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Schwulenpornos auf Twitter und ein Skandal, der mich jetzt schon langweilt

Der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs folgte Pornoaccounts auf Twitter. Wir finden seine Bilder von Wurstbergen auf dem Grill und seine Politik um einiges schlimmer als Typen, die sich gegenseitig ins Gesicht spritzen.

pic.twitter.com/vs6iliNMp2

— NikoReevesXXX (@NikoReevesXXX) March 29, 2014

Ein Bild vom Account von Nico Reeves, dem Kahrs bis zum „Enthüllungsartikel“ gestern gefolgt ist. Schockierend, ich weiß.

Gestern erschütterte der Tagesspiegel ganz Deutschland mit einem Artikel über den SPD-Politiker Johannes Kahrs, der doch auf Twitter tatsächlich Accounts folgt, die Pornobilder zeigen. Und dann auch noch homosexuelle! Schwule Pornos! Auf Twitter! Ich war entsetzt! Kurz danach riefen die 50er an und wollten ihre Sexualmoral zurück.

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Der Artikel ist auf einigen Levels schwierig. Man fühlt sich bei der Lektüre ein bisschen wie in einem jener Tatorte, in denen irgendwas in diesem Internet passiert. Und der „Cyberspace“ auch noch der letzten Mutti aus Eckernförde nahegebracht werden muss. Aber das wäre ja beim möglicherweise eher nicht-Twitter-affinen Tagesspiegel-Publikum nicht das Schlimmste, wären da nicht noch so einige andere Formulierungen, die einem irgendwie sauer aufstoßen könnten. „Homosexuelle verbreiten in diesen Accounts, denen sich Kahrs als Follower anschloss, Fotos von nackten Männern, von hinten und von vorn, beim Sex, teils in Gruppenaufstellung.“ HOMOSEXUELLE! Der Homosexuelle an sich hängt ja bekanntlich in Darkrooms ab, schnüffelt Poppers und kommt nur raus, um die beste Freundin beim Einkaufen zu begleiten. Und offensichtlich twittert er (bzw. sie, falls es sich um eine homosexuelle Frau handelt) Schwulenpornos.

Tatsächlich gehören die meisten der Accounts, denen Kahrs gefolgt ist, zu Pornodarstellern, die ja auch irgendwie Marketing betreiben müssen, einige von den anderen posten Bilder, die Werbung für andere Pornoseiten machen, und dann war auch „Shorty Joe White“ dabei. Ein Heterosexueller, der in seinem Account Bilder von nackten Frauen verbreitet, von hinten und von vorn etc. etc. Also merkst du selbst Tagesspiegel, oder?

Aber es geht natürlich noch unangenehmer: „Die abgebildeten Personen sind fast alle Jahrzehnte jünger als Kahrs. Ob sie bereits volljährig sind, lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen.“ In zwei Sätzen haben wir das gernbediente Klischee vom schwulen Mann als ohnehin Quasi-Pädophilen plus der Fakt, dass Kahrs offenbar eher auf jüngere Typen steht. Was für einen Nachrichtenwert hat das und was für eine Art von verklemmter Sexualmoral ist das denn bitte? Und ist es nicht eigentlich wirklich eine Unverschämtheit, dass man diesem Mann quasi im Nebensatz andichtet, er schaue sich Kinderpornos an? Hätte man bei der Recherche zu dem Artikel tatsächlich Material gefunden, das Sex mit Minderjährigen zeigt, hätte man das natürlich (und zu Recht) an die große Glocke hängen können. Aber einfach so mal diesen Satz in den Raum zu stellen, weil niemand der Darsteller seinen Ausweis in die Kamera hält, während er einen geblasen kriegt, ist schon ziemlich dreist und geht in eine ziemlich üble Richtung, bei der schwuler Sex direkt dreckig und illegal wird.

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Jetzt hört diese Saga ja nicht mit dem einen Artikel auf. Nachdem man sich auf Twitter, Facebook und den Kommentarspalten über den Artikel aufregt, fühlt man sich berufen, noch einen drauf zu setzen und in einem weiteren Artikel die eigene Berichterstattung zu verteidigen, was dann in dieser schönen Passage gipfelt. „Aber viele Eltern heranwachsender Kinder fragen sich im Rahmen der Pornographie-Debatte schon, was das mit ihren siebenjährigen Söhnen und Töchtern macht, die durch das Internet zu solchen Bildern oder Filmen leichteren Zugang bekommen.“ Die Kinder, denkt denn niemand an die Kinder? Genau diejenigen Siebenjährigen, die Pornos auf den Twitter-Accounts von SPD-Politikern anschauen. Über die gilt es sich doch hier Gedanken zu machen! Klar zeugt es nicht gerade von der größten digitalen Intelligenz, mit einem offiziellen Account Pornodarstellern zu folgen. Vor allem ist es auch ein bisschen rücksichtslos, weil man davon ausgehen kann, dass auch Mitarbeiter von Kahrs zeitweilig den Account betreuen und sich dann mehr oder weniger unfreiwillig Fotos von Dildos in Männerärschen anschauen müssen. Aber anhand dieser Geschichte zu versuchen, eine (weitere) generelle Debatte über Pornos im Internet aufzumachen, ist genauso an den Haaren herbeigezogen, als würde sich, weil jemand ins Becken gepinkelt hat, eine Bürgerinitiative gründen, die die Schließung aller Schwimmbäder fordert.

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An Johannes Kahrs kann man echt eine Menge kritisieren. Man könnte beispielsweise mal Silke Dose fragen. Die war 1992 eine Konkurrentin bei den Hamburger Jusos. Kahrs rief sie immer wieder mitten in der Nacht an und bedrohte sie, natürlich anonym. Das kam dann allerdings raus, er musste sich entschuldigen und 800 DM an Unicef zahlen. Oder die Parteispenden von Waffenfirmen. Und die vielen Zufälle, die schließlich dazu führten, dass Etats für Panzereinkäufe zu Gunsten der spendenden Firmen plötzlich von zwei auf drei Milliarden Euro steigen, während Kahrs Mitglied im entsprechenden Haushaltsausschuss ist. Oder die House of Cards-mäßigen Winkelzüge, die zeigen, dass es Kahrs nicht um sozialdemokratische Politik, sondern einfach nur um pure Macht geht.

Aber dass er Pornos anschaut, auf Twitter? Bitch, please.

nach dem turnen, abendgestaltung mit freunden. traumschön! pic.twitter.com/knSDemrnSA

— Johannes Kahrs (@kahrs) July 26, 2014

Übrigens finde ich ganz persönlich das Bild von diesen penishaften Würsten auf dem Grill und vor allem die Benutzung des Wortes „traumschön“ um einiges problematischer als ein Bild von einem Typen, der gerade einem anderen ins Gesicht spritzt. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

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