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Ich war der erfolgreichste Kunstschmuggler der Welt

Michel Van Rijn genoss den Luxus von Privatflugzeugen, einem Harem voller wunderschöner Frauen und machte Geschäfte mit einigen der gefährlichsten Kriminellen der Welt.

Was machen wohl die Diebe, die gerade sieben unschätzbar wertvolle Bilder aus der Kunsthalle von Rotterdam gestohlen haben, mit ihrer Beute. Verkaufen? Geht nicht. Lösegeld? Wahrscheinlich. Am besten sollten sie aber Rat bei Michel Van Rijn holen. Er ist schließlich einer der größten Kunstschmuggler der Welt und kann ihnen bestimmt helfen.

Michel Van Rijn hat es geschafft, aus der Zunft des internationalen Kuntschmuggels ein eigene Kunstform zu machen. Es gab eine Zeit, da zierte sein Name Fahndungslisten auf der ganzen Welt, weil er wertvolle Kunstgegenstände von A nach B brachte. Er besaß Millionen und lebte das Leben eines Playboys. Er genoss den Luxus von Privatflugzeugen, einem Harem voller wunderschöner Frauen und machte Geschäfte mit einigen der gefährlichsten Kriminellen der Welt—viele von denen waren damals Regierungsmitglieder (und sind es vermutlich noch). Mit 20 fing er an, Kunst zu schmuggeln. Im Laufe seiner Karriere hatte er mit Verbrechern aus der Oberschicht und vermeintlich seriösen Kunsthändlern zu tun. Er wurde angeschossen, ausgeliefert, eingebuchtet, von MI6 und Interpol gejagt und erhielt Drohbriefe mit Fotos seiner Kinder. In den letzten Jahren hat er nicht besonders viele Interviews gegeben, aber ich habe es geschafft, ihn zu einem Gespräch zu überreden. Nach der Schule, bevor ich Journalist wurde, habe ich eine Zeit lang an illegalen Boxkämpfen teilgenommen, weshalb mich Michel—selbst ein alter Kämpfer—recht gut leiden konnte. Einst verlangten so viele nach seinem Kopf, dass die Leute von Scotland Yard angeblich Wetten darüber abgeschlossen haben, wie lange es noch dauern würde, bis ihn ein Auftragskiller um die Ecke bringt. Michel war kräftig gebaut, bärtig und schroff. Er begrüßte mich, zog an seiner Zigarette und erklärte sich bereit, mir von der lukrativen Welt des Kunstschmuggels zu erzählen und davon, wie er selbst zum King Pin dieser Welt wurde.

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VICE: Kunstschmuggel scheint keine Branche zu sein, in der man leicht Fuß fassen kann. Wie kamst du dazu?
Michel: Nun, als ich 15 war, bin ich von insgesamt sieben Schulen geflogen. Hatte wohl ADHS oder so. Ich habe die Schule verdammt noch mal gehasst und habe immer etwas gesucht, das ich selber machen konnte. Also habe ich billige Hippiemäntel aus Istanbul importiert. Das waren im Grunde umgedrehte Schafsfelle mit Ärmeln dran. Ich habe sie in diesem Café in Holland verkauft. Die gingen weg wie warme Semmeln. Also pendelte ich eine Weile ständig zwischen Istanbul und Holland hin und her. Das Geschäft lief gut und schließlich wurde ich in Istanbul einem Mann namens E vorgestellt.

E war damals sowohl im internationalen Kunsthandel als auch auf dem Schwarzmarkt tätig. Er hat wohl Potential in mir gesehen. In der Welt des illegalen Kunsthandels muss man gewisse Risiken eingehen, und vermutlich sah er in mir jemanden, der bereit war, das zu tun, und damit hatte er vollkommen Recht. Außerdem hatte ich einen niederländischen Pass, was sicherlich auch nicht geschadet hat.

E wollte dann, dass ich eine Ladung gestohlener, antiker byzantinischer Öllampen und Kruzifixe mit zurück nach Holland nehme. Ich habe es getan und die Teile für gutes Geld an private Sammler in Europa verkauft. Da er mit meiner Arbeit zufrieden war, nahm er mich beim nächsten Mal mit nach Armenien. E schmuggelte natürlich, und als wir ankamen, tranken wir mit dem dortigen Polizeichef erstmal etwas. Es gab diese riesige Organisation, die unzählige Stücke aus Moskau und Leningrad brachte. Die Russen und die Armenier waren wie Mafiafamilien. Sie waren sehr gut organisiert und arbeiteten zusammen. Wir nahmen eine Ladung Kunstwerke mit und flogen nach Beirut—der dortige Zoll steckte auch mit drin. Wir schmierten sie. Das war im Grunde das erste Mal, dass ich im großen Stil geschmuggelt habe.

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Was habt ihr geschmuggelt?
Ikonenbilder von Fabergé. Wir hatten Kisten über Kisten davon. Von meinem Sitz im Flugzeug aus beobachtete ich, wie sie in den Laderaum verfrachtet wurden, und konnte dabei kaum glauben, dass das tatsächlich so passierte. Du siehst, wie dein eigenes Gepäck ins Flugzeug gebracht wird und dahinter kommen dann drei gewaltige Kisten mit gestohlenen Kunstwerken.    Von einigen wurdest du als erfolgreichster Kunstschmuggler der Welt bezeichnet. Das ist ein hoher Titel. Was braucht man, um dieses Level zu erreichen?
Es ist ein ziemlich hochgestochener Titel, aber ja, Ich war einer von den Großen. Ich war sehr ehrgeizig. Es fing an, ernst zu werden, als ich im Anschluss an die Sache in Beirut nach Russland ging. In Russland arbeiteten alle Kunstschmuggler zusammen, damit sie ihre Fühler in möglichst vielen verschiedenen Ländern in Übersee ausbreiten konnten. Wenn du also mitgemischt hast und—wie ich vermutlich—ein vielversprechender Kandidat warst und im Kontakt mit einem der Clans standest, konntest du Kontakt zu allen Clans herstellen.
Ich war besonders stark involviert, da ich alle Leute kannte und alle erreichen konnte. Ich hatte Zugriff auf die Länder hinter dem eisernen Vorhang. Ich arbeitete mit VIPs. Glaub bloß nicht, dass das irgend so eine Hinterhoforganisation war—wir belieferten Leute in den höchsten politischen Ebenen. Mann musste nur dafür sorgen, dass jeder auf seine Kosten kam.
Ich kann mich an Abendessen mit VIPs erinnern, da war eine Nutte unterm Tisch. Man musste versuchen, sich nichts anmerken zu lassen, während sie da unten rum kroch und allen Typen Blowjobs gab.
Wer sein Gesicht nicht unter Kontrolle halten konnte, während sie ihm einen blies, musste die Rechnung zahlen. [lacht]
In Russland habe ich auch das Trinken gelernt, denn, wenn du nicht mit ihnen getrunken hast, haben sie dir nicht vertraut. Deshalb habe ich auch gelernt, so die Ikonen zu kaufen. [Hält seine Hand vor ein Auge, um zu zeigen wie besoffen er war] Dort habe ich die Basics gelernt. Die Russen sind sehr gelehrt. Ich hatte viel Spaß, so dass ich vergaß, dass das eigentlich meine Universität war. Das war das erste Mal, dass ich etwas über Schmuggel im Großen Stil lernte. Es gab einen Schwarzmarkt und ich wurde zu jemandem, der die Möglichkeiten hatte, alles im Westen zu verkaufen.

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An wen ging die Ware?
Du schleust dein Zeug bei Auktionen ein. Ich hatte eine Galerie und es gab unkomplizierte Käufer, für die du als Mittelsmann fungieren konntest. Der Gewinn war gewaltig. Waren sich deine Kunden darüber im Klaren, dass es sich bei den Sachen um Schmuggelware handelte?
Ja, verdammt, aber so was von! Schau, ich halte nichts von Verschwörungstheorien, aber der Kunstmarkt ist eine Milliarden-Euro-Industrie. Wenn der Schmuggel nicht in gewisser Weise toleriert werden würde, würden die Banken niemals ihr Soll erfüllen. Ich hatte Leute vom Zoll auf meiner Gehaltsliste … Schmuggeln war meistens gar nicht nötig, du konntest die Ware beinahe schon offiziell reinbringen, so lange du den richtigen Leuten ein bisschen was gesteckt hast. Was war das teuerste Stück, mit dem du je gehandelt hast?
Ich verarsche dich jetzt nicht. Eine einzige Lieferung aus Russland lag zwischen einer und drei Millionen, was in den 60ern ein ordentlicher Batzen Geld war. Und das waren regelmäßige Trips—zweimal im Monat. Das Geld fiel förmlich vom Himmel, deshalb machte ich Beirut zu meinem Hauptsitz. Was das Geld betraf, herrschte in Beirut ein freier Markt der Banken, das heißt, du konntest dir ohne Probleme eine Million Dollar umwechseln lassen, ohne dass irgendjemand Fragen stellte. Natürlich musstest du dich auf das alte Katz- und Maus-Spiel mit Interpol einlassen. Wie hast du es geschafft, denen so oft zu entwischen?
Du musst denen immer einen Schritt voraus sein. Viele konntest du schmieren, manche nicht. Ich war eingebildet. Ich zeigte mich ihnen manchmal. Es war dumm, aber es gefiel mir, über meine Schmugglerei in der Zeitung zu lesen, es zeigte denen, dass ich noch immer tun und lassen konnte, was ich wollte, obwohl sie hinter mir her waren. Ich reiste auch mit gefälschten Pässen, veränderte mein Aussehen, meine blauen Augen machte ich mit Kontaktlinsen braun, ich färbte mir die Haare blond … all die abgedroschenen Tricks. Damals hat das funktioniert.

Letzten Endes hast du dann mit der Polizei zusammengearbeitet. Woher der Sinneswandel?
Ich war auf der Flucht und wurde schließlich in meiner Villa in Marbella festgenommen. Ich kannte einen der italienischen Mafiapaten, der dort auch eine Villa hat. Wir sind gute Freunde. Also stand keine zehn Minuten nach meiner Festnahme sein Consigliere in meiner Zelle. Er sagte: „Felice kann leider nicht kommen, aber ich soll Ihnen seine besten Grüße ausrichten.“ Anschließend wurde ich nach Madrid geschickt, wo ich mit einem sehr hohen Polizeibeamten zu Abend aß. Er leitete es so in die Wege, dass ich in Spanien ins Gefängnis ging, anstatt an die Franzosen, die eigentlich hinter mir her waren, ausgeliefert zu werden. Ich hatte im Knast in Madrid die beste Zeit meines Lebens. Ich hatte die Garantie, dass ich nach einem Jahr wieder raus kommen würde und kaufte ein Handy von einem der ETA-Jungs, der auch einsaß. Es war wie in dem Film Goodfellas. Ich hatte meine eigene Küche, meine eigene Dusche und jeden Tag konnte ich einen der Wärter bestechen, für mich zum Markt zu gehen—es war fantastisch. Klingt nach einer Menge Spaß.
Das war es auch, aber die Dinge änderten sich, als ich später zum Bauchiplateau in Nigeria reiste. Ich sah diese unglaublichen Nok-Terrakottafiguren, die sie ihren Angehörigen als Grabbeigabe mitgeben. Das waren potentielle Millionen-Dollar-Stücke und ich war da, um sie zu kaufen. Aber dann traf ich die Menschen—nachts ist es auf dem Bauchiplateau sehr kalt, darum saßen wir an Feuerstellen—und die hatten fast nichts zu essen und waren trotzdem die ganze Nacht da, um die Kultur ihrer Vorfahren vor Aasgeiern, die wegen der Terrakottafiguren kommen, graben und töten wollten, zu verteidigen. Das berührte mich. Mit so was willst du keinen Handel betreiben. Du willst nicht, dass Menschen für die Kunstwerke sterben müssen. Es war alles nur ein Spiel, aber auf dem Gipfel dieses Hügels sah ich mich schlagartig mit der Realität konfrontiert. Wenn dich so etwas nicht verändert, bist du kein menschliches Wesen. Nach diesem Ereignis erfuhr ich von einigen gestohlene Nok-Exponaten—alle zusammen ungefähr 400.000 Dollar wert—, die in einer Galerie in London ausgestellt werden sollten und bereits an ein paar der reichsten Menschen der Welt verkauft waren.
Ich hätte locker einen Batzen Geld für mich herausholen können, wenn ich mich an den Händler gewandt und gesagt hätte: „Gib mir 100 Riesen, damit niemand erfährt, woher ihr die Teile habt“, und der Typ hätte mir das Geld innerhalb einer Nanosekunde gegeben. Stattdessen ging ich zur Nigerianischen Botschaft und erzählte dem Botschafter von den gestohlenen Nok-Werken. Zusammen mit der Polizei und ungefähr 20 Nigerianern stürmten wir die Galerie einen Tag vor der Eröffnung. Da waren diese ganzen versnobbten Leute, die an ihren Champagnergläsern nippten, und wir kamen einfach rein und machten den Laden dicht. Du hättest ihre verdammten Fressen sehen sollen! Ich setzte ein Zeichen: „Finger Weg vom Erbe dieser Menschen!“ Und ich bin kein edler Ritter, absolut nicht. Aber ich begann, Grenzen zu entdecken, die ich nicht überschreiten konnte.

Als du die Seiten gewechselt hast, wurden mehrere Todesurteile gegen dich ausgesprochen. Wie hast du es fertiggebracht, mit einem Haufen von Killern, die hinter dir her sind, zu überleben?
Ich habe meinen Problemen schon immer ins Auge geschaut. Du musst zeigen, dass du Eier hast. Lustigerweise begegnen dir viele dieser Berufskiller mit einem gewissen Respekt, wenn du dich nicht versteckst. Als die jugoslawische Mafia vorhatte, meinen Vater und meinen Bruder, die als verdeckte Ermittler arbeiteten, zu kidnappen, musste ich zurück nach Amsterdam kommen und mich stellen.
Ich sagte: „OK, kommt schon. Wenn ihr mich töten wollt, tötet mich. Wenn ihr mein Geld wollt, fickt euch.“ Das ist die Sprache, die sie sprechen. Ich stand mit meinen Bodyguards auf der Terrasse in Amsterdam und dieser Wagen rauschte vorbei und die fingen an, auf mich zu schießen. Eine Kugel schlug glatt durch mein Bein. Autsch, wie war das?
Nur ein Kratzer. [lacht] Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, dass du noch immer am Leben bist.
Schau, es wurde aus drei verschiedenen Gründen auf mich geschossen. Mir wurden Waffen an den Kopf gehalten, ich hatte die Polizei auf meinen Fersen …. Um zu überleben, muss ich ein Chamäleon sein. Wie du weißt, spreche ich viele Sprachen und bin absolut ungebunden. Es ist, als würde man am Rande eines Vulkans leben—sobald du ein Geräusch hörst, pack deine Sachen zusammen und sieh zu, dass du Land gewinnst. Gewöhn dich an gar nichts. Ich kann auf einem kleinen Feldbett wie ein Baby schlafen. Ein Film über Michels Leben ist in Arbeit. Das Drehbuch zu The Iconoclast entstammt der Feder des Subkultur-Spezialisten King Adz, der auch Regie führt, co-produziert wird das Ganze von dem ehemaligen CIA-Agenten Bob Baer. Ein bärtiger Tom Hardy soll Michel Van Rijn spielen (wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf).