Trügerische Idylle
Aus der Photo Issue 2016

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Trügerische Idylle

Mit einer Leni-Riefenstahl-Ästhetik, saftigen Blumenwiesen, gleißendem Sonnenlicht und knappen Trikots inszenierte Anna Koppitz für den Reichsminister Walther Darré den Traum einer idealen, nationalsozialistischen Jugend.

Aus der Photo Issue 2016

Im Frühling des Jahres 1939 kontaktierte Richard Walther Darré, Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und einer der führenden Ideologen der Nazis, die in Wien lebende Fotografin Anna Koppitz. Er engagierte die Witwe des bekannten Kunstfotografen Rudolf Koppitz, mit dem sie bis zu seinem Tod intensiv zusammengearbeitet hatte, um Aufnahmen seines Herzensprojekts zu machen: von der Reichsschule Burg Neuhaus, die heute im deutschen Wolfsburg liegt.

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In der kleinen mittelalterlichen Burg ließ er Bauerntöchter und -söhne durch Sport und ideologische Indoktrination nach seinen Vorstellungen ausbilden. Die Jugendlichen verkörperten für ihn das Ideal einer „nordischen Rasse"—ein Konstrukt, zu dem er einiges an Gedankengut beigesteuert hatte. Dafür geeignete Anwärter zu finden, war schwierig.

Darré hatte eine eigene Kommission einrichten lassen, die nach strengen Auswahlkriterien jene Jugendliche rekrutierte. Es lag ihm daran, das Bild dieser „Übermenschen" zugänglich zu gestalten und mittels seiner Propagandaschriften zu verbreiten. Gleichzeitig sollte das Image der Bauern aufpoliert werden—weg von harter Landarbeit und altmodischen Trachten, hin zu einem attraktiven, sportlichen und vor allem vermehrungswürdigen Bild im Bewusstsein der Bevölkerung.

Zwischen 1939 und 1940 fotografierte Anna Koppitz die blonden Mädchen und vereinzelt auch Burschen (die bald darauf an die Front geschickt wurden)—in gewollter Leni-Riefenstahl-Ästhetik, auf saftigen Blumenwiesen, bei gleißendem Sonnenlicht und betont heiterer Stimmung. Die knappen Trikots geben den Blick frei auf Körper, die Darré zur Fortpflanzung für seine Rassenfantasien vorsah.

Von den Gräueltaten des Krieges oder der massenhaften Vernichtung der Menschen, die von den Nazis als „unwertes Leben" bezeichnet wurden, ist in den Fotos nichts zu spüren. Sie legen Zeugnis darüber ab, mit welchen Mitteln die NS-Führung die Fotografie für sich nutzbar machte, um ihre Thesen zu propagieren. Die scheinbar harmlosen Fotografien, die ihren Anteil daran hatten, die Verbrechen der Nazis zu rechtfertigen, jagen einem bis heute einen kalten Schauer über den Rücken.