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Popkultur

Scarface hat mir gezeigt, dass ich einen beschissenen Männergeschmack habe

Tony Montana ist ein psychotischer Wahnsinniger mit Suchtproblem—aber niemand trägt schöner pompöse Damenhüte.

Ich hatte schon immer ein Männerproblem. Nicht so wie das jetzt klingt. Ich liebe Männer. Ich verstehe mich gut mit ihnen. Ich finde sie in den meisten Fällen weniger anstrengend als Frauen und wenn man sich schon als Kind für Autorennen und Videospiele interessiert hat, legt man sich die Weichen für die späteren Präferenzen im Sozialleben ja auch irgendwie selbst. Tatsächlich bin ich, glaube ich, auch nur aus dem Grund nicht lesbisch geworden—obwohl ich Frauen extrem attraktiv und oft auch sehr anziehend finde—, weil ich so ein wahnsinnig großer Männer-Fan bin. Was ist also mein Problem? Ich bin so auf Männlichkeit fixiert, dass ich ein komplett verschobenes Bild davon habe, wie Männer, mit denen ich zusammensein will, zu sein haben. Der Mann, der mir das erst so richtig klargemacht hat, war Tony Montana.

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Unter Filmkritikern eher belächelt, von der Rap-Gemeinde und Dealern weltweit ikonisiert, ist Scarface ein Film, den man durchaus kontrovers diskutieren kann. Unter anderem auch wegen des Fakts, dass Brian de Palmas Meisterwerk von 1983 zu den Filmen gehört, in denen das Wort „Fuck" am häufigsten fällt. Ich habe diesen Film vom ersten Moment an geliebt, weil sich die komplette Handlung aus mehreren Dingen zusammengesetzt hat, die eigentlich jeder Mensch fantastisch findet, wenn er mal ganz ehrlich zu sich ist: Gesichtsnarben, 80er-Jahre-Hemden, Gewalt, Al Pacino und Koks.

Der „politische Gefangene" Tony Montana kommt von Kuba ins US-amerikanische Miami und baut sich dort innerhalb kürzester Zeit ein florierendes Drogenimperium auf. Dabei beweist er nicht nur außerordentliches Geschick dabei, seine Mitbewerber aus dem Weg zu räumen, sondern spannt seinem ehemaligen Arbeitgeber auch noch gleich die heiße Blondine aus. Am Schluss—und das sollte für niemanden einen Spoiler bedeuten—holen den zunehmend rücksichtsloseren und paranoiden Tony allerdings seine Probleme ein und im großen Finale bleiben weder Augen noch Hosen trocken. Weil alles voller Blut ist.

Hello!

Der Moment, in dem mir das Herz aufgegangen ist, war (glücklicherweise für meine Psyche) allerdings ein anderer. Neben all dem drauf sein, den creepy Situationen zwischen Scarface und seiner Schwester und ziemlich viel Geldgezähle gibt es nämlich auch eine Liebesgeschichte, im Rahmen derer Tony wirklich alles tut, um das Herz der blonden Elvira zu gewinnen. In einer Szene trägt er sogar einen pompösen Damenhut. Diese wenigen Minuten, in denen so was wie tatsächliche Menschlichkeit bei Montana durchscheint, waren für mein jugendliches Gehirn absolut ausreichend, um ihn heiß und innig zu lieben. Und wer sagt eigentlich, dass die im weiteren Verlauf des Films folgenden Hasstiraden gegen seine spätere Frau nicht nur ein sehr lauter und sehr speichelhaltiger Schrei nach Liebe sind?

Ich gebe zu: Ich gehöre nicht zu den geduldigsten Personen. Ich trete gegen Sachen, wenn sie nicht funktionieren, und habe auch schon mal meinen WLAN-Router angebrüllt. Es mag absurd klingen, aber auf eine gewisse Art und Weise habe ich in Scarface eine verzerrte Version meines inneren Selbst erkannt. Nur ohne Inzest, Waffen und Geld. Tony Montana schreit, wenn er schreien möchte, liebt, wen er lieben möchte, und wenn er einen verdammten Tiger haben will, dann kauft sich Tony Montana einen verdammten Tiger. ICH wäre gerne so konsequent wie Tony Montana, verdammt noch mal. Und weil ich das nicht sein kann (und in Anzügen aus den 80ern auch einfach albern aussähe), suche ich hinter jedem süffisanten Grinsen, jedem hastig geleerten Whiskeyglas und jeglicher Bereitschaft, sich für mich zu schlagen, einen Mann, der Scarface irgendwie ähnlich ist. Erschwerend hinzu kommt außerdem meine unnatürliche Begeisterung für Gesichtsnarben—wobei sich die Frage stellt, ob es überhaupt möglich ist, eine natürliche Begeisterung dafür zu hegen.

Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich für mich, dass ich bei den Leuten hängenbleibe, die ebenso charismatisch wie psychotisch sind, eine Aggressionsbewältigungstherapie bräuchten und zu viele ungelöste Konflikte mit sich selbst haben, um mit einer anderen Person glücklich zu werden. Ich weiß das, ich versuche, das zu ändern, aber egal wie viele flache Romantic Comedys ich mir auch anschaue: Ich habe einfach kein Interesse am „kleinen Freund" von familienkompatiblen Schnullis. Sorry, Seth Rogen.


Header-Foto: ehecatzin | Flickr | CC BY 2.0