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Russische Aktivisten versuchen, Putins Anti-Schwulen-Gesetz zu ficken

Nikolai Alexeyev und Yaroslav Evtushenko sind die Ersten, die mit dem Bundesgesetz in Konflikt geraten sind. Alexeyev zufolge könnte ihre Verurteilung enorme Konsequenzen haben, weil sie die Möglichkeit eröffnet, das homosexuellenfeindliche „Propaganda...

Der russische Pro-LGBT-Aktivist Yaroslav Evtushenko beim Protest vor der Kinderbibliothek in Arkhangelsk

Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele, die im Februar in Sotschi stattfinden sollen, häufen sich die Klagen über Russland. Besonders starke Kritik zieht die staatlich sanktionierte Homophobie auf sich, die durch ein kürzlich erlassenes Bundesgesetz, das positive Äußerungen über gleichgeschlechtliche Beziehungen vor Minderjährigen strafbar macht, besonders deutliche Gestalt angenommen hat. Wo ist das Problem, fragst du dich vielleicht, Homosexualität ist in Russland seit 1993 legal, und daran ändert das Gesetz nichts? Nun, das Problem dieses gegen Queer-„Propaganda“ gerichteten Gesetzes liegt darin, dass es im Kern nichts anderes ist als eine öffentliche Kriegserklärung der Regierung gegen Homosexuelle.

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Indem Minderjährigen beigebracht wird, dass Homosexualität etwas Anomales ist, macht das Gesetz letztlich jede öffentliche Zurschaustellung von Homosexualität zu einem Gesetzesverstoß. Es zielt darauf ab, die russische LGBT-Community zu einem Leben in Verborgenheit zu zwingen und die öffentliche Meinung über Homosexuelle zu verzerren. Eine der vorhersehbaren Folgen des Gesetzes war ein Anstieg der homophoben Gewalt. In der Industriestadt Wolgograd wurde zum Beispiel ein 23-Jähriger mit Bierflaschen sodomisiert und zu Tode gefoltert—von Leuten, die er für seine Freunde gehalten hatte, bis sie herausfanden, dass er schwul war. Zudem schießen Bürgerwehrgruppen von Neonazis aus dem Boden, von denen einige eine aktive Jagd auf Schwule im Internet betreiben und sie mit Verabredungen an Treffpunkte locken, um schließlich Videos der zuweilen tödlich endenden Missbrauchshandlungen, die die Opfer dort erwarten, auf YouTube hochzuladen. Der Anstieg der Selbstmordrate unter russischen LGBT-Teenagern könnte ebenfalls damit zu tun haben, dass es Eltern und Lehrern nun verboten ist, Homosexuelle zu unterstützen.

Das Gesetz, das im Juni landesweit eingeführt wurde, war ein bequemer Weg für Putin, die Stimme der schwulen Minderheit zum Schweigen zu bringen und die überwältigende orthodoxe Mehrheit des Landes zufriedenzustellen. Am vergangenen Dienstag wurden die Aktivisten Nikolai Alexeyev und Yaroslav Evtushenko nach dem neuen Gesetz verurteilt—der Moscow Times zufolge sind sie die Ersten, die mit dem Bundesgesetz in Konflikt geraten sind. Die Männer wurden am Montag, dem 2. Dezember verhaftet, weil sie vor der Kinderbibliothek in Archangelsk Schilder hochhielten, auf denen stand: „Es gibt keine Homosexuellen-Propaganda, man wird nicht schwul, sondern kommt schwul zur Welt.“ und „Homosexualität ist normal. Das sollten Erwachsene und Kinder wissen.“ Sie wurden zu einer Geldstrafe von jeweils 4.000 Rubel (90 Euro) verurteilt, doch beide wollen Berufung einlegen.

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Alexeyev zufolge könnte ihre Verurteilung enorme Konsequenzen haben, weil sie die Möglichkeit eröffnet, das homosexuellenfeindliche „Propaganda“-Gesetz vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Der langjährige Aktivist, Rechtsanwalt, Journalist und Organisator der mittlerweile verbotenen Moscow-Pride-Demo wurde schon einmal wegen des gleichen Gesetzes verurteilt, damals war es jedoch noch ein kommunales Gesetz in St. Petersburg.

Von ihm erfuhr ich, dass Russland—zusätzlich zu Strafmaßnahmen aus der Zeit, als das Anti-Homo-Gesetz nur auf kommunaler Ebene wirksam war—dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bis Februar 2014 ein Memorandum vorlegen muss. Alexeyev hat es sich zum Auftrag gemacht, sich durchgehend im Blickfeld der Behörden zu bewegen und alle möglichen Genehmigungen zu beantragen, für kleine Demonstrationen bis hin zur Pride Parade—auch für eine in Sotchi. Da seine Gesuche durchweg abgelehnt werden, bleibt ihm und den anderen Mitgliedern der kleinen, aber dynamischen Gruppe russischer LGBT-Aktivisten nichts anderes, als in Einzelstreiks zu treten—denn das ist in Russland legal, auch wenn die Beteiligten trotzdem Geldstrafen und Verhaftungen erwarten.

Auf meine Frage, ob er Angst hat, im Gefängnis zu landen, antwortete er: „Ich weiß nicht, das hängt von den zukünftigen Entscheidungen des Gerichtshofs ab. Es ist sehr spannend zu sehen, was nun passiert. Als wir Montag verhaftet wurden, hielt sogar eine Passantin an. Sie las unser Schild und fragte: ,Warum unterstützt ihr das?‘ Ich antwortete: ,Ich unterstütze gar nichts, ich informiere nur.‘ Sie las das Schild noch einmal und sagte: ,Eigentlich stimme ich euch ja zu. Ich kenne selbst Homosexuelle und sie sind sehr nett.‘ Das sagte sie vor den Augen der Polizisten, die gerade überlegten, wie sie uns bestrafen können.“

Vielleicht gelingt es Alexeyev tatsächlich, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, und vielleicht wird Russland die Kritik aufnehmen. Es scheint jedoch wahrscheinlicher, dass Russland seinen homosexuellenfeindlichen Kreuzzug weiterverfolgt, um sich weiter als „Teil Europas, aber nicht des Westens“ zu etablieren, und sich über jegliche Kritik lachend hinwegsetzt. Wahrscheinlich ist es auch nur eine Frage der Zeit, bis LGBT-Aktivisten als Serientäter diffamiert und zu saftigen Gefängnisstrafen verurteilt werden.

Dieses Szenario ist deshalb so wahrscheinlich, weil Putin Staatsfeinde braucht, um Wähler zu mobilisieren und seine Macht zu erhalten—die LGBT-Community stellt dabei ein besonders leichtes Angriffsziel dar. Seit seinem Machtantritt ist er dabei, die zivilgesellschaftlichen Schrauben immer fester anzuziehen, und seit den Anti-Putin-Protesten im Anschluss an die Wahlen von 2011, die sein Ego ins Wanken brachten, sorgt er zunehmend für internationalen Aufruhr. Die Zukunft der russischen LGBT-Community und der unorthodoxen Zivilgesellschaft sieht düster aus, weil Putin schlichtweg alles dafür tun wird, um seine Stellung als selbsternannter Beschützer dessen, was er für Russlands nationalistische und orthodox-familienorientierte Werte hält, zu verteidigen.