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Reisen

Sherpas erklären, warum sie nach der tödlichsten Saison seit Menschengedenken zum Everest zurückkehren

2014 tötete eine Lawine 16 Menschen. 2015 starben 22 Menschen und 60 wurden verletzt.
Sherpa am Mount Everest
Alle Foto von Daniel Oberhaus

Alle Fotos von Daniel Oberhaus

1953 schrieben Edmund Hilary und Tenzing Norgay Geschichte. Sie waren die ersten Menschen, die den höchsten Berges der Erde bezwungen hatten. Seitdem standen schon mehr als 4.000 Menschen auf dem Dach der Welt.

Und fast jeder dieser Aufstiege wurde durch die Hilfe von Angehörigen der Sherpa—einer im östlichen Nepal lebenden ethnischen Gruppierung—ermöglicht, die im Himalaya als Lastenträger und Bergführer arbeiten. Bergsteigen ist derartig tief in der Sherpa-Kultur verankert, dass manche sogar spekulieren, ihre Körper hätten sich im Laufe der Zeit so angepasst, dass ihnen die extreme Höhe nichts mehr ausmacht.

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Sherpa und nepalesische Arbeiter entspannen sich in einem Essenszelt

Sherpas sind bei Everest-Expeditionen gleich für mehrere Dinge verantwortlich—sie kochen, führen, befestigen Seile und schleppen die Ausrüstung der anderen Bergsteiger hoch und runter. Manche von ihnen besteigen den Everest in einer einzigen Saison gleich mehrere Mal.

Die letzten beiden Saisons waren die tödlichsten in der Geschichte des Everest und da die Sherpas quasi zum festen Inventar des Berges geworden sind, waren auch sie es, die bei den Unglücken die meisten Opfer zu beklagen hatten. 2014 tötete ein Lawinenunglück 16 Menschen—darunter 13 Sherpas—, was dazu führte, dass die Sherpa in einen Streik für bessere Sicherheitsbedingungen traten. 2015 erschütterte Nepal ein Erdbeben der Stärke 7,8 und löste eine gigantische Lawine aus, die 22 Menschen tötete—10 davon Sherpa—und mehr als 60 verletzte. Nach diesem Unglück sagten die Expeditionsveranstalter alle weiteren Touren ab und zum ersten Mal in 41 Jahren bestieg niemand den Everest.

Dieses Jahr sind allerdings viele Sherpa zum Everest zurückgekehrt. Ich bin mit einem Übersetzer zum Basislager gereist, um zu erfahren, was sie dazu gebracht hat, wieder hierher zu kommen, nachdem die letzten beiden Jahre von derartig schlimmen Tragödien überschattet worden waren.

Ang Kamy

Mit 64 ist Ang Kamy einer der ältesten Sherpa, die am Everest arbeiten. Er kommt seit 1975 jedes Jahr hierher, um den Berg zu besteigen und obwohl er an 35 Expeditionen teilgenommen hat, hat er noch nie den Gipfel erreicht. Stattdessen ist er der Führer der sogenannten Icefall-Doctors, einem Eliteteam aus acht Sherpas, die Seile und Leitern im Khumbu-Eisbruch befestigen. Bergsteiger sind auf sie angewiesen, um den Gipfel sicher erreichen zu können.

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Der Khumbu-Eisbruch wird von Bergsteigern als der furchterregendste Teil des Aufstiegs empfunden. Es ist eine Todesfalle aus bröckelnden Eissäulen und schier bodenlosen Gletscherspalten, die dafür bekannt sind, ganze Expeditionen zu verschlucken und die man nur mithilfe von Leitern überqueren kann. Die meisten Bergsteiger wollen diese Passage einfach nur so schnell wie möglich hinter sich lassen, aber für Ang Kamy und sein Team ist es wie ein zweites Zuhause.

Zwei bis drei Wochen bevor die Expeditionsteams im Basislager ankommen, um die Klettersaison zu eröffnen, stoßen die Icefall-Doctors zum Gletscher vor. Sie reparieren Seile, Befestigungen und Leitern bis rauf zu Camp 2 auf etwa 6.000 Metern Höhe—dem zweiten von vier Lagern, in denen sich die Bergsteiger auf dem Weg zum Gipfel ausruhen. Da es sich bei dem Eisbruch um einen Gletscher handelt, ist er ständig in Bewegung und muss regelmäßig gewartet werden. Eisbrocken haben vielleicht ein Seil eingeklemmt oder Gletscherspalten sich innerhalb von wenigen Stunden um ein- oder zwei Leiterlängen geweitet.

Es ist ein gefährlicher Job, aber für Kamy—der seit 1999 als Icefall-Doctor arbeitet—liegt darin auch der Reiz.

"Ich bin [vom Lastenträger] zu den Icefall-Doctors gewechselt, weil ich die Gefahr mag und den Expeditionen gerne den Weg frei mache", sagte er mir. "Meine Familie sagt mir ständig, dass ich aufhören soll, auf den Everest zu gehen, weil sie Angst um mich haben. Aber ich mag es hier. Ich mag es, die Bergsteiger glücklich zu machen."

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2014, als es zu der großen Lawine kam, hätten Kamy und die anderen Doctors eigentlich unter den Opfern sein müssen, aber gerade an diesem Tag war es beim Frühstück zu einer Verspätung gekommen, wodurch sie später als geplant zum Eisbruch kamen. Das rettete ihnen am Ende das Leben.

Und letztes Jahr am Morgen des Erdbebens kamen Kamy und sein Team wegen schlechter Wetterbedingungen früher als sonst vom Berg zurück. Als sie das Basislager erreichten, war ihr Mittagessen fast fertig, also setzten sie sich zusammen in das große Essenszelt. Das Erdbeben ereignete sich gegen Mittag und löste eine gigantische Lawine am Basislager aus, die alle persönlichen Zelte der Sherpa wegfegte. Alle Doctors überlebten, aber wie Kamy trocken zu mir sagt: "Wären wir in unseren eigenen Zelten gewesen, wären wir jetzt alle tot."

Nichtsdestotrotz besteht er darauf, dass sich auf dem Berg "nichts geändert hat" und es keinen Grund geben würde, nicht zurückzukehren. "Das Erdbeben war nur eine Herausforderung der Natur", sagte er zu mir. "Auch ohne das Erdbeben ist der Gletscher ständig in Bewegung."

Tenjing Dorji

Tenjing Dorji führt seit 1993 Bergsteiger auf den Everest—da war er 24. Er ist seitdem zehn Mal auf dem Gipfel gewesen.

"Als ich anfing, waren Sherpa nicht sehr gebildet", erzählt Dorji mir. "Aber ich habe mit dem Klettern angefangen, um Geld zu verdienen, damit ich meinen Töchtern und meinem Sohn eine gute Bildung ermöglichen kann."

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Laut Dorji verdienen Sherpas in der Regel und je nach Expeditionsfirma zwischen 3.000 und 4.000 US-Dollar als Grundgehalt. Sie können dann noch 1.000 Dollar zusätzlich verdienen, wenn sie ihr Team erfolgreich zum Gipfel führen. Das klingt vielleicht nicht nach viel, aber in einem der ärmsten Länder der Erde ist das kein schlechtes Geld. Das Durchschnittseinkommen in Nepal liegt lediglich bei etwa 700 US-Dollar.

Dorjis Sohn, der jetzt 25 ist, hat zwar die Bildung bekommen, die ihm sein Vater versprochen hatte, trotzdem ist er in seine Fußstapfen getreten und führt jetzt ebenfalls Expeditionen.

"Die Kultur hier in Khumbu ist halt so", erklärte mir Dorji "Selbst wenn sie die Gelegenheit bekommen, für die Regierung zu arbeiten oder einen Bürojob irgendwo in Nepal haben können, gehen sie trotzdem lieber klettern."

Dorji befand sich letztes Jahr im Basislager, als die Lawine kam. Trotzdem sagte er zu mir, dass er keine Angst gehabt hätte, dieses Jahr zurückzukehren. Der schlimmste Teil bei seinem Job sei es, beim Aufstieg an den toten Sherpas vorbeizumüssen, deren Leichen aus logistischen Gründen nicht entfernt werden können. Es ist eine ständige Erinnerung daran, dass ein weiterer Tag hier nicht garantiert ist.

"Unsere Vorfahren haben schon den hohen Berg bestiegen—das ist unsere Kultur", sagte Dorji. "Es gibt keine Garantie für die Sicherheit eines Sherpas. Es gibt nie irgendeine Garantie, bis du im Lager ankommst. Erst dann weißt du, dass du überleben wirst."

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Mingma Chhiri

Als ich Mingma Chhiri zum ersten Mal sehe, pellt sich seine Gesichtshaut vom Windbrand und den eiskalten Temperaturen. Als ich ihn gefragt habe, ob er in letzter Zeit geklettert ist, meinte er zu mir, dass er vor zwei Tagen zum ersten Mal den Gipfel bestiegen hat—er ist bei einer kommerziellen Expedition für die Fixierung des Seils zuständig gewesen. Seine Gruppe von acht anderen Sherpas war die erste, die den Gipfel diese Saison erreicht hat, und damit die erste, die den Berg in mehr als zwei Jahren bestiegen hat.

Chhiri arbeitet seit 2010 bei Expeditionen im Himalaya. Er ist hier durch seinen Bruder gelandet, der als Bergführer auf kleineren Gipfeln arbeitet. 2014 hatte er es bis zu Camp 2 geschafft, aber die Tragödie hielt sie davon ab, den Aufstieg zu vollenden. Als er 2015 zurückkehrte war er davon überzeugt, es endlich auf den Gipfel zu schaffen. Dann kam das Erdbeben und obwohl er überlebte, machte ihn die Erfahrung ängstlich.

Motherboard: Nur globale Gerechtigkeit kann eine Tragödie wie die in Nepal nachhaltig verhindern

"Ich hatte noch nie so ein Erdbeben erlebt und ich hatte keine Ahnung, wo die Lawine eigentlich herkam", sagte Chhiri. "Ich hatte Angst, dieses Jahr zurückzukehren, aber mein Bruder hat mich darum gebeten. Also habe ich die Zähne zusammengebissen."

Für viele andere Sherpa war das Risiko es allerdings nicht wert, wieder hierher zu kommen.

"In der buddhistischen Kultur hat die Zahl drei eine besondere Bedeutung. Wir hatten hier jetzt zwei Jahre hintereinander Unglücke. [Einige Sherpa] glauben, dass dieses Jahr auch ein gefährliches Jahr ist, weil es das dritte ist", erklärte er. „So viele erfahrene Sherpa sind dieses Mal nicht zurückgekehrt. Wenn dieses Jahr OK ist, werden sie nächstes Jahr wieder alle da sein, denke ich."

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Phu Chettar

Phu Chettar hätte nie gedacht, dass er mal am Everest arbeiten wird. Der 22-Jährige hat gerade seinen Abschluss als Zahnpfleger an einer Universität in Katmandu gemacht.

Seine wahre Leidenschaft ist aber das Bergsteigen. Vor der Uni hatte Chettar seine Freizeit damit verbracht, an den Bergen des Himalaya zu klettern. Zwischendurch arbeitete er auch als Bergführer. Nach seinem Abschluss hat er ein paar Ausbildungskurse gemacht und ist dann dem Team der Icefall-Doctors beigetreten. 2015 wurde er das jüngste Teammitglied.

"Ich habe mich sehr gefreut, auf dem Berg zu sein", sagte er mir. "Dann hatten wir dieses Erdbeben. Ich hatte richtig Angst. Es war ein schweres, erstes Jahr."

Aufnahmen aus dem Khumbu-Eisbruch aus der Perspektive eines Kletterers

Trotz seines harten ersten Jahres hatte Chettar keine Bedenken, dieses Jahr zurückzukehren. Das Abenteuer—und das Geld—lockten ihn an.

"Ich will irgendwann wieder zur Universität zurück und der Fakultät beitreten", sagte Chettar mir. „Dafür brauche ich Geld. Ich werde also wiederkommen."