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So optimierst du dein Leben in nur vier Wochen

Ich habe an einem Workshop mit dem Titel „2015: Like a Boss" teilgenommen und dabei wirklich mein Leben verbessert.

Foto: Ian Burt | Flickr | CC BY 2.0

Die Erleuchtung kommt in vielen göttlichen Formen daher. In meinem Fall war es ein Flyer, den mir jemand unter den Scheibenwischer meines Autos geklemmt hatte. Für nur 199 Dollar könnte ich laut diesem Flyer an einem vierwöchigen „Lebensoptimierungs-Workshop" teilnehmen und wöchentlich stattfindende Sitzungen mit „gleichgesinnten Menschen" erleben—oben drauf gab es noch zwei 30-minütige Telefonberatungen, „um mich in Topform zu bringen", aufgezeichnete Meditationen für meine „Fokussierung" und außerdem „eine optionale Reinigung, um einen topfitten Eindruck zu machen."

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Da ich schon eine Weile keinen Sex mehr hatte und bis zum Hals in einer scheinbar endlosen Existenzkrise steckte, schienen mir 199 Dollar richtig wenig Geld für so einen Workshop zu sein—auch wenn der Veranstalter ein Unternehmen namens ChicGuru war und das Ganze als „2015: Like a Boss" betitelt wurde. Ich hielt es für ziemlich unwahrscheinlich, dass ein Leben voller Besinnung mit einer solch hirnverbrannten Phrase zusammengefasst werden kann, aber hey—oft entwickelt man sich dann weiter, wenn man es am wenigsten erwartet.

Die anderen Teilnehmer der ersten Workshop-Sitzung sind zwar alle in bequemen Klamotten erschienen, sahen aber trotzdem ganz süß aus. Ihre schlaffen, herabhängenden Kleiderschichten erweckten in mir den Eindruck, als wären ihre Träger gerade aus einem Anthropologie-Katalog gestiegen. Ich nahm an, dass diese Schichten die Schichten darstellen sollten, die die Teilnehmer fälschlicherweise in sich selbst sahen. Ich hatte nicht das Gefühl, von „Gleichgesinnten" umgeben zu sein, sondern eher von sensiblen Hippies. Als Mensch, der lieber sterben als brunchen würde, fühlte ich mich vollkommen fehl am Platz.

Als sie sich vorstellten, bildete ich mir weiter mein Urteil, so wie ich es eben gewohnt bin. Ich hoffte darauf, dass mir der Kurs über dieses lähmende, überwältigende und allgegenwärtige Urteilen hinweg helfen könnte, denn genau das ist der Fluch meiner Existenz und das primäre Hindernis auf meinem Weg zu innerem Frieden. Da der Workshop aber gerade erst begonnen hatte, drückte ich noch mal ein Auge zu, als mir bei einer Frau das kalte Kotzen kam, nachdem sie sich als „kreative Kaiserin" vorgestellt hatte.

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„Gruppenarbeit ist etwas richtig Magisches", sagte eine der beiden Schamaninnen—eine Frau mit einem Lotus-Tattoo in ihrer Handfläche—nach dem Vorstellen. „Je mehr Menschen wir auf unserer Seite haben, desto mächtiger werden wir." Es fiel mir schwer, ihren passionierten Gedanken zum Ich zuzustimmen, da sie sich auf die Gruppendynamik bezogen. Ich bin noch nie eine große Teamplayerin gewesen. Ich lehne es ab, zu einer menschlichen Rasse zu gehören, bei der ich als Mitglied angesehen werde.

Unsere Gurus klärten uns darüber auf, dass man als „Chef" die volle Verantwortung für unser Leben und unser Handeln übernehmen müsse und sich nicht in die Opferrolle drängen lassen dürfe. (Das stimmt: Die meisten Chefs sind keine Opfer, sondern Täter. Wacht auf, ihr Schäfchen, und rebelliert gegen eure Unterdrücker!) Mir wurde gesagt, dass ich dieses scheinbar unmögliche Ziel erreichen würde, wenn ich meine Kraft nicht weiter für Dinge verschwende, deren Existenz mit mir nichts zu tun hat. Aber was würde ich dann mit der ganzen Hass-Kraft machen?

Das Thema der ersten Woche lautete „Die Vergangenheit loslassen" und führte uns zurück zum Zeitpunkt der Empfängnis (denn da beginnt das Leben). Uns wurde gesagt, dass unsere Lebenskraft da hingeht, wo wir mit unseren Gedanken sind. Wenn das die Vergangenheit ist, dann handelt es sich dabei um eine Form von Entmachtung—ein Wort und ein Gefühl, das ich nur zu gut kenne.

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Wir wurden angewiesen, in unser Inneres zu blicken und zu erkennen, was unsere Geschichten seien. Damit waren die Dinge gemeint, über die wir uns selbst definieren. Wer würden wir sein, wenn wir diese Geschichten loslassen? Die Angst vor dem Unbekannten hat die Kontrolle über unser Leben übernommen, wodurch wir selbstgefällig und veränderungsunwillig geworden sind.

Meine Geschichte? Ich bin eine wandelnde Entschuldigung. Ich verwende den Satz „Tut mir Leid, dass mir das gefällt" so oft, dass ich langsam glaube, dass es mir gar nicht mehr leidtut. Das ergibt auch Sinn. Es gibt nichts, das mir leidtun könnte, weil ich an nichts schuld bin. Meine Verantwortlichkeit geht ins Unendliche und basiert größtenteils auf der Vergangenheit. Ich kann einfach keine anständige und offene Person sein, weil ich nicht so erzogen wurde. Das rede ich mir zumindest ein.

Wenn ich sage, dass ich kein besserer Mensch sein kann, setze ich mir jedoch selbst Grenzen. Wenn ich in der Vergangenheit lebe, kann ich nicht nach vorne blicken. Ich wurde angewiesen, diese Vorbehalte beiseite zu legen und vorwärts zu gehen.

Im Laufe der Wochen fing ich an, die Macht zu erkennen, die meine Selbstgefälligkeit über mich hatte. Soll ich die passiv-aggressive SMS schreiben? Soll ich den ganzen Nachmittag im Bett verbringen und mir einreden, dass mich meine eigene Prokrastination so antriebslos macht? Soll ich mich weiter über die Tatsache ärgern, dass jemand vor einer Woche einen Hund mit in eine Bar genommen hat? Nein, nein und noch mal nein. Allerdings habe ich das jahrzehntelang gemacht, weil ich mich einfach daran gewöhnt hatte. Es fiel mir extrem schwer, das Ganze zurückzufahren. Das war jedoch nötig, um den Rest meines erbärmlichen Lebens nicht weiter so erbärmlich zu sein.

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Ich fragte Giana, eine der Gurus, warum ich so voreingenommen sei. Daraufhin meinte sie, dass ich eigentlich gar nicht voreingenommen wäre, sondern eher intuitiv und empfindlich. Ich fühle zu sehr, und das noch mehr als andere Leute. Deshalb fällt mir auch gleich die Beschissenheit meiner Mitmenschen auf. Wenn ich über jemanden urteile, dann mache ich das, um mich zu schützen und mich sicher zu fühlen. Mir muss jedoch klar werden, dass die Probleme anderer Leute auch wirklich die Probleme anderer Leute sind und mir deshalb egal sein können. Sie legte mir folgendes Mantra ans Herz: Mein ist mein, dein ist dein.

Meine Telefonberatung mit Naada, ihre in der Handfläche tätowierte Kollegin, war genauso erleuchtend. Sie sagte, dass sie meine Teilnahme am Workshop angreifbar fände. Ich pflichtete ihr bei. Genauso angreifbar ist es, wenn ich euch hier jetzt erzähle, dass ich ihre Ratschläge nützlich fand oder dass ein Kurs mit dem Namen „2015: Like a Boss" mein Leben tatsächlich verbessert hat. Ich meine, ich bin immerhin einer der größten Misanthropen, die es gibt—quasi Larry David mit Titten.

Am Anfang habe ich Naada und Gianna sowohl für ihre Ästhetik als auch für ihre Art verachtet. Das habe ich jedoch nur gemacht, um mich zu distanzieren und mich gar nicht erst auf das einzulassen, was ich als Hippie-Quatsch angesehen hatte. Ich wollte die Geschichte aufrecht erhalten, die ich als Skeptikerin und Person erschaffen habe, die sich als intelligent und etwas Besseres als Frauen ansieht, die das Leben von anderen Menschen verbessern wollen. Diese Geschichte gefällt mir nicht mehr und ich muss sogar sagen, dass sie mir nicht gut getan hat. Es ist wirklich ermüdend, die ganze Zeit so extrem kritisch zu sein. Genau deshalb will ich diesen Umstand ändern. Jeder Tag ist ein neues Kapitel.

Mir wurde beigebracht, dass es unnötig sei, sich mit den Handlungen und den Entscheidungen anderer Menschen zu beschäftigen. Man muss die scheinbaren Fehler seines Umfelds nicht in sich selbst aufnehmen, weil sie allgemein betrachtet unwichtig sind—es zählt nur, wie man diese Bedeutungslosigkeit auffasst. Wenn man die Probleme anderer Leute ignoriert, kann man sich besser mit den eigenen beschäftigen. Es fällt dir viel leichter, dich weiterzuentwickeln, wenn du nicht von unnötigem Missmut zurückgehalten wirst. Das ist echter positiver Existenzialismus, ganz im Gegensatz zu den halbgaren Weisheiten, auf die ich—wahrscheinlich betrunken—gekommen bin.

Die Art und Weise, wie Naada und Gianna ihre Botschaft vermarkten, ist natürlich nicht wirklich mein Geschmack, aber das mindert das Ganze nur so sehr, wie ich es zulasse. Ich habe mich darauf eingelassen und zugehört, anstatt einfach drauflos zu urteilen. So habe ich tatsächlich etwas gelernt und mich als Mensch weiterentwickelt. Wer bin ich denn auch, um mir überhaupt ein Urteil zu erlauben? Mein ist mein, ihres ist ihres.