stellt mir zuerst eine Frage, obwohl er die Antwort schon kennt: „Essen die Amerikaner viel Junkfood?"

„Klar", antworte ich grinsend. „Und die Kubaner?"

„Kubaner essen alles, was ihnen in die Quere kommt!", sagt er unter schallendem Gelächter.

Natürlich hat er recht. Kuba produziert nicht genug Lebensmittel für die eigene Bevölkerung, also ist das Land auf Importe angewiesen. Das ist besonders frustrierend, wenn der nächste Nachbar der größte Konsumgütermarkt der Welt ist und sich weigert, im Austausch kubanische Waren zu importieren, weil man miteinander verfeindet ist. Während der Sowjetzeit war alles ein bisschen einfacher, weil Moskau seinen tropischen Satellitenstaat sponserte. Nach dem Zerfall der UdSSR im Jahr 1991 erlebte Kuba ein Jahrzehnt der Wirtschaftskrise und Nahrungsmittelknappheit. Während der sogenannten Sonderperiode war die Lage so dramatisch, dass manche Leute ihre Kroketten mit Stofffetzen füllten, mit denen sie vorher den Boden gewischt hatten. Es gab Berichte über Pizza mit geschmolzenen Kondomen, die den Käse ersetzen sollten. Ständig verschwanden Katzen und Hunde.3 „Hackfleisch" wurde aus den gemahlenen Schalen von Kochbananen hergestellt. Die Behörden empfahlen panierte und gebratene Ananasschalen als Steak-Ersatz.

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Heute, so sagen mir die Gebrüder Alonso, haben die Kubaner mehr zu essen, aber die meisten ernähren sich immer noch hauptsächlich von Reis und Bohnen. Manchmal gibt es Schweine- oder Hühnerfleisch. Die Alonsos haben sich im 5ta y A auf Burger spezialisiert, weil sie wussten, dass sie damit Erfolg haben würden. „Comida chatarra-Junkfood-hat hier eine lange Tradition", erklärt Alberto. „Vor der Revolution von 1959 gab es bei uns einen beliebten Snack namens frita: Chorizo und Rinderhack zwischen Brötchenhälften-eine Art kubanischer Hamburger."4

Während wir uns unterhalten, steht Ivan auf, geht zur Tür und begrüßt einen Händler, der von der Straße kommt. Er schleppt Zwiebelsäcke.

„Sind das kubanische Zwiebeln?", frage ich.

„Ja, die sind unterernährt", antwortet der Verkäufer mit einem schiefen Grinsen.


2 Sie bat mich, ihren Namen nicht zu nennen. Ich habe ohne offizielle Akkreditierung in Kuba gearbeitet, und sie wollte sich keinen Ärger dafür einhandeln, einen Undercover-Journalisten unterstützt zu haben. Als sie erfuhr, dass meine Papiere nicht in Ordnung waren, fürchtete ich schon, sie würde rechts ranfahren und mich auf der Stelle dem nächsten Polizisten melden. Ich musste ihr erklären, dass ich schon zwei Mal ohne Zwischenfälle in Kuba gearbeitet hatte und nur über Rindfleisch schreiben wollte-nicht über Politik. Erst dann war sie bereit, mir zu helfen.

3 Meinen Quellen zufolge kommt das immer noch vor.

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4In Miami bekommt man in einigen Restaurants immer noch fritas, meistens in Form einer dünnen Scheibe Rinderhack mit einem Berg Pommes frites zwischen zwei Brötchenhälften.

