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Tiefe Trauer in der Botschaft Nordkoreas

Der Tod des großen Führers hat uns so schwer getroffen, dass wir uns als Geste der Versöhnung in der Nordkoreanischen Botschaft in Berlin ins Kondolenzbuch eingetragen haben.

Was waren wohl Kim Jong-ils letzte Worte, als er von einem schweren Herzinfarkt wegen zu viel Arbeit dahingerafft wurde? „Ich liebe alle Menschen!“ oder „Vergesst mich ja nicht!“? VICE will ihm auf der Reise ins überirdische Paradies auch noch ein paar Zeilen mitgeben. Der Tod des großen Führers hat uns so schwer getroffen, dass wir uns als  Geste der Versöhnung in der Nordkoreanischen Botschaft ins Kondolenzbuch eintragen wollten.

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Die Vertretung Nordkoreas in Berlin sieht aus wie ein Hotel aus DDR-Zeiten—nur ohne Gäste. Verständlich. Es wird getrauert. Die Flagge? Na ja … dreiviertelmast. Nach Fassung ringend lege ich einen Strauß Margeriten in den Schaukasten mit Fotos der glorreichen Errungenschaften des Führers. Eine Verneigung ist angesichts der Taten angebracht. Vor der Eingangstür steht ein Offizieller, er kommt auf mich zu. Ich drücke mein Beileid aus, bitte um Einlass, sage, wir wollen uns ins Buch eintragen. Es wird Deutsch gesprochen. Wer wir sind? Studenten. Der Beamte gibt einem anderen ein Zeichen, vom graugestrichenen Tor blättert die Farbe ab. Nur schwer geht es auf. Nach zehnmal Ziehen gibt es nach und mir geht die Pumpe auf Hochtouren. Das hier ist schließlich das Hoheitsgebiet des am schwersten zugänglichen Staates der Erde. Drinnen erwarte ich mindestens einen Bodycheck, der mir bis in die Zahnlücken geht, und zwei Schränke, die meine Schamhaare nach Wanzen durchkämmen.

Wir haben schon angefangen, uns großzügig aufzuknöpfen, müssen aber nur unsere Taschen ablegen. Die Stimmung ist gedrückt. Wir haben keine Parade erwartet. Vielleicht ein bisschen mehr schwarz, bedächtige Hintergrundmusik. An der Rezeption zwei Damen. Wir nicken, verbeugen uns leicht. Sie nicken. Wir verbeugen uns ein bisschen mehr, sagen „Guten Tag“. Der Sekretär bittet uns zur „Zeremonie“ in einen anderen Raum. Dort stehen drei Männer in schwarzem Anzug und Kim Jong-il-Pin am Revers. Links prangt ein kleines Porträt des Führers hoch oben an der Wand. Wohlwollend sieht er nicht aus, aber jung. Unter dem Bild ein Kranz aus weißen Blumen, ein Spruchband—koreanisch. Auf dem Boden stehen Vasen mit Blumensträußen. Ob einer von Wowereit ist? Die versprochene Zeremonie sieht so aus, dass ich meine rote Gerbera in eine der Vasen stecke, zurücktrete, auf das Bild des Führers schaue und mich verbeugen muss. Anschließend geben wir nacheinander dem Botschafter und den anderen Botschaftsangehörigen die Hand. „Mein Beileid“ sage ich leise. Die Antwort verstehe ich nicht. Aber bestimmt ist „Vielen Dank für die Blumen“ inbegriffen. Gerne würden wir noch verweilen, werden aber ins Vorzimmer geleitet, wo auf einem aufpolierten Holztischchen ein Stapel DIN A3-Blätter auf uns wartet. Also schreibe ich mit zittriger Hand: „Ich möchte hiermit dem gesamten nordkoreanischen Volk mein tiefstes Mitgefühl zum Tode ihres geliebten Führers Kim Jong-il zum Ausdruck bringen. Möge das Glück auch ohne ihn weiterhin auf dieses wunderschöne Land scheinen.“
Mein Kollege fragt, ob er Fotos machen darf. Wir werden gebeten, das aus Anstand an diesem Tag zu unterlassen. Aufgezeichnet wird aber trotzdem—von ihrer Seite. Im Zeremoniesaal und vor dem Kondolenztischchen ist eine Videokamera aufgebaut.

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Draußen treffen wir auf eine Gruppe demonstrierender Christen, die behaupten, ein Botschaftsangehöriger habe sie zur Rede gestellt. „Ein großer, attraktiver Mann kam auf uns zu und fragte: ,Sehen sie diese Flagge, wir trauern. Haben sie kein Verständnis?‘, erzählt Gerda Ehrlich. Ihr Kollege Manfred Spuhn sagt, er habe dem Mann entgegnet: „Doch, wir trauern, wir trauern um die Millionen von Menschen in Nordkorea.“
Hörst du das, Kim?

Fotos: Grey Hutton

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