FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

„Schwulenpanik“ ist in einigen australischen Bundesstaaten eine Legitimation für Mord

Wenn du dort als Mann glaubst, von einem anderen Mann angemacht zu werden, dann kannst du diesen Typen töten und wirst anschließend nicht mal wegen Mordes verurteilt.
Illustration: Michael Hill

In einigen australischen Bundesstaaten gilt immer noch folgendes Prinzip: Wenn du als Mann glaubst, von einem anderen Mann angemacht zu werden, dann kannst du diesen Typen töten und wirst anschließend nicht mal wegen Mordes verurteilt.

„Schwulenpanik" ist eine Art Provokationsverteidigungstaktik, die in Queensland und South Australia immer noch anerkannt wird. Im Einzelnen bedeutet das Folgendes: Wenn dich eine Person deines eigenen Geschlechts anmacht, dann kann dich der darauf folgende Schock gesetzlich gesehen kurzzeitig verrückt machen. Offiziell trägt das Ganze den Namen Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen und geht zurück auf eine Zeit, in der gewisse Situationen als ein Angriff auf die Ehre eines Mannes angesehen wurden und diesen Mann deswegen zu einer Tötung provozieren konnten, für die er nicht zu 100 Prozent verantwortlich war. Wenn man diese Taktik erfolgreich vor Gericht anwendet, dann ist es sehr gut möglich, dass die Anklage nicht mehr Mord, sondern „nur" noch Totschlag lautet.

Anzeige

Im Juli 2008 schlugen Jason Parce und Richard Meerdink Wayne Ruks auf einem Kirchengrundstück in Maryborough in Queensland zusammen und ließen ihn dort sterbend zurück. Während der Gerichtsverhandlung behauptete Pearce, dass sich Ruks ihm mit sexuellen Intentionen nähern wollte, was bei ihm aufgrund eines sexuellen Missbrauchs im Kindesalter zu einem Trauma geführt hätte. Er bekannte sich des Totschlags für schuldig und Meerdink wurde für dasselbe Delikt verurteilt. Im richterlichen Urteil wird jedoch auch angedeutet, dass die beiden aufgrund der Alkoholeinwirkung keine Tötungsabsicht besaßen. So ist es nicht klar, ob die Schwulenpanik beim Urteilsspruch der Geschworenen wirklich eine Rolle gespielt hat oder nicht.

Paul Kelly, der Pfarrer der Kirche, begann Ende 2011 damit, sich für die Abschaffung der Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen einzusetzen, und rief zu diesem Zweck eine Online-Petition ins Leben, die bis jetzt weltweit 226.000 mal unterschrieben wurde.

„Es gibt zwei unabhängige Fälle, bei denen ein Mann von zwei anderen Männern totgeschlagen wurde, und beide Fälle sind hier in der Region um Maryborough passiert", erzählte Kelly. „Schon ein Fall, bei dem die Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen eingesetzt wird, ist mehr als unglücklich, aber gleich zwei hintereinander sind dann doch fahrlässig und eine richtig heikle Angelegenheit."

Im zweiten Fall war der 62-jährige Anhalter Stephen Ward involviert, der sich John Peterson angenähert haben soll. Peterson sah daraufhin rot und erschlug Ward. Später schafften Peterson und sein Kumpel Seamus Smith den schwer verletzten Ward in eine verlassene Gegend und ließen ihn dort sterben. Während der Gerichtsverhandlung wurden Beweise vorgebracht, dass Peterson aufgrund sexuellen Missbrauchs an einer posttraumatischen Stressstörung litt. Daraufhin wurde er wegen Totschlags verurteilt, Smith wegen Beihilfe zum Totschlag.

Anzeige

Illustration: Michael Hill

Letzten Monat kündigte Yvette D'Ath, die Generalstaatsanwältin von Queensland, an, dass ihre Regierung Zusatzartikel zur Verfassung einführen wird, die sicherstellen, dass homosexuelles Flirten nicht mehr länger als Mord-Legitimation angesehen wird. Ein Pressesprecher ihres Büros sagte gegenüber VICE, dass diese Zusatzartikel eigentlich schon vom ehemaligen Generalstaatsanwalt Paul Lucas vorgebracht wurden, um jegliche Zweifel darüber auszuräumen, wie und wann man sich bei einer sexuellen Annäherung verteidigen kann. Eine solche Veränderung wurde Anfang 2012 von einem Expertenkomitee empfohlen, von der kurz danach gewählten Regierung ein paar Monate später jedoch wieder verworfen.

Mark Thomas, ein Anwalt des Verwaltungskomitees von LGBTI Legal Service Inc, war Mitglied der eben genannten Expertenrunde. Er erklärte uns, dass es in dem vorgeschlagene Zusatzartikel ausdrücklich heißen würde, dass sich das Ganze nicht auf ungewollte sexuelle Annäherungen oder das Berühren von Minderjährigen bezieht.

„Die Tatsache, dass man im Kontext einer gewaltlosen sexuellen Annäherung von einer Provokation reden kann und damit einen Mord rechtfertigt, ist absolut inakzeptabel", sagte Thomas und fügte noch hinzu, dass die Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen „anscheinend bedeutet, dass Homosexuelle vom Gesetz weniger geschützt werden als andere Menschen."

2003 schaffte Tasmanien die Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen ab, Victoria und Western Australia zogen schon bald nach. In Northern Territory und Australian Capital Territory wurden Zusatzartikel eingeführt, die gewaltlose sexuelle Annäherungen aus dem Ganzen ausschließen.

Anzeige

Ein Fall aus dem Jahr 1997, der etwas unglücklich als Green versus the Queen betitelt wurde, wird oft als der Anker der Schwulenpanik als Verteidigungstaktik im allgemeinen Rechtswesen angesehen. Im Mai 1994 machte Donald Gillies seinem Freund Malcolm Green Avancen. Der schlug Gillies daraufhin bis zur Unkenntlichkeit ins Gesicht und stach danach noch 35 Mal auf ihn ein. Anfangs wurde er noch wegen Mordes verurteilt, aber der Rechtsspruch wurde später auf Totschlag zurückgestuft.

Justin Koonin, ein Co-Funktionär der New South Wales Gay and Lesbian Rigths Lobby, erklärte VICE, dass das allerdings nicht der erste Fall seiner Art im Bundesstaat New South Wales gewesen sei. Die Verteidigungstaktik wurde zwischen 1990 und 2004 elf Mal angewandt und auch schon vor den 90er Jahren kamen solche gerichtlichen Fälle vor.

Ein Fall, der die Schwulenpanik-Verteidigung wieder ins öffentliche Licht rückte, ist der Mordprozess von Michael Lindsay. Lindsay behauptete 2013, dass er quasi zur Tötung von Andrew Negre provoziert wurde, weil sich der ihm wiederholt sexuell angenähert hätte. Die Geschworenen sprachen ihn des Mordes schuldig, aber vor Kurzem widerrief der Oberste Gerichtshof des Australischen Bundes das Urteil und ordnete eine erneute Verhandlung an. In den Augen der Richter war hier ein Justizirrtum vorgefallen. In South Australia kann zwar immer noch mit der Schwulenpanik argumentiert werden, aber der Richter der eigentlichen Verhandlung legte den Geschworenen nahe, diese Taktik komplett außer Acht zu lassen.

Laut Ian Purcell, dem Pressesprecher der Gay and Lesbian Health Alliance of South Australia, gäbe es keine Grundlage für eine erneute Verhandlung, wenn die Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen nicht mehr existieren würde. Der Schuldspruch der eigentlichen Verhandlung zeigt jedoch, wie sich die allgemeine öffentliche Meinung bezüglich dieses Themas verändert.

„Es ist schon interessant, dass die Geschworenen hier nicht mehr von der Verteidigung gegen homosexuelle Annäherungen beeinflusst wurden", meinte Purcell und stellte damit auch den Bezug zu einem Fall aus dem Jahr 1992 her, gegen den er damals eine Kampagne startete—zwei junge Männer wurden freigesprochen, obwohl sie einen Homosexuellen mittleren Alters mit einer Eisenstange halbtot geprügelt hatten. „Es schien so, als ob unter den Leuten immer noch ein gewisses Level an Homophobie herrschte, so dass die Taktik der Schwulenpanik erfolgreich angewendet werden konnte. So sind die beiden Verbrecher einfach so davongekommen."