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Typen, die Orte aufsuchen, von denen andere fliehen

Während des Taifuns Haiyan starben Tausende Menschen, andere verloren ihre Existanzgrundlage. Und ausgerechnet dann kommen Typen ins Land gereist, die den Kick während eines Sturms suchen. Ich rief einen von ihnen an, um zu erfahren, ob er ein...

Menschen zwischen den von Haiyan zerstörten Häusern auf den Philippinen. Foto mit freundlicher Genehmigung von iCyclone.

Letzte Woche gab es kaum jemanden, der noch auf die Philippinen reisen wollte. Das Land war quasi abgeschottet, nachdem der Taifun Haiyan mehrere Pazifikinseln verschlungen hatte, weiter in Richtung Tacloban wütete und nach derzeitigen Informationen mindestens 4000 Menschen tötete. Für Sturmjäger hingegen wurden die Philippinen zum Reiseziel Nummer eins. Das Team von iCyclone flog letzten Donnerstag nach Manila. Jim Edds vom Ein-Mann-Actionfilm ExtremeStorms.com war bereits vor Ort. Obwohl die beiden nicht zusammenarbeiten, repräsentieren sie die kleine, überwiegend männliche Gemeinschaft von Sturmjägern, die viel Geld dafür ausgibt, um bei furchtbaren Stürmen dabei sein zu können.

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Gewöhnlich sind sie keine Meteorologen oder Journalisten (wenngleich sie ihre Erfahrungen dokumentieren), sondern einfach Typen, die auf einen Kick aus sind. Ich kann den Reiz dieses Lebensstils durchaus nachvollziehen, doch den Opfern dieser Naturkatastrophen erscheint dieses Hobby wahrscheinlich extrem unsensibel. Ich rief Josh Morgerman an, den Leiter von iCyclone, der seit 20 Jahren Stürme jagt, um ihn zu fragen, ob er ein unsensibler Wichser ist.

Das Team von iCyclone. Josh ist der Typ in der Mitte.

VICE: Bist du ein unsensibler Wichser?  
Josh Morgerman: Nun, es gibt Leute, die das, was wir tun, unsensibel finden, oder die denken, dass wir uns unnötigen Gefahren aussetzen, aber ich sehe es so, dass diese Dinge so oder so vorkommen und dokumentiert werden müssen. Es ist wichtig, dass es Menschen vor Ort gibt, die Fotos machen, Daten aufnehmen und die Geschichten erzählen. Von uns waren vier Sturmjäger vor Ort, und jetzt werden wir mit Medienanfragen bombardiert, weil die Welt wissen will, was passiert ist. Letzten Endes haben wir auch einer Menge Leute bei der Flucht aus dem Hotel geholfen. Leute waren aufgrund der Sturmflut in ihren Zimmern eingesperrt und wir haben sie durch die Fenster befreit. Wir helfen immer, wo wir können.   Aber ihr wurdet vom Militär nach Hause geflogen. Ist das keine Verschwendung von Ressourcen?  
Noch einmal: nein. Sie haben Hilfsgüter mit C-130ern eingeflogen, die anschließend leer zurückgeflogen wären. Deshalb haben sie Journalisten und Leute, die raus wollten, mitgenommen. Das Flugzeug war wie ein großes leeres Abteil mit Platz für weitere Leute. Von daher hatten wir nicht das Gefühl, dass wir Ressourcen verschwenden würden. Wie hast du von dem Sturm erfahren?  
Wir wussten schon seit Wochen davon. Mit einem Computermodell namens GFS (Global Forecast System) konnte der Sturm sehr genau abgebildet werden. Jedes Mal, wenn wir die Daten durchlaufen ließen, wurde dieses Szenario angezeigt, so war ich ungefähr eine Woche vorher abfahrbereit. Der Sturm war kurz davor, die Philippinen zu treffen, und ich hatte ein Ticket nach Manila. Ich habe mich einen Tag vorher mit meinen Kollegen James und Mark getroffen, und wir haben uns einen Fahrer gesucht, der uns nach Tacloban brachte.

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Wie kommt ihr in Gebiete, in denen doch wahrscheinlich die Schotten dicht gemacht werden?
Das hängt von der Region ab. Westaustralien ist zum Beispiel eins der am stärksten kontrollierten Gebiete der Welt. Sobald dort die Alarmstufe Rot ausgerufen wird, darfst du dich nicht mehr von der Stelle bewegen, oder du kriegst eine größere Geldstrafe. Mir ist aufgefallen, dass du in Ostasien im Grunde machen kannst, was du willst, und das betrifft nicht nur die Philippinen, sondern auch Japan. Die USA haben, je nach Bundesstaat, eine Art Mittelweg. Haiyan war relativ einfach zu jagen. Wir hatten einen Fahrer aus Manila, aber wir haben ihn am Tag vor dem Taifun wieder nach Hause geschickt. Wie war denn die Lage, als ihr angekommen seid?  
Ursprünglich wollten wir den Taifun in einem Küstenort verfolgen, aber als wir ankamen, haben wir beschlossen, dass das zu gefährlich wäre. Als wir den Ort wieder verließen, haben wir jedem, insbesondere den Angestellten, gesagt, dass sie nicht bleiben sollten, aber es herrschte eine generelle Nonchalance, wie gefährlich der Taifun sein würde. Wir hatten den Eindruck, dass die Einwohner das Ausmaß dessen, was ihnen bevorstand, einfach nicht begreifen konnten. Ich weiß nicht, ob das an mangelnden Warnungen lag. Wir reisten jedenfalls ab, und das war die richtige Entscheidung, denn der Ort wurde verwüstet, kaum ein Einwohner überlebte.

Das Hotel, in dem das Team von iