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The Tp For Your Bunghole Issue

Tod ist keine Lösung

Amebix liefern die Hymnen zur eigenen Auferstehung.

Fotos: unveröffentlichte Archivaufnahmen Norman, Rob, Stig (v.l.n.r.) irgendwo in Callington, Cornwall, ca. 1980 Amebix sind zurück. Für diejenigen unter euch, die hierbei den Relaunch eines Insektensprays vermuten: Ihr liegt falsch. Amebix ist eine Band. Eine Band, deren Geschichte heute wie ein Märchen klingen muss. Du weißt schon, in einer Zeit, in der die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne auf 160 Zeichen begrenzt ist, in der Musik irgendwas ist zwischen Gebrauchsgegenstand, iPod-Auspolsterung und unbedeutendem Grundrauschen. In einer Zeit, in der die Halbwertzeit von Musik und ihren Urhebern ungefähr bis zum nächsten Ableton-Update reicht. Natürlich, jede Zeit gebiert ihre Monster. Die Gefährlichkeit heutiger Monster sinkt allerdings im Vergleich zu Amebix auf Streichelzooniveau. Sie wuchsen nach ihrer Schaffensphase in den 80er-Jahren postum zur Untergrundlegende und veröffentlichten gerade, 24 Jahre nach dem letzten offiziellen Release, ein neues Album. DER ANFANG: NAMENLOSE DILETTANTEN Es ist das Jahr 1978. In der englischen Grafschaft Devon gründen die in der Blüte der Pubertät stehenden Brüder Rob und Chris Miller eine Band, einfach weil ansonsten nichts Besseres zu tun ist. Rob war gerade beim Militär rausgeflogen, er machte eine Kadettenausbildung beim ATC, dem Fliegerkorps der Luftwaffe. Chris hielt sich nach seiner nicht unbedingt ruhmreichen Schulzeit mit Gelegenheitsjobs in Jersey über Wasser und investiert sein bisschen Geld in eine Gitarre. Optimale Grundvoraussetzungen. Sie nennen sich Band With No Name. Wir können im Nachhinein nur mutmaßen, welche Drogen bei der Namensfindung im Spiel waren. Sie rekrutieren Billy an den Drums und Clive am Bass. Sie sind Schulfreunde und die ersten, die in das sich stetig drehende Mitgliederkarussell der späteren Amebix einsteigen sollen. Das Ganze geschieht zur Zeit des beginnenden Thatcherismus, in einer Zeit steigender Arbeitslosenzahlen und sich vergrößernder sozialer Gefälle, der Kalte Krieg wird gerade wieder eisiger. Ein guter gesellschaftlicher Nährboden für oppositionelle Subkulturen. Es ist die Zeit, in der Crass nicht nur einen politisch determinierten Gegenentwurf zum kulturellen Establishment, sondern auch zur Verwertungsspirale des industriell ausgeschlachteten Punkrock in den Squats des Landes entwickeln. Es ist die Geburtsstunde von Anarcho-Punk. Rob gelingt es, Crass auf seine Band aufmerksam zu machen. Das Stück „University Challenged“ des ersten Amebix-Demos landet auf der ersten Bullshit-Detector-Compilation von Crass Records. Zu diesem Zeitpunkt teilt sich die Band mit der Anarcho-Punk-Bewegung das entspannte Verhältnis zu musikalischer Expertise, ohne ihren dilettantischen Krach jedoch durch politische Motive rechtfertigen zu müssen. Rob, der sich fortan The Baron oder Aphid nennt, und Chris, der nur noch Stig genannt wird, geben später gern die Anekdote zum Besten, sie hätten nicht einmal gewusst, wozu die Wirbel am Kopf der Gitarre zu gebrauchen sind. Bis sie sich mit der Praxis des Stimmens vertraut machten, waren die klanglichen Ergebnisse ihrer Shows entsprechend, sagen wir mal: schwankend. Nicht ohne Stolz versichern sie, sich mit ihren ersten 20 Gigs den Ruf der schlechtesten Band in einem Radius von 25 Meilen erspielt zu haben. PROBERAUM IM GEISTERHAUS Das Jahr 1980 bringt eine Zäsur. Nach Umbesetzungen bedient jetzt Martin das Schlagzeug. Ein eigenartiger, aber nicht weniger hilfsbereiter Kauz, der Rob und Stig im vorübergehend leer stehenden Haus seiner Eltern leben lässt. Wird von diesem Haus gesprochen, dann mit ehrfurchtsvoll bebender Stimme. Es ist bekannt als The Glebe, ein kleines, verwittertes Gutshaus in der Nähe des Dorfes Peter Tavy, angrenzend an Dartmoor. Man ist sich später sicher, dass Amebix hier zu ihrer Seele fanden. Tatsächlich hätte es mit allem anderen als dem Teufel zugehen müssen, wenn die verlassene Weite und die mystisch vernebelte Naturgewalt des Umlandes und die sich im Haus einspielende Tagesroutine keine Spuren in die Bandaura gezeichnet hätten. Wobei Tagesroutine einen falschen Eindruck entstehen lässt. Die drei schlafen tagsüber und werden in der Nacht aktiv. Sie schreiben Songs, experimentieren mit Drogen und geben ihre Sittlichkeit an der Schwelle der zumeist unverschlossenen Haustür ab. Stig ist der experimentierfreudige, der zum Exzess neigende Typ, Rob behält die Zügel in der Hand—eine Rollenbalance, die auch im Bandgefüge immer entscheidender wird. Sie beschäftigen sich mit den Schriften Aleister Crowleys, mit Philosophie, Psychologie, Paganismus. Einen ganzen Winter lang, unter spartanischen Bedingungen. Es gibt keine Elektrizität. Bürgerliche Nichtigkeiten wie das Zahlen von Stromrechnungen fallen vor der größeren Sache nun mal nicht ins Gewicht. Rob beschreibt The Glebe als „einen außergewöhnlichen Ort“. Als „altertümlich und gespenstisch“. Stig erinnert sich: „Wir begannen damals wie unsere Umgebung zu klingen.“ Im Hinterhof von Amebix’ Proberaum in Hampton Row, Bath im Jahr 1986. v.l.n.r.: Rob, Spider, Stig. BIS GANZ NACH UNTEN: DIE BRISTOL-JAHRE Martins Bandambitionen wollen sich nicht so Recht mit der Aufsichtspflicht seiner Eltern vertragen. Er wird von ihnen nach London gebracht und dort auf paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Er landet in einer Nervenklinik. Rob und Stig nehmen Norman in die Band auf. Äußerlich würde dieser eher als Lookalike des New-Romantic-Posterboys Phil Oakey, denn als Keyboarder in einer Punkband durchgehen, aber genau das ist er jetzt. Zusammen ziehen sie 1981 nach Bristol und tauchen dort in die Squatszene ein. Sie ziehen von einem besetzten Haus ins nächste, leben zeitweise auch in St. Pauls, dem für Drogenkriminalität berüchtigten Distrikt, von dem 1980 die Bristol Riots ausgingen. Amebix etablieren sich als Szenegröße. Disorder, eine der wichtigsten Bands der frühen englischen Anarcho-Punk-Szene, werden zu wichtigen Weggefährten. Deren Drummer Virus steigt schließlich bei Amebix ein. Es ist das erste wirklich tragfähige Line-up der Band. Sie nehmen die ersten beiden 7“-Singles „Who’s The Enemy“ und „Winter“, sowie die 12“-EP „No Sanctuary“ auf. Diese ersten Veröffentlichungen und vermutlich auch nicht zu vernachlässigende Variablen wie ein nach Siebdruck-Verbreitung schreiendes Bandlogo, setzen die Legendenbildung in Gang, es hier mit einer der prototypischen Bands des Crust-Punk zu tun zu haben. Die Band selber lässt sich weder von der politischen, noch von der Sound-Agenda der Anarcho-Szene vereinnahmen. Ihr stärkstes politisches Motiv ist das der Selbstbestimmung. Nur wird es nicht von der Bühne herunter doziert, es wird zum antreibenden Geist ihres immer mächtiger werdenden Sounds und ihrer metaphernschweren Texte. Als wir Rob Miller vor Kurzem fragten, ob er mit der Einschätzung von Amebix als der unpolitischsten der politischen Bands der damaligen Zeit einverstanden sei, erwiderte er nur: „Diese Einschätzung ehrt mich.“ Die Anarchoszene beginnt sich in moralischen Kleinkriegen zu verlieren, während sich Amebix’ Sendungsbewusstsein weiter verselbstständigt. Sie sitzen zwischen den Stühlen. Den Punks ist der Amebix-Sound zu sehr Metal, ihr unnahbares Auftreten in Leder und Patronengurten erscheint den Anarchos suspekt. Die Metaller wiederum wissen vermutlich nicht mal, dass es Amebix überhaupt gibt. Auf die Ambivalenz gegenüber der Szene angesprochen, erklärt Rob: „Es hatte viel mit unserer Vergangenheit zu tun. Wir sind auf dem Land aufgewachsen, das Stadtleben war uns fern. Es ging uns um die Autonomie des Individuums, um Freiheit auch in wörtlicher, räumlicher Hinsicht. Ich begann, misstrauisch und klaustrophisch zu werden, wenn ich auf Leute traf, die Grenzen zogen.“ Vier Jahre verbringen Amebix in Bristol. Ein Kapitel, das Rob später wegen der in den Nihilismus kippenden, lähmenden und drogenvernebelten Agonie der Stadt als eher schädlich für die Band bewertet. An dessen Ende steht allerdings die Veröffentlichung des von vielen späteren Fans vergötterten Debütalbums. Dieses Arise! erscheint 1985 auf Jello Biafras respektiertem Label Alternative Tentacles und ist dort das erste Release einer englischen Band. Es ist ein Manifest. Unter einer erbärmlichen Produktion tobt ein Sturm aus Wut, Existenzialismus und roher Gewalt, wie er so tatsächlich noch nie zu hören war. Gemessen an den Punk-Standards, ist dieses Material fast schon unerträglich metallisch, angetrieben von Dämonen, die sich auch schon solcher Bands wie Black Sabbath, Motörhead, Venom (auch wenn deren Einfluss später abgestritten wird) oder Killing Joke bemächtigten. Live-Aufnahmen vom Novi Rock-Festival in Ljubljana 1987. Unten rechts: Stig in Hampton Row, Bath 1986 TIEFE, LETZTE ATEMZÜGE Amebix rekrutieren Spider als neuen Drummer und ziehen nach Bath, in eine Umgebung, die den Bandmythos vielleicht nicht so ausschmückt wie die Squats von Bristol, die Amebix aber neue Energie gibt. Energie für das zweite Album Monolith, das 1987 auf Heavy Metal Records erscheint. Es ist opulenter als das rohe Arise!, viel dichter in seinen Arrangements, von einer Leidenstiefe, die keine der späteren Gothmetal-Bands nur ansatzweise erreicht und von einer Macht, die seinem Titel mehr als gerecht wird. Es ist ein künftiger Klassiker, aber auch der vorläufige Schlusspunkt unter eine Schmerzgrenzen austestenden, bewegten Bandbiografie. Die Erstauflage von Monolith wird vom Label nach kurzer Zeit vom Markt genommen, angeblich auf Anweisung des christlichen Firmenvorstandes, der sich hier mit einer unduldbaren Häresie konfrontiert sieht. An den Streitigkeiten mit dem Label, die laut Rob auch heute noch andauern, zerbricht die Band. Das kreative Potenzial ist verbrannt, Rob fügt sich zunächst ins Familienleben, erleidet später einen Motorradunfall und entscheidet sich für einen Neubeginn auf der Isle of Skye. Er beginnt dort, und das ist kein Witz, seinen Lebensunterhalt mit dem Anfertigen von Schwertern zu verdienen. Stig bleibt bei der Musik und spielt zusammen mit dem früheren Keyboarder George und Spider in Zygote, einer vergleichsweise bedeutungslosen Band, der eindeutig Robs Vision fehlt. NENN ES NICHT RE-UNION Es vergehen über 20 Jahre. Zeit, in der die von Amebix in die Welt gesetzte Musik erst zu wirken beginnt. Die innigsten Amebix-Fans finden zu der Band als sie schon lange tot ist. Bands wie Neurosis, Sepultura oder Catharsis machen aus ihrer brennenden Verehrung für Amebix weder in Interviews, noch in ihrem eigenem Sound einen Hehl, eine Band wie Darkest Hour hätte ohne den gleichnamigen Amebix-Song an anderer Stelle ihren Namen klauen müssen. Nach diesen 20 Jahren wird die Geschichte der Band in einer Dokumentation von Roy Wallace aufgearbeitet. Wallace versucht Rob zu einer Re-Union zu überreden, doch der wiegelt ab. Eine Re-Union verstoße gegen alles, wofür Amebix jemals standen. Außerdem, so Rob, sei der Kontakt zu Stig schon lange eingeschlafen, er selber halte seit 23 Jahren nur noch Schwerter, aber keinen Bass in der Hand und Spider hätte ja sowieso einen Tinnitus. Doch der Gedanke beginnt zu wachsen. Rob und Stig treffen erst einander und dann auf den Drummer und Toningenieur Roy Mayorga (u. a. Shelter, Soulfly, Stone Sour) und nehmen drei alte Amebix-Songs noch einmal neu auf. Es soll der letzte Nagel in Amebix’ Sarg werden, tatsächlich werden die Aufnahmen zu einer Initialzündung. Amebix spielen eine kleine Zahl bejubelter Headline-Shows und beginnen, Material für ein neues Album zu schreiben. Am 23. September erscheint schließlich mit Sonic Mass ein Meilenstein von einem Album, mit dem wirklich niemand mehr rechnen konnte. Es wird von der Band als das Album vorgestellt, das sie schon immer aufnehmen wollte, und man glaubt ihr das in jeder Sekunde der 43,5 minütigen Gesamtspielzeit. Es ist das majestätischste, das in seiner Komposition und Produktion ausgefeilteste, durch Roy Mayorgas Anteil dynamischste und in seiner Stimmung vielschichtigste Amebix-Album. Es ist die künstlerische Vollendung all dessen, wofür die Zeit von 1978 bis 1987 offenbar nur ein Anlauf war. Wir haben das Album absichtlich nicht in der aktuellen Reviewstrecke besprochen, weil es dort mit dem Titel des besten Albums des Monats nicht angemessen hätte gewürdigt werden können. Es ist tatsächlich mindestens das beste Album des Jahres. Die Re-Union seiner Band nennt Rob übrigens nicht Re-Union, sondern Re-Consideration. Recht hat er, denn im Gegensatz zu dieser Sache hier, braucht Re-Unions wirklich niemand. Sonic Mass ist bei Amebix Records erschienen. Ein Interview mit Rob Miller findet hier.