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Tierversuche aus dem Horrorfilm

In Deutschland sind qualvolle Xenotransplantationen, bei denen Organe zwischen unterschiedlichen Arten transplantiert werden, auf dem Vormarsch.

Vielen Wissenschaftlern zufolge gehören Tierversuche zur medizinischen Forschung wie das Reagenzglas zum Labor. Doch genau die könnten in Italien bald der Vergangenheit angehören. Dort hat sich das Parlament jetzt dafür stark gemacht, besonders qualvolle Tierversuche—wie die sogenannte Xenotransplantation, bei der Organe zwischen unterschiedlichen Arten transplantiert werden—an Affen, Katzen und Hunden komplett zu verbieten. Auch die Verwendung von genveränderten Tieren, die besser an den menschlichen Organismus angepasst sind, soll in Italien stärker reglementiert und überprüft werden. Das alles klingt durchaus positiv, wenn es sich momentan auch eher um eine Absicht als ein tatsächliches Gesetz handelt.
 
In Deutschland hingegen sind die perfiden Xenotransplantationen auf dem Vormarsch, sagt mir Silke Bitz, Diplom-Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Ärzte gegen Tierversuche e.V. Dabei werden Organe von einer Tierart in eine andere verpflanzt; also zum Beispiel von einem Schwein zu einem Pavian oder—so sieht es das gewünschte Ziel vor—später einmal zu einen Menschen.
 
Da viele kranke Menschen mitunter jahrelang auf Spenderorgane warten, versucht dieser experimentelle Forschungszweig vorgeblich, diesen Warteprozess zu umgehen—zum Beispiel durch die geplante Transplantation von Schweineherzen in Menschen.

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Den Preis dafür zahlen die Tiere, an denen im Vorfeld dafür experimentiert wird, sagt Bitz. Ganz besonders, weil alle Versuchstiere dabei letzten Endes qualvoll und bei vollem Bewusstsein im Labor verenden oder getötet werden. Hinzu kommt, dass alle Tiere extra für diesen Zweck gezüchtet, ausgewählt und dann transportiert werden—oft unter unmenschlichen Bedingungen.
 
Die Beispiele für xenotransplantative Forschung in Deutschland sind so zahlreich wie abstrus. So wurden an der LMU München unter anderem zwei Pavianen die Herzen von zwei Schweinen in den Brustkorb eingepflanzt—zusätzlich zu den eigenen Herzen. Es kam zu einer extremen Abstoßungsreaktion, das Immunsystem der Affen attackierte das Fremdgewebe und die Herzen blähten sich auf. Die Folge für alle vier Tiere: ein qualvoller Tod.
 
In einem anderen Experiment wurden 19 Affen beide Beine und beide Arme abgebunden, so dass kein Blut mehr aus dem Körper in die Gliedmaßen gelangen konnte. Dann ließen die Wissenschaftler das Affenblut aus den Gliedmaßen ab und tauschten es durch Menschenblut aus, das mit verschiedenen aus Kaninchen gewonnenen Antikörpern behandelt wurde. Auch hier tötete man anschließend alle Versuchsaffen. Bei beiden Experimenten stand die Erkenntnis über den Verlauf von Xenotransplantationen im Fokus.
 
Und genau diese Versuche werden laut Bitz auch weiterhin stattfinden, zumindest so lange bis sich der momentane Regierungsstil nicht drastisch ändert. Ihrer Meinung nach blockiere die Bundesregierung die tierversuchsfreie Forschung, wo es nur geht. „Aus internen Dokumenten geht hervor, dass der Tierschutz vom deutschen Staat gerne mal als ‚Hindernis für die Forschungsfreiheit’ bezeichnet wird“, erläutert sie. Dementsprechend wird wohl auch in Zukunft nicht auf Tiere in der medizinischen Forschung verzichtet werden—erst recht nicht, wenn der Mensch und die Wissenschaft auf lange Sicht womöglich davon profitieren könnten.

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Dr. Elmar Jaeckel, Endokrinologe und Diabetologe von der Medizinischen Hochschule Hannover, bestätigt diese Haltung: „Ich glaube, dass wir nie ohne Tierversuche auskommen werden.“ Ihm zufolge müssten wir uns als Gesellschaft entscheiden, ob wir medizinischen Fortschritt haben wollen, da die Entwicklung der letzten Jahrzehnte so nicht ohne Tierversuche möglich gewesen wäre. Er versichert mir auch, dass jeder Arzt, der ein wenig Ahnung von medizinischem Fortschritt hat, mir das bestätigen würde. Dabei muss man sich, seiner Meinung nach, allerdings auch überlegen, ob bestimmte Tierversuche sinnvoll seien und in welchem verantwortungsvollen Rahmen das überhaupt passieren dürfe.
 
Diese Überlegung schien nicht immer stattzufinden, wenn man bedenkt, dass Tiere nicht erst seit heute im Namen der Wissenschaft gequält werden. Schon 1928 hatten die russischen Wissenschaftler Sergei Brukhonenko und Sergei Tchetchulin einem Hund den Kopf abgesägt und den Kopf dann drei Tage lang über diverse Apparaturen am Leben gehalten. In diesem kafkaesken Experiment testeten die Wissenschaftler damals eine primitive Herz-Lungen-Maschine und machten spätere Herzoperationen so erst möglich. Der amerikanische Gehirnchirurg Robert J. White verpflanzte 1970 Affenköpfe auf fremde Affenkörper—das Ergebnis waren keine wirklichen Erfolge, sondern tote Versuchstiere.
 
Um so etwas zu verhindern, haben wir zwar in Deutschland mittlerweile ein Tierschutzgesetz und eine Tierversuchsordnung, allerdings sind diese, laut Bitz, reine Alibi-Dokumente und keine wirksame Rechtshandhabe. Hauptsächlich weil diese so schwammig formuliert sind, dass jeder noch so absurde Tierversuch unter dem Deckmantel der Grundlagenforschung betrieben werden kann—ohne wirkliche medizinische Relevanz.
 
Dieser Anteil an der Grundlagenforschung beträgt in Deutschland rund 35 Prozent und ist per Definition zweckfrei—wortwörtlich geht es dabei laut Formulierung der Bundesregierung nur um „das Streben eines Forschers nach Erkenntnis. Unmittelbar anwendbare Ergebnisse sind nicht das Ziel“. Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass es bei solchen Tierversuchen in vielen Fällen nur um die reine Befriedigung der Neugier geht.

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Doch nicht nur für die Tiere ist die Xenotransplantation ein „totes Ende“. Auch für den Menschen sind damit unabschätzbare Risiken verbunden. Sie reichen von der möglichen Gefahr, tierische Krankheiten unter den Menschen zu verbreiten bis hin zur ethischen und moralischen Frage, ob man tatsächlich ein Mischwesen, eine Chimäre, sein möchte.
 
Statt also Tiere zu verstümmeln, findet Bitz, sollte die ethisch und klinisch relevante Forschung am Menschen im Mittelpunkt stehen. Auch andere moderne Methoden wie die Zellforschung, Computermodelle, Biochips und die Intensivierung von Bevölkerungsstudien könnten eine Alternative zu den Tierversuchen sein. Letztendlich sollte man sich laut Bitz aber darauf konzentrieren, die Bedingungen und Faktoren—zum Beispiel Ernährung, Stress und Lebensgewohnheiten—zu untersuchen, die beim Menschen zu Krankheiten führen können.
 
Denn wenn Tiere und deren Organe beliebig und wie ein Ersatzteillager genutzt werden können, bleibt auch für uns eine entscheidende Frage nicht aus: Warum sollten wir verdammt nochmal auf unseren Körper achten, wenn es doch genug Tiere gibt?

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Ärzte gegen Tierversuche e.V. 

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