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Wir wollen mit dir über Rassismus sprechen, nicht über schusselige Behörden

Wenn du mal junge Türken in Deutschland fragst, dann sind die Probleme nicht Zschäpe oder Behördenversagen, sondern dass hier kein Arsch über den breitgefächerten Rassismus spricht, mit dem sie täglich zu kämpfen haben.

Wir haben viel über die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds und den Prozess gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in den Nachrichten gelesen und gesehen. In regelmäßigem Abstand wird uns weiteres Behördenversagen offenbart und immer wieder erfahren wir von weiteren geschredderten Akten.

Ich frage mich, was schockierender ist, dass die Behörden so „schusselig“ gearbeitet haben, oder dass da ein von Hass zerfressenes Trio durch Deutschland gefahren ist, das über Jahre hinweg Menschen mit türkischen oder griechischen Wurzeln ermordet hat? Natürlich sind es die Opfer und deren Familien und Freunde, die am stärksten von diesen Verbrechen betroffen sind. Doch wie gehen eigentlich in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund mit den Verbrechen des NSU und deren Aufklärung um?

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Bei der 23-jährigen Hayriye, mit der ich über das Thema spreche, würde man nicht unbedingt türkische Wurzeln vermuten, doch ihre Großeltern kamen in den 70ern aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland. Sie ist mit einem Türken verheiratet, der Polizeibeamter ist, und sie selbst studiert BWL. Sie hat das Gefühl, dass die Aufklärung seitens der Behörden absichtlich vernachlässigt wurde, „ganz nach dem Motto: ‚Ach ein Türke mehr oder weniger, ist doch auch egal.‘“

„Es ist auch total verletzend, obwohl man hier ja geboren und aufgewachsen ist, bleibt man hier immer ein Ausländer. Auch wenn du einen deutschen Pass hast, die deutsche Sprache sprichst und integriert bist. Alle reden sie immer von Integration, aber genau da hat sie versagt. Von uns Türken wird immer verlangt, wir sollen uns anpassen, aber die Behörden vermitteln uns, dass wir nicht so viel wert sind.“

Die Integrationsdebatte läuft also falsch? „Zunächst mal würde ich mir einen offeneren Umgang mit dem Thema Rassismus wünschen. Als jemand mit ausländischen Wurzeln wird man ja fast täglich damit konfrontiert, man bekommt es ja immer irgendwie zu spüren.“

Hayriye schildert mir eine Situation, in der sie vor zwei Monaten eine Wohnung in Berlin besichtigt hat. Sie bemerkte, als der Vermieter einen Blick auf ihren Perso wirft und ihren Nachnamen las, wie er „Türke“ in seine Notizen schrieb und daneben ein Minuszeichen malte.

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„Ich denke, der Punkt Rassismus bei den ganzen Verbrechen ist sehr vernachlässigt worden, vielleicht, um die eigentlichen Motive runterzuspielen, weil man sowas in Deutschland einfach nicht wahrhaben will. Ich hab das Gefühl, man will endlich die Nazi-Geschichte hinter sich lassen und mit aller Gewalt versucht man, die heutigen Nazi-Verbrechen kleinzureden.“

Die Migrationsforscherin Prof. Dr. Anja Weiß entgegnet allerdings, dass „die mediale Aufarbeitung im Vergleich zu anderen rassistischen Gewalttaten relativ gut" ist, teilt aber trotzdem die Kritik, dass auf den strukturellen Rassismus in den Behörden nicht eingegangen wurde und er stattdessen als Behördenversagen kaschiert wurde.

Die 25 Jahre alte Zahnarzthelferin Selen sagt mir während unseres Gesprächs, dass sie auch den Eindruck hat, dass der NSU-Prozess vieles herunterspielt: „Viele wollen einfach nicht wahr haben, dass es noch einige Nazis hier in Deutschland gibt. Die meisten meinen ja, das war früher. Viel lieber ist ihnen ein positives Bild, deswegen will man lieber über rechtsextreme Gewalttaten schweigen. Man muss doch das Problem aber beim Namen nennen.“ Ihre hellblauen Augen funkeln, als sie sagt: „Mich macht das Ganze echt wütend.“

Mustafa

In Berlin-Neukölln treffe ich den 16-jährigen Mustafa, der dort mit seinen Freunden abhängt. Ich frage ihn, was er über die NSU-Morde weiß. „Ich verstehe das nicht“, sagt er, „dass die Türken getötet haben. Ich fühle mich hier eigentlich schon sicher, aber trotzdem lässt einen das nachdenken. Ich weiß nicht, warum die Polizei das so lange übersehen konnten.“

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Ich frage in die Runde, ob einer von den Jungs schon mal Erfahrung mit Fremdenfeindlichkeit gemacht hat. Der ebenfalls 16-jährige Erdjan berichtet mir von einem Fußballspiel, das er vor einigen Wochen hatte. Dort wurde er von den Jungs der anderen Mannschaft als „Kanake“ und „scheiß Türke“ beschimpft. Als er durch die Nachrichten von den Morden erfuhr, hat ihn das „voll aufgeregt, weil die ja nur Ausländer ermordet haben“, erzählt er mir.

Mustafa mit Erdjan in der Mitte und einem anderen dritten Freund aus dem Kosovo. In der Gruppe haben sie weniger Angst, auf den Straßen unterwegs zu sein. Wir passen aufeinander auf“, sagen sie. 

Ich frage die Migrationsforscherin Weiß, ob sie die Enttäuschung und die Wut vieler junger Türken nachvollziehen kann. „Ich kann die Unzufriedenheit junger Migranten sehr gut verstehen“, antwortet sie mir. „Fragen der Migration werden ganz überwiegend aus der Perspektive einer imaginierten Mehrheit behandelt. Da ist es für die konkreten Opfer und auch für die Menschen, die sich mit den Opfern identifizieren, sehr schwierig, sich in den Medien wieder zu finden. Die stehen oft mit dem Rücken an der Wand. Man kann sehr gut verstehen, dass Enttäuschung, Kritik und Frustration da sind. Ich denke, grundsätzlich ist die Wahrnehmung der jungen Türken ausgesprochen berechtigt.“

Später am Tag telefoniere ich mit Ahmed. Ich denke, er hat recht, wenn er meint, bei dem Interesse in diesem Fall kommt es darauf an, wie stark man politisiert ist. Ahmed ist 27 und studiert Kulturwissenschaft. Geboren und aufgewachsen ist er in Berlin-Kreuzberg. Er verfolgt die Mordserie schon lange. Bereits bevor die Zwickauer Terrorzelle aufflog, hegte er den Verdacht, dass die Morde zusammenhängen und vermutete ein fremdenfeindliches Motiv dahinter.

Mit seinen Freunden spekulierte er und stellte Vermutungen an. „Leute, die sich dafür interessieren, hatten schon früh das Gefühl, dass es was mit Rassismus zu tun hat. Die mediale Wiedegabe, besonders in der BILD mit „Kokain-Mafia“ oder „Döner-Killer“, hat die Leute wirklich getroffen.“

Ich merke schnell bei unserem Gespräch, dass er über die Rolle der Medien rund um die NSU-Taten sehr enttäuscht ist. So bemängelt er: „In den Medien wird es jetzt so dargestellt, als wäre das ein Problem der Behörden, das lenkt die Leute einfach nur ab. Ich finde es falsch, dass der große Schwerpunkt auf das Behördenversagen gerichtet ist. Mir und meinem Freundeskreis geht das tierisch auf die Nerven. Das eigentliche Thema, Rassismus, bleibt meiner Meinung nach weitestgehend außen vor.“

So ist er beispielsweise empört darüber, dass zum Jahrestag vom Brandanschlag in Solingen bei Anne Will eine Debatte über extremen Islamismus geführt wurde. „Das war für mich so ein Ding, wo ich mir dachte: Das kann doch wohl nicht wahr sein.“

Ahmed redet recht schnell und ich merke, dass ihm das Thema ziemlich nahe geht, und denke, er hat auch gute Gründe dafür. „Ich fühle mich als Mensch dieses Staates schlecht behandelt. Ich habe das Gefühl, auch wenn man hier geboren ist und die deutsche Staatsbürgerschaft hat, wird man von den Behörden und von den Medien nicht als gleichwertiger Bürger oder als gleichwertiger Mensch behandelt. Schlimm ist, dass diese Taten als Taten Einzelner abgetan werden. Dass es einen strukturellen Rassismus gibt, wird total ausgeblendet.“