Ich bin kein Star, holt mich trotzdem hier raus!

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Reisen

Ich bin kein Star, holt mich trotzdem hier raus!

Nur ein paar Kilometer vom Dschungelcamp entfernt gehen die Menschen in der australischen Stadt Gold Coast wirklich mit Messern aufeinander los.

Weil das Dschungelcamp vorbei ist, wir aber noch nicht genug von Australien haben, wollten wir uns die unberührten Landstriche Australiens genauer ansehen. Dabei stellte sich heraus, dass es nicht nur Stars sind, die in paradiesischen Naturlandschaften gegeneinander ankämpfen. Nur ein paar Kilometer vom Seelenklo des Dschungelcamps entfernt liegt die Küstenstadt Gold Coast, in der auch ganz normale Bürger übereinander herfallen. Wir haben uns mit der Fotografin Ying Ang unterhalten, die mit ihrem demnächst erscheinenden Buch Gold Coast den Blick auf die Korruption, den Rassismus und die Mordfälle lenken will, die der strahlend blaue Himmel und die schönen Häuser zuweilen verbergen. Yings Bilder zeigen, dass die Menschen in Gold Coast in einer künstlichen Fantasiewelt leben, deren Fassaden zu bröckeln beginnen.

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VICE: Hey Ying, was hat es mit Gold Coast auf sich? 
Ying Ang: Ich bin mit 10 Jahren von Singapur nach Gold Coast gezogen und habe mir genau ausgemalt, wie das Leben an diesem neuen Ort sein würde. Ich dachte, ich würde mich mit all den blonden Surfern anfreunden, aber als ich ankam, war alles ganz anders. Queensland gilt als der rassistischste Bundesstaat Australiens. In der Schule der Stadt wurden Asiaten gebasht.

Gold Coast wird manchmal als australische Hauptstadt der Kriminalität bezeichnet, aber mir ist die Stadt eigentlich immer nur als schöner Urlaubsort begegnet. 
Mit 13 war ich mal bei einem Freund, dessen Vater Grundstücke an der Gold Coast besaß und uns alle möglichen Drogen anbot. Wir waren 13 Jahre alt und dieser Mann versuchte, uns Drogen anzudrehen.

Verbindet man die Kriminalität noch immer mit dieser Altersgruppe? 
Ja, es sind weiße Männer mittleren Alters. Die Leute sind an die Gold Coast gekommen, um sich neu zu erfinden, ältere Typen mit fragwürdigen Moralvorstellungen, die Stadt war einfach nur eine Art lustiger Spielplatz für sie. Es war OK, ein Gauner zu sein, und daraus erwuchs dann eine ganze Kultur. Es wurde einfach alles so hingenommen.

Schon der Name der Stadt ist ja mit Wohlstand und Reichtum konnotiert. 
Genau! Die Sache ist, dass die Strände ursprünglich gar nicht gut waren: Die Wellen sind hoch, die Gezeiten gefährlich. Es war nicht leicht, Gold Coast als familienfreundlichen Urlaubsort zu vermarkten, aber es wurde gemacht. Warum glauben eigentlich alle, dass es dort sicher sei, nur weil es sonnig ist und die Straßen sauber und die Häuser hübsch sind? Wir sind einfach daran gewöhnt, an diese Symbole der Sicherheit zu glauben, genau wie wir an Symbole der Gefahr glauben.

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Was war das Schlimmste, das dir in Gold Coast passiert ist? 
Mit 18 war ich bei einem Freund, der in einer sehr schönen Gegend der Stadt wohnte. Auf einmal hörten wir Schreie aus der Wohnung unter uns. Als wir runtergingen, um zu sehen, was los war, war alles voller Blut, es klebte an der Decke, am Kühlschrank, überall. Auf dem Boden lagen zwei blutüberströmte Typen. Ich rannte nach draußen, und da lag ein weiterer Typ mit einem Messer im Genick. Nach dem Überfall gab es eine Flut von Fotografen und Journalisten, die Kontakt mit mir aufnehmen wollten. Ich war zweimal auf der Titelseite, einmal als ich 18 wurde (meine Mutter war in der Stadt eine bekannte Philanthropin) und dann noch einmal nach den Morden. Alles, was ich in Gold Coast erlebt habe, spielte sich zwischen diesen beiden Extremen ab: dem falschen Glanz und den Morden.

Der falsche Glanz ist ja auch in deinen Bildern sehr präsent. 
Weil es das ist, woran die Leute glauben wollen. Du bezahlst für etwas, an das du glaubst—was muss passieren, damit du die Wahrheit erkennst? Viele meiner Freunde, die mit mir aufgewachsen sind und das Gleiche erlebt haben wie ich, haben sich dafür entschieden, dort zu bleiben. Ihre Kinder gehen jetzt auf genau die Schulen, in denen dieser ganze Scheiß passiert ist.

Aber in deinem Buch gehst du sehr subtil vor. Hättest du nicht mehr bewirken können, wenn du all die Grausamkeit dokumentiert hättest? 
Für mich waren nicht die schrecklichen Geschehnisse das Problem, sondern die Tatsache, dass man sie sich nie eingesteht oder darüber spricht. Was ist das für eine Vorstellung, die alle davon abhält, die Wahrheit zu erkennen? Ich wollte diese Eigenheit des Ortes dokumentieren, mit der ich mich nicht abfinden konnte. Ich wollte es so fotografieren, wie ich es erlebt habe. Wenn du die Bilder siehst, würdest du dann glauben, dass all das Andere auch passiert ist? Und wenn du wüsstest, dass all das Andere auch passiert ist, würdest du es dann einfach ignorieren?

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Kannst du mir etwas über das Mädchen mit den pinken Haaren erzählen? 
Ich habe sie zufällig getroffen und viel von mir in ihr wiedererkannt. Ihr Blick über die Schulter drückt genau das aus, was ich die ganze Zeit gefühlt habe, als ich noch in Gold Coast gelebt habe. Deshalb ist es zu einem zentrales Bild für mich geworden. Diese Unsicherheit, diese Paranoia unter einem schönen schönen blauen Himmel.

Was hat es mit diesem edlen Esszimmer auf sich? 
Das ist das Esszimmer meiner Familie. Es ist ein Teil der Wunschvorstellung. Es symbolisiert die Umgebung, in der ich gelebt habe und die alles gutmachen soll. Nach den Morden hatte ich ein schreckliches Trauma, aber ich wurde nicht ein einziges Mal danach gefragt. Reiß dich zusammen und sieh dir dieses schöne Esszimmer an!

Hast du eine Lösung? 
Keine kurzfristige. Ich glaube nicht, dass es die Probleme der Gold Coast nur dort gibt. Ich denke, die Stadt verkörpert ein viel größeres Problem des westlichen Denkens und der Vorstellung von der paradiesischen Vorstadt. Es gab einen ausgeprägten Diskurs über Vorstädte und ihre Leere, deshalb glaube ich, dass das Problem im Bewusstsein der Menschheit ist. Ich habe aber noch niemanden gefunden, der an einer Theorie darüber arbeitet, was genau das Problem ist. Dieses Buch ist eine Art größere Hypothese darüber. Das Problem ist die Künstlichkeit, die Fassade. Die Fassade der Gesundheit und des Wohlstandes—was dahinter passiert, spielt keine Rolle. Es ist die gleiche Annahme wie bei Schönheitsoperationen: Wenn etwas nach außen hin gut aussieht, kümmert sich niemand darum, ob im Inneren alles zusammenfällt. Es sind diese Einstellungen und kulturellen Entwicklungen, die mich beschäftigen, denn wenn der Großteil der westlichen Welt sie übernimmt, werden es die Entwicklungsländer auch tun.

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