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Sigmar Gabriel ist der Troll des Monats

Der SPD-Chef erpresst lieber seine eigene Partei, als zuzugeben, dass Vorratsdatenspeicherung eine Scheißidee ist.
Foto: imago/Metodi Popow

Am 14. November 2013 hielt Sigmar Gabriel eine Rede auf dem SPD-Parteitag. Es lohnt sich, daraus etwas länger zu zitieren:

„Nur weil wir an der Regierung sind, dürfen wir die Partei nicht wieder zum reinen Erfüllungsgehilfen der Regierungsarbeit verkommen lassen. Mitgleiderbeteiligung, offene Diskussionen und auch das Einfordern eines klaren sozialdemokratischen Profils … bleibt auch bei einer Regierungsbeteiligung die alltägliche Aufgabe der SPD-Parteiorganisation. Oder zugespitzt: Die eigentliche Bewährungsprobe für das Projekt ,innerparteiliche Demokratie wagen' kommt erst in der Regierungsverantwortung.

Nur wenn wir dann auch in schwierigen Situation, wie sie immer in Regierungen zustande kommen, weiterhin auf Beteiligung und offene Diskussionen setzen und nicht in alte ,Basta'-Zeiten zurückfallen, werden wir das glaubhaft einlösen, was wir uns jetzt in Oppositionszeiten immer wieder in die Hand versprechen."

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Das YouTube-Video von dieser Rede wird gerade auf Twitter kräftig geteilt—weil sie in der aktuellen Situation so absolut surreal klingt. Man könnte sie fast für eine dieser rückwirkenden Fälschungen von Jan Böhmermann halten—so krass ist der Kontrast zwischen Gabriels Worten von damals zu seinen Taten von heute. Im Grunde tut Gabriel seiner Partei im Moment nämlich genau das an, vor dem er damals so eindringlich gewarnt hat: Er versucht um jeden Preis, die Vorratsdatenspeicherung gegen den Willen der Parteibasis durchzudrücken und deren Meinungsäußerung zu ersticken, um die Regierungsarbeit mit der CDU nicht zu gefährden.

Gabriel will die Vorratsdatenspeicherung um jeden Preis, heißt es. Er hat zwar keine besonders guten Argumente dafür (er hat zum Beispiel erklärt, Anders Breivik wäre durch VDS gefangen worden. Das war eine ziemlich platte Lüge—Norwegen hatte zu dem Zeitpunkt gar keine Vorratsdatenspeicherung). Beobachter glauben, er will sie vor allem haben, damit die CDU ihm im Falle eines Anschlags keinen Strick aus seinem Widerstand dagegen drehen kann. Sigmar Gabriel will eure Penisse (hypothetisch gesprochen) also nicht mal sehen, weil er das geil findet. Sondern nur, weil er weiß, dass die CDU das geil findet (ebenfalls hypothetisch, natürlich).

Am Samstag soll jetzt die SPD-Fraktion darüber abstimmen, ob sie dem am Montag vom Partei-Präsidium vorgelegten Antrag zur Vorratsdatenspeicherung zustimmt. Bis jetzt sieht es nicht gut aus: 11 der 16 SPD-Landesverbände haben sich gegen die VDS ausgesprochen, sehr viele SPDler halten das Überwachungsprogramm für unvereinbar mit den Werten der Sozialdemokratie, und sie sagen das immer deutlicher. Mittlerweile gibt es sogar Youtube-Videos, in denen Willy Brandt als Cartoon erklärt, warum die VDS scheiße ist. Und was macht Gabriel? Freut er sich über die „offene Diskussion"?

Ganz im Gegenteil. Statt die Meinung der Basis zu hören, erhöht die SPD-Spitze (darunter Justizminister Heiko Maas, der die VDS eigentlich für rechtswidrig hält, von Gabriel aber zum Einknicken praktisch gezwungen wurde) massiv den Druck auf die Mitglieder. Dabei setzt sie nicht so sehr auf Überzeugungsarbeit (was daran liegen könnte, dass es keine guten Argumente für die VDS gibt), sondern auf Erpressung.

Die Generalsekretärin Yasmin Fahimi erklärte am Dienstag, sie „glaube, dass die SPD zu klug ist, um wegen der Auslegung eines Grundrechtsartikels (…) ihre Regierungsfähigkeit aufs Spiel (zu) setzen." Das bedeutet: Wenn ihr nicht für unser bescheuertes Projekt stimmt, gefährdet ihr die Regierungsfähigkeit der SPD in der großen Koalition.

Als die blöden Parteigenossen sich dann immer noch nicht den Mund verbieten ließen, gab Gabriel am Donnerstag Vollgas: Intern hat Gabriel offenbar mit seinem Rücktritt gedroht, wenn die Abstimmung am Samstag kein Erfolg für ihn und den Überwachungsstaat wird, berichtet die Bild.

Damit hat der SPD-Parteivorsitzende die süße Idee mit der „innerparteilichen Demokratie" erfolgreich getötet. Die SPD-Mitglieder haben jetzt nur noch die Wahl, entweder ihren Parteivorsitzenden mitten in der Regierungsperiode zu verlieren, oder einem Gesetzesentwurf zuzustimmen, den sie für unsinnig und gefährlich halten. Immerhin weiß die SPD jetzt sehr genau, was von den Versprechungen zu halten ist, die in Oppositionszeiten gemacht wurden, sobald man dann in der Regierung ist: nichts.