Meine Kontaktfrau erklärt, es sei üblich, dass die Leute von Tür zu Tür gehen, um Gemüse und Fleisch zu verkaufen. In Kuba kauft man oft etwas „unter der Hand", von dem man nicht genau weiß, woher es kommt. Die Menschen tun alles, um zu überleben. Auf der Straße wird man ständig von Gaunern angesprochen. Entweder wollen sie einem die Wertsachen stehlen, oder sie versuchen Zeug zu verticken, das sie anderswo organisiert haben. Es gibt sogar ein Wort für die Kunst der Kubaner, am Arbeitsplatz etwas mitgehen zu lassen, um es zu verkaufen, und damit ihren Lohn aufzubessern: búsqueda. Raúl Castro beklagt sich über die „Faulheit und Tendenz zum Diebstahl" unter seinen Landsleuten, aber nur durch diese Tendenz halten sie sich über Wasser.

Als Ivan aus der Küche kommt, wo er einen Sack Zwiebeln abgestellt hat, kommen wir auf das Thema Burger zurück. „Wie viel Prozent Rindfleisch verkauft ihr, und wie viel Prozent Schwein oder Huhn?", frage ich.

„60 Prozent Rind", sagt Ivan, „und 40 Prozent Schwein."

Mirta, seine Mutter, fällt ihm ins Wort. Sie beraten sich kurz. Ivan dachte, ich meine den Rindfleischanteil in den Rinderburgern. Die Buletten sind also nicht mal aus reinem Rindfleisch.

„90 Prozent unserer verkauften Burger sind aus Schweinefleisch", stellt Mirta klar. „Dazu fünf Prozent Huhn und fünf Prozent Rind."

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„Und wo kaufen Sie ihr Rindfleisch?", frage ich.

„Auf den Märkten", erwidert Ivan.

„Aber da gibt es kein Rindfleisch", wirft meine Begleiterin ein. „Echtes Rindfleisch habe ich in Havanna zuletzt vor vier Monaten gesehen. Es hat 50 CUC pro Kilo gekostet."

50 CUC (40 Euro) wären überall auf der Welt ein stolzer Preis. Besonders aber hier, wo dieser Betrag dem Monatslohn eines Durchschnittsbürgers entspricht.

„Und es war kein trocken gereiftes Premium-Rib-Eye", erklärt sie. „Nur ganz normales Rindfleisch."

Ich bohre nach: „Auf welchen Märkten kaufen Sie denn ihr Fleisch?" Die Alonso-Brüder reden hastig miteinander.

„Sie wollen wissen, ob Sie für McDonald's arbeiten", übersetzt meine Begleiterin.

„Was?", rufe ich verwirrt. „Gibt es hier sogar McDonald's-Filialen?"

„Nein, die sind natürlich nicht erlaubt", erklärt sie mir.

„Natürlich", wiederhole ich und komme mir vor wie ein Idiot.

„Ist auch besser, dass es hier kein McDonald's gibt", schnaubt Mirta mit abgewandtem Blick.

„Ich mag McDonald's nicht", fügt Alberto mit leicht boshaftem Tonfall hinzu.

„Ja, ich auch nicht", stimme ich ein, um sie davon zu überzeugen, dass ich kein McDonald's-Spion bin. Ich kann guten Gewissens sagen, dass mir so was noch nie vorgeworfen wurde. Ich tippe auf mein Notizbuch, um sie daran zu erinnern, dass ich Journalist bin. „Mich interessiert einfach, wo man hier Rindfleisch kaufen kann, und wo es herkommt."

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Mirta zuckt mit den Schultern, hebt die Augenbrauen und macht mit den Armen eine „Nicht mein Problem"-Geste. Scheinbar halten sie mich für einen Konkurrenten, der ihnen das Mischungsverhältnis von Rind- und Schweinefleisch entlocken will, um es für seinen eigenen Burgerladen zu nutzen. Oder so ähnlich.

„Kommt das Rindfleisch aus den USA?", frage ich.

Entweder wissen sie es nicht, oder sie wollen es nicht sagen. „Es ist nicht verpackt", erzählt Ivan. „Man kauft es lose."

Sie geben ihre Rindfleischquelle einfach nicht preis. Mehr als „Man muss die Augen offenhalten", bekomme ich aus den Brüdern nicht heraus. Mirta dagegen beendet das Interview mit einem leidenschaftlichen 15-minütigen Monolog über die Vorzüge des Sozialismus. Es sei den Kubanern wichtig, sagt sie mit heiserer Stimme, dass die Armen ein besseres Leben haben und die Reichen nicht so reich sind. (Bei dem grässlichen Wort rico hätte sie beinahe ausgespuckt.) „Die anderen Länder sollten den USA sagen, dass sie die Blockade aufheben müssen", erklärt sie mit erhobenem Zeigefinger. „Wir wollen Milch für unsere Kinder und mehr Getreide. Hebt die Blockade auf, und lasst uns unseren Glauben, dass alle Menschen gleich sind."

Während Mirta weiterredet, fange ich an zu überlegen. Was wäre, wenn McDonald's tatsächlich nach Kuba käme? Was würde dann aus einem Lokal wie dem 5ta y A? Zwar wächst die Privatwirtschaft, aber Castro ist darauf bedacht, den Unternehmern nicht zu viel Freiheit zu geben, damit die allgegenwärtige Macht des Staates nicht gefährdet wird. Ausländische Firmengründungen in Kuba sind weiterhin riskant, denn die Regierung kann die Unternehmen jederzeit unter ihre Kontrolle bringen. Die heutigen Machthaber sind dieselben comandantes, die schon nach der Revolution sämtliche ausländischen Firmen enteignet und verstaatlicht haben.

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Ich habe bei Familie Alonso keinen Burger gegessen, auch wenn ich es ein bisschen bereue, dass ich den Chicken-Burger mit Erdbeeren und Frischkäse für 1,60 Euro nicht probiert habe. Nach meinem Besuch im 5ta y A gehe ich auf einen nahe gelegenen Bauernmarkt und suche Rindfleisch. Überraschenderweise ist das Angebot auf dem Bauernmarkt 19 y B genauso üppig wie auf dem New Yorker Union Square im September. Die Stände quellen über vor Karotten, Rüben, glänzenden Auberginen, Peperoni, Wachteleiern, Mais, Hülsenfrüchten, Gurken, Kochbananen, Kohl, Kräutern und Maniok. Ganz zu schweigen von den Bergen von Papayas, Kokosnüssen, Guaven und vielem mehr. Rindfleisch gibt es zwar nicht, aber ich bleibe immer wieder stehen, um mir die traditionellen Gemüsesorten anzusehen, die man sonst wohl nur in den Küchen von sehr ernährungsbewussten Verbrauchern findet.

Meine Begleiterin wundert sich, dass mich dieser Überfluss so fasziniert. „Die Kubaner machen sich nicht viel aus Gemüse", erklärt sie mir. „In den 80ern und 90ern gab es so wenig Gemüse, dass die Leute damit nichts mehr anfangen können." Derzeit läuft eine Informationskampagne, mit der die Bürger über die Bedeutung einer gesunden Ernährung aufgeklärt werden sollen. Fidel Castro hat in den vergangenen Jahren versucht, der Bevölkerung Moringa schmackhaft zu machen-ein Wurzelgemüse. „Statt Rindfleisch oder Milch kann man gebratene Moringa oder Moringa-Crème verwenden, erläutert meine Begleiterin. „Fidel sagt, dass der Moringabaum all unsere Ernährungsprobleme lösen kann. Er will, dass wir ein Moringa-Land werden."

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Die Idee hat sich nicht durchgesetzt. Die Kubaner lieben das Fleisch zu sehr. Deshalb bin ich erleichtert, als ich sehe, dass auf diesem Markt kein Fleischmangel herrscht. Allerdings gibt es keinerlei Kühlung, sodass die Fleischbrocken in der tropischen Hitze von Fliegen umschwärmt werden.

Ich sehe, wie Schweineschultern auf einer alten, rostigen Schubkarre herangekarrt werden. Fast das gesamte Fleisch auf dem Markt stammt vom Schwein; Lammfleisch ist die Ausnahme. „Gibt's auch Rind?", frage ich einen Fleischer.

„Auf keinen Fall", sagt er. „Niemals."

Als ich zum nächsten Stand gehe, kommt ein Mann auf mich zu und wispert: „Papas, papas."

„Was will er?", frage ich meine Dolmetscherin nervös.

Quiere papas?", flüstert der Mann etwas lauter.

„Nein, nein", unterbricht sie. „Der Mann will Schwarzmarkt-Kartoffeln verkaufen."

„Schwarzmarkt-Kartoffeln?"

„Es ist verboten, Kartoffeln auf den Märkten zu verkaufen", erwidert sie. „Weil die Regierung den Kartoffelhandel kontrolliert, sind alle Kartoffeln Staatseigentum." Inzwischen fragt ein anderer Mann, ob wir an camarones interessiert seien.

„Schwarzmarkt-Garnelen?", frage ich.

„Ja, auch Garnelen sind perdido."

Ich wende mich dem Mann zu und schüttle den Kopf. Da wir nicht interessiert sind, bietet er andere Dinge an. „Quiere pescado? Langosta? Papas? Papas?" Als wir ihm eindeutig zu verstehen geben, dass wir nichts kaufen wollen, schleicht er davon wie ein kleiner Drogendealer, der sich ein neues Opfer suchen muss. Falls er Erfolg hat, kann er sich wahrscheinlich ein paar Burger leisten.

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Solche Begegnungen sind keine Ausnahme-so funktioniert ganz Kuba. Es gibt eine blühende Schattenwirtschaft. Alles, was man in den Hotels findet, gibt es durch das Búsqueda-Prinzip auch auf dem Schwarzmarkt. „Die Lebensmittel kommen vorne in die Lagerhallen hinein und wandern hinten wieder heraus", sagt meine Begleiterin. „Ein Teil wird immer abgeschöpft. Der Schwarzmarkt ist so groß, dass man alles bekommen kann, wenn man weiß, wen man fragen muss."

„Sogar Rindfleisch?"

„Sogar Rindfleisch."

An diesem Abend esse ich in einem neu eröffneten paladar, das ein paar Rindfleischgerichte auf der Karte hat. El Cocinero befindet sich in einem Backsteingebäude mit einem hohen Schornstein, der in die Abenddämmerung emporragt. Die ehemalige Erdnussölfabrik würde auch nach Brooklyn passen. Der Inhaber, Sasha Ramos, trägt einen langen Fidel-Castro-Bart und eine dicke Hipster-Brille. Er sagt, er verwende kubanisches Rindfleisch, das im Restaurant angeliefert werde. „Um ehrlich zu sein: Das Rindfleisch in Havanna ist nicht besonders hochwertig, aber immerhin ist es Rindfleisch", gibt er achselzuckend zu. „Wenn man es richtig zubereitet, schmeckt es tatsächlich nach Rind." Er hat recht: Die Rindfleischgerichte im El Cocinero sind akzeptabel, aber nichts Besonderes. (Die Meeresfrüchte dagegen sind hervorragend.)

Am späteren Abend bin ich mit der Auslandskorrespondentin eines internationalen Medienunternehmens verabredet. Sie bittet mich, ihren Namen nicht zu erwähnen, stimmt aber einem anonymen Interview zu. „Rindfleisch ist in Kuba extrem schwer zu beschaffen", sagt sie. „Aber die Kubaner lieben es mehr als alles andere. Wir hören oft, dass Kühe [Ochsen ersetzen in der Landwirtschaft die Traktoren] absichtlich auf die Fernstraßen getrieben werden. So kann man von einer ‚natürlichen Todesursache' sprechen und sie legal verzehren."

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Wir treffen uns im La Pachanga, dem berühmtesten Fast-Food-Restaurant in ganz Kuba. Ein Burger (aus 100 Prozent Rindfleisch, wie man mir versichert) kostet hier 3,20 Euro. Für einen Kubaner ist das ein ganzer Wochenlohn. Wie in allen besseren paladares und staatlichen Restaurants können hier nur diejenigen essen, die Zugang zu harter Währung haben: Ausländer, Paladar-Besitzer, unerklärlich wohlhabende Kubaner und ganz einfach Leute, die Geld aus dem Ausland bekommen.

Der Kellner sagt, die Burger seien aus kanadischem Rindfleisch. „Wir kaufen das Fleisch am Stück und drehen es selbst durch den Wolf", erklärt er. Ich bestelle die Spezialität des Hauses, bestehend aus zwei Scheiben Hackfleisch, einem Spiegelei, Käse und Speck. Wir bekommen sogar Cristal-Bier. (Wer CUC in der Tasche hat, für den ist nichts perdido.) Die 2,5 Zentimeter dicken Frikadellen stecken mitsamt den anderen Zutaten in einem etwas altbackenen Brötchen. Der Burger ist höher als ein normaler Burger in den USA, und er fällt halb um, als der Kellner ihn auf den Tisch stellt. Ich drücke ihn zusammen, atme tief durch und haue rein. Der Pachanga-Bacon-Cheeseburger schmeckt gut. Er ist sicher kein außerirdischer Gourmetburger, aber er ist völlig in Ordnung, auch wenn er diesen typischen künstlich-süßen Beigeschmack der Gewürze aus antikapitalistischen Ländern hat.

Während wir unsere Burger essen, wird mir klar, dass der Spaß daran zum Teil im Nervenkitzel besteht, weil man etwas potenziell Gefährliches tut. Als würde man Ketamin nehmen, das man dem Freund seiner jüngeren Schwester abgekauft hat. „Von kubanischem Essen werde ich immer krank", sagt die Korrespondentin. „Bei Presseterminen erzählen sich die ausländischen Journalisten gegenseitig, wie schlimm ihr Durchfall war. Aber hier im Pachanga ist das Essen in Ordnung. Früher gab es auch Burger in einem Lokal namens Burgui, aber die waren widerlich. Der Laden hat inzwischen zugemacht."

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„Glaubst du, das Fleisch kam aus den USA?", frage ich und spreche die mangelnden Kontrollen an.

„Möglicherweise. Ich weiß, dass man hier Rindfleisch aus Brasilien, Uruguay und Kanada bekommt. Manchmal auch aus den USA. Aber ich habe keine Ahnung, wo das Fleisch letztendlich landet."

„Kann es sein, dass das US-Fleisch für die Touristen bestimmt ist?"

„Ja", meint sie. „Aber du musst bedenken, dass alle Restaurants hier für die Touristen da sind. Jedes einzelne. Echte Kubaner essen weder hier noch in den paladares. Das können sie sich nicht leisten."

„Essen sie denn jemals Rindfleisch?"

„Selten. Eine Möglichkeit sind Tuben mit Hackfleisch, das mit Soja und anderen Zusätzen vermischt ist. Das nennt sich picadillo. Man will gar nicht wissen, was da alles drin ist."

„Und wie schmeckt das?"

„O Gott, das würde ich niemals essen-auch wenn es bei den Kubanern sehr verbreitet ist. Manche Ausländer füttern damit ihre Hunde, weil es hier kein Hundefutter gibt. Dazu vermischt man es mit Süßkartoffeln. Ich habe das einmal gekocht. Danach stank das ganze Haus dermaßen, dass ich mich fast übergeben hätte."

Das Problem der kubanischen Restaurants ist, dass die Köche keinen verlässlichen Zugang zu ordentlichen Lebensmitteln haben", sagt Tyler Wetherall. In ihrer Kolumne „Our Girl in Havana" schreibt sie für die Huffington Post über ihre Reiseerlebnisse in Kuba. „Wenn du das absolut typische kubanische Essen probieren willst, gehst du in eine Imbissbude, eine sogenannte cajita. Da bekommst du eine kleine Pappschachtel mit Kochbananen, Reis und Bohnen, dazu Schweinefleisch oder Hühnchen. Es kann allerdings sein, dass dir hinterher schlecht wird. Die schlimmsten Mahlzeiten meines Lebens habe ich definitiv in Havanna gegessen. Die Qualität kann unterirdisch sein. Manchmal hat man mir Sachen vorgesetzt, bei dem mir sofort klar war, dass ich die Finger davon lassen sollte."

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Tyler Wetherall empfiehlt mir ein weiteres paladar: Die Casa Miglis ist berühmt für ihre Köttbullar. (Der Inhaber, Michel Miglis, ist schwedischer Auswanderer. Das erklärt auch, warum es in seinem Restaurant „Preiselbeeren aus den tiefsten schwedischen Wäldern" gibt.) Als ich dort ankomme, treffe ich Miglis' Einkäufer, Enrique Ramón,5 der mir bereitwillig erklärt, wie er an das Rindfleisch für die Köttbullar kommt. Ramón ist ein leiser, aber hellwacher Mann. Für die Gastronomen sind gute Einkäufer wichtig, weil die Beschaffung der Waren so schwierig ist. In jedem Industrieland würde er als Angestellter eines Top-Restaurants einen eleganten Anzug tragen, aber Ramón trägt ein schäbiges T-Shirt und Shorts.

„In Kuba wird Rindfleisch oro rojo genannt-rotes Gold", erklärt er mir. „Der Staat kontrolliert den Rindfleischmarkt. So sehr die Kubaner das Rindfleisch auch lieben, sie bekommen es leider nicht."

„Aber warum bekommt man Rindfleisch in den paladares?", frage ich.

„Als paladar haben wir die finanziellen Mittel-CUC-und können es legal kaufen", erläutert Ramón. „Dennoch ist es nicht einfach. Wir wollen gute Qualität, und die ist schwer zu finden."

Ich hake nach: „Aber ist Rindfleisch nicht generell schwer zu finden?"

„Das stimmt", antwortet er mit einem gequälten Lachen. „Aber Rindfleisch zweiter Güte findet man leichter als Rindfleisch erster Güte." Ramón will mir zeigen, wo er sein Fleisch kauft. Er weiß nicht, woher die verschiedenen Güteklassen stammen, denn er kauft es einfach an der Fleischtheke eines großen Supermarktes, in dem man mit CUC bezahlt. Der Supermarkt heißt Centro Comercial Palco und gehört dem Militär. Ramón zufolge ist der Sonntag ein guter Tag für Rindfleisch, also verabreden wir uns für den nächsten Tag.

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Warum ist Rindfleisch in Kuba so schwer zu bekommen? Das ist eigenartig, vor allem wenn man bedenkt, dass hier 1959, vor Castros Revolution, mehr Kühe als Menschen lebten. Über sechs Millionen Rinder für etwas weniger als sechs Millionen Menschen, erzählt John Parke Wright IV, ein Händler aus Florida, der Kühe nach Kuba verkauft. Seine Familie betreibt die Lykes Ranch, eine der größten Rinderfarmen der USA, und sie macht seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Geschäfte mit Kuba.

„Was ist aus dieser großen Rinderzucht-Tradition geworden?", frage ich ihn.

„Die haben alle Kühe aufgegessen."

Ich lache, weil ich das für einen Witz halte. „Nein, ganz im Ernst", sagt er. „Vor ein paar Jahren habe ich einen der comandantes aus Revolutionszeiten gefragt, wo der Fehler liegt. Er meinte: ‚Wissen Sie, wir hatten Hunger, wir waren jung-also haben wir sie gegessen.'"

In den 1970ern und 1980ern füllten die Sowjets den Bestand mit kräftigen Holstein-Rindern auf. Aber als Futter brauchte man Getreide, und als die UdSSR auseinanderbrach, brach auch die Getreideversorgung zusammen. Wegen des Klimas allein konnte man die Herde nicht von kubanischen Gräsern ernähren-und so verendeten Zehntausende von Kühen auf den Weiden.

Wright ist zwar gut vernetzt, aber selbst er weiß nicht, wie viel Rindfleisch die USA nach Kuba exportieren. Wenigstens ungefähr vielleicht? „Poco", meint er. Ganz wenig. Die Menge sei in den letzten zehn Jahren zurückgegangen, fügt er hinzu. Einerseits wegen der lästigen Handelsbeschränkungen, andererseits wegen der stark gestiegenen Preise. Wright glaubt, der Preis sei der Hauptgrund für den Mangel an Rindfleisch. „Es fällt ihnen schon schwer, die Menschen zu ernähren", fasst er zusammen. „Von den Tieren ganz zu schweigen. Und Rindfleisch für 8 oder 10 Euro pro Kilo kann sich letztlich niemand leisten."

Ich erkläre ihm, dass das Fleisch, wenn es doch mal erhältlich ist, für 45 Euro pro Kilo über den Ladentisch geht. „Mann, das gibt's doch nicht", ruft er und denkt nach. „Das muss sich einfach ändern. Da drüben muss sich vieles ändern, das geht gar nicht anders."

Genauso empfindet auch ein erfolgreicher Gastronom, mit dem ich an einem Abend bei Rum und Zigarren zusammensaß. Aus dem verfallenen steinernen paladar blickten wir auf eine apokalyptische Landschaft aus fensterlosen Häusern, die von Hurrikans zerstört waren. Er war großzügig, wie die meisten Menschen in Kuba. Und wie viele andere bat er mich, seinen Namen nicht zu nennen. „Kuba will den Wandel", sagte er. Er wünschte sich ein demokratisches Kuba, das mit dem Rest der Welt Handel treibt. Als ich seine Worte notierte, bestand er darauf, nicht mit dem Zitat in Verbindung gebracht zu werden. „Denken Sie dran: Wir leben in einer Diktatur", sagte er und bot mir noch einen Rum an.

Seine Worte schienen eigentlich unverfänglich zu sein. Aber die Angst, die ich an jenem Abend in seinen Augen sah, hatte ich während meiner Recherchen zu diesem Thema immer wieder erlebt. Eine Erinnerung daran, dass man in Kuba immer noch nicht offen über Demokratie und Freiheit sprechen kann. Die Revolutionäre und Freiheitskämpfer haben ihr Volk angeblich von den Fesseln der Unterdrückung und des imperialistischen Kapitals befreit. Aber 55 Jahre später ist die Insel eine isolierte Autokratie, die Milliarden für Lebensmittel ausgibt, die zum Teil auch noch von ihrem größten Feind stammen. Die Bevölkerung ist verarmt, obwohl Bildung und medizinische Versorgung kostenlos sind. Die Kubaner sind so „frei", dass sie nicht reisen dürfen und aus Angst vor Repressalien ihre Ansichten für sich behalten. Sie leiden an Unterernährung und bekommen nicht einmal ihr geliebtes Rindfleisch.

Für sie ist Moringa kein Ersatz für ein bistec de palomilla. Die Kubaner bezeichnen sich selbst als „Karnivoren"; Rindfleisch ist ihnen wichtiger als jedes andere Lebensmittel. Aber noch trauriger als der Versuch der Regierung, Steaks durch Obstschalen und Wurzelgemüse zu ersetzen, ist die Tatsache, dass die Kinder keine Milch bekommen. Das passiert, wenn alle Kühe der Regierung gehören-und wenn der Staat ein autoritäres Regime ist, dessen Guerillaführer die Rinder aufgegessen und ihre eigenen Gesetze gemacht haben.

„Das Leben ist sinnlos ohne Visionen", hat Fidel einst erklärt. „Es gibt keine größere Freude, als in ihrem Namen zu kämpfen." Das mag glorreich klingen, aber die Kubaner werden heute vom Staat durch unendlich viele Maßnahmen gegängelt, und die wenigsten davon erscheinen sinnvoll. Wer seine Meinung sagt, kann dafür hingerichtet werden. Kein Wunder, dass man schon ins Gefängnis kommt, wenn man eine Kuh schlachtet. Allein 2013 waren 5.300 Dissidenten ohne Begründung inhaftiert. Wer in der Privatwirtschaft zu erfolgreich ist, kann immer noch vor ein staatliches Komitee zitiert werden. Der Unternehmer hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder übergibt er seine Firma an den Staat, oder er geht ins Gefängnis. Das ist la libertad in dieser kafkaesken Fantasiewelt, und deshalb riskieren immer noch Menschen ihr Leben auf dem Meer, um vor den Visionen zu fliehen, für die Fidel und Che so tapfer gekämpft haben.


5 Name geändert

Foto der russischen Botschaft: Manuel Castro via Flickr Creative Commons

Am Sonntagmorgen erklärt mir Enrique Ramón vom Migles, dass er mit mir nicht in den Devisen-Supermarkt fahren kann, um Rindfleisch zu kaufen. Also fahre ich ohne ihn ins Centro Comercial Palco. Der Weg führt durch den ehemals reichen Stadtteil Miramar. In dieser Enklave befinden sich einige berühmte Gebäude: vom Karl-Marx-Theater bis zur extravaganten russischen Botschaft. Es heißt, der gewaltige konstruktivistische Bau symbolisiere ein Schwert, dass man den USA ins Herz gerammt habe.

Der Supermarkt selbst ist eher langweilig-eine Art tropische METRO-Filiale, allerdings mit einer sonderbaren Ansammlung importierter Spezialitäten. Von wagenradgroßem Comté-Rohmilchkäse bis zu spanischem Ribera del Duero-Wein für 270 CUC pro Flasche. In den Tiefkühltruhen gibt es massenweise Hähnchen aus den USA. Und nach zehnminütiger Wartezeit kann man an der Fleischtheke sogar ein paar Stücke Rindfleisch kaufen. Aus Kanada.

Aber wo ist das Rindfleisch aus den USA? Während meines gesamten Aufenthalts habe ich keinen eindeutigen Hinweis darauf gefunden. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für den Verbleib des Fleisches: Entweder landet es in den staatlichen Restaurants der großen Hotels (im Gegensatz zu den paladares müssen sie nicht im Supermarkt einkaufen, sondern bekommen ihre Ware direkt aus den Lagerhäusern der Regierung), oder es steckt in den Picadillo-Tuben. Auf den Tuben, die ich auf dem Heimweg in einer Bodega in Miramar finde, wird allerdings als Herkunftsort Mexiko angegeben.

Als ich mich an meinem letzten Abend in Havanna mit kubanischen Freunden unterhalte, erzählen sie mir, dass man das Rindfleisch in kubanischen Restaurants heute nicht mehr meiden müsse. Schlimmer sei das Hühnerfleisch. John Parke Wright IV hat am Ende recht behalten: Die USA liefern nur poco poco Rindfleisch nach Kuba. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, weil viel weniger Rindfleisch als gefrorenes Hühnerfleisch exportiert wird. Jeder, der einen Internetzugang hat-und sei es nur das instabile WLAN-Signal im Hotel Nacional für 17,50 Euro pro Tag-kann ganz leicht herausfinden, wie viel amerikanisches Hühnerfleisch Kuba importiert. Und es ist sehr viel. Allein in den letzten fünf Jahren belief sich der Wert auf gigantische 607 Millionen Euro. Der größte Teil kam von Tyson Food, dem größten Fleischkonzern der USA. So ist das also mit dem Rindfleisch, denke ich, und schaue hinaus auf die endlosen Wellen, die in Richtung Norden plätschern, an die Küste Floridas-145 Kilometer und eine ganze Ideologie entfernt.