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"Viele Reichsbürger besitzen Waffen, um für den Kampf gegen den Staat gerüstet zu sein"

In Sachsen-Anhalt griff nun ein "Reichsbürger"-Ehepaar einen Polizisten an. Wir haben mit einem Kenner der Szene darüber gesprochen, wie gefährlich die Politsekte ist.

Seit ein Anhänger der "Reichsbürger"-Bewegung am Mittwochmorgen einen bayerischen SEK-Beamten tödlich verletzt hat, steht diese obskure Szene im Fokus der Öffentlichkeit. "Die Reichsbürgerbewegung ist nicht als Vereinigung von Spinnern abzutun", erklärte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann auf der Pressekonferenz nach der Tat.

Behörden gehen die Reichsbürger mit ihren endlosen, oft über Nacht per Fax verschickten Traktaten schon lange auf die Nerven. Trotzdem wurden die Leute mit ihren Fantasie-Uniformen und selbstgemalten Führerscheinen lange eher belächelt, im letzten Jahresbericht des Verfassungsschutzes tauchen sie nicht einmal auf.

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Nach den Vorfällen in Bayern ist das vorbei. Seitdem überbieten sich Politiker (fast) aller Parteien darin, die Gefährlichkeit dieser Bewegung und vor allem ihre Nähe zum Rechtsextremismus anzuprangern. Linke fordern, man müsse die "Reichsbürger" endlich klar als Nazis bezeichnen. Das Innenministerium hat den Verfassungsschutz angewiesen, "sich des Themas anzunehmen und die bisherigen Bewertungen zu überprüfen."

Gleichzeitig häufen sich die Vorfälle mit Reichsbürgern: Der bayerische Innenminister hat gestern bekannt gegeben, dass sogar in der bayerischen Polizei vier Reichsbürger aktiv seien—einer davon ist übrigens schon länger bekannt. Und am Donnerstagabend griff ein "Reichsbürger"-Ehepaar in Sachsen-Anhalt schreiend einen Polizisten an. "Der Irrsinn hört nicht auf", ereiferte sich die Bild. Wer heute die Zeitungen liest, könnte zu dem Schluss kommen, in Deutschland gebe es schon seit Jahren eine riesige, schwer bewaffnete Rechtsextremen-Sekte.

Eine der besten Quellen, wenn man etwas über "Reichsbürger" wissen möchte, ist der Blog "Eisenfraß". Seit Jahren beschäftigt sich der Betreiber, der im echten Leben als Beamter arbeitet und deshalb lieber anonym bleiben möchte, mit der Szene. Wir haben ihn angerufen, um herauszufinden, wie rechtsextrem die "Reichsbürger" wirklich sind.

VICE: Gleich zu Anfang: Wie eng ist die Verbindung zwischen Rechtsextremen und "Reichsbürgern"?
Ihre Thesen überschneiden sich. Die meisten "Reichsbürger" glauben, dass wir im Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 leben. Außerdem ist die Ideologie im Grunde eine antisemitische: Da geht es erstmal über die amerikanischen "Besatzer", hinter denen steht die "Finanzelite der Ostküste", und dahinter natürlich "die Juden".

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Es gibt aber auch zahlreiche personelle Überschneidungen. Gerade bei den "besorgten Bürgern" in Sachsen sind viele "Reichsbürger" dabei. Sogar im NPD-Parteiprogramm steht, dass Deutschland keine echte Verfassung habe, der Zwei-Plus-Vier-Vertrag kein Friedensvertrag und Deutschland deshalb nicht souverän sei. Das sind zwei klassische "Reichsbürger"-Thesen.

Trotzdem heißt das nicht, dass jeder Reichsbürger ein Nazi ist. Ich kenne türkisch- und marokkanischstämmige Reichsbürger. Das ist eine sehr heterogene Szene, nicht jeder vertritt alle diese teilweise widersprüchlichen Thesen. Die einen sagen zum Beispiel, Deutschland sei ein Verwaltungskonstrukt der Besatzer, die anderen behaupten, es sei eine Firma. Jetzt zu sagen, das sind alles Rechtsextreme, das ist genauso falsch wie vorher zu sagen, das sind alles harmlose Spinner.

Wie sieht denn ein nicht-rechtsextremer Reichsdeutscher aus?
Da gibt es es auch einfache Mitläufer. Jemand, der zehn Euro für Falschparken bezahlen soll, dann irgendwo im Internet liest, dass es das Ordnungswidrigkeitsgesetz nicht mehr gebe und dann damit argumentiert. Der merkt vielleicht gar nicht, dass die These aus der rechten Ecke kommt. Generell ist die Szene schwer zu fassen: Vom Einzelkämpfer über den Mitläufer bis zu kleineren Organisationen ist da alles dabei.

Wie lange beobachtest du die "Reichsbürger" schon?
Seit neun Jahren. Ich habe mich damals viel mit Verschwörungstheorien um den 11. September beschäftigt, da bin ich irgendwann auf diese Szene aufmerksam geworden. Da ich juristisch und politisch vorgebildet bin, hat mich das sehr interessiert. Das ist dann irgendwie ein Hobby geworden: Andere sammeln Briefmarken, ich sammle "Reichsbürger".

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Hast du in den neuen Jahren Veränderungen in der Szene bemerkt?
Ja, definitiv. Erstmal ist das enorm gewachsen: Am Anfang gab es nur ein paar Seiten, die sich damit beschäftigt haben, mittlerweile gibt es hunderte. Als 1985 die erste "Kommissarische Reichsregierung" gegründet wurde, waren das noch ganz wenige Leute. Das hat sich dann zuerst im Osten—Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen—ausgebreitet. Mittlerweile findet es aber immer mehr Verbreitung.

Woran liegt das?
Das hängt mit der generellen Staats- uns Politikverdrossenheit zusammen. Die Leute sind mit der aktuellen Politik nicht zufrieden und suchen Alternativen. Dann gibt es auch die Leute, die in wirtschaftlicher Notlage sind. Für die ist die Idee ansprechend, dass die Bundesrepublik illegitim ist. Weil sie glauben, dass sie dann keine Steuern oder Bußgelder mehr zahlen müssen.

Zum Beispiel: Beide "Reichsbürger", die in den letzen Monaten auf Polizisten geschossen haben—der aus Sachsen-Anhalt und der aus Georgensgmünd—hatten sehr ähnliche Biographien. Beide sind mit ihren Unternehmen pleite gegangen, und dann kam das Finanzamt mit einer Steuerforderung. Wenn man dann im Internet liest, dass Deutschland gar kein Staat ist und das Steuern nur illegale "Nazi-Gesetze" sind, dann ist es verlockend zu sagen: "Ich kann ja gar nichts dafür, die bösen Besatzer haben mich kaputt gemacht. Dagegen muss ich jetzt kämpfen." Viele "Reichsbürger"-Biographien fangen mit einer wirtschaftlichen Notlage an.

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Peter Fitzek, der es vom Bäcker zum selbsternannten "König von Deutschland" gebracht hat. Foto: Grey Hutton

Und dann spielt auch die psychische Komponente eine Rolle. Manche sind einfach psychisch krank. Manche sind schon immer Querulanten gewesen und sehen sich durch diese Ideologie plötzlich im Recht, andere haben einfach Paranoia und fühlen sich vom Staat verfolgt. Und bei den Funktionsträgern, die sich selbst zum "Reichskanzler" oder "König von Deutschland" ernennen, kommt dann auch Größenwahn und Narzissmus dazu.

Hat sich die Szene in letzter Zeit spürbar radikalisiert?
Ja, das konnte man vor allem in den letzten Jahren beobachten. Die sehen sich zunehmend als Freiheits- und Widerstandskämpfer. 2013 gab es ja den Fall von Daniel S. in Berlin, bei dem kiloweise Sprengstoff gefunden wurde und der auch übelste Drohungen ausgesprochen hatte. Dass da einer mal zur Waffe greift, war schon lange abzusehen. Ich fand eher erstaunlich, dass es so lange gedauert hat.

Was kann man gegen diese Leute tun?
Erstmal muss man sie als Bedrohung ernst nehmen. Und dann muss man konsequent gegen sie vorgehen. Es gibt zum Beispiel sehr viele Reichsbürger, die legale Waffen besitzen. Die haben sich Jagdscheine oder ähnliches besorgt, um für den finalen Freiheitskampf gegen den Staat gerüstet zu sein. Da muss man eingreifen.

Generell sollte man ihnen mit aller Konsequenz Grenzen setzen. Wenn wieder einer "AGBs" an eine Behörde schickt und tausende Euros "Verhandlungsgebühren" verlangt, dann ist das eine Nötigung und sollte von den Behörden nicht ignoriert, sondern verfolgt werden. Der Staat muss zeigen, dass er sich das nicht gefallen lässt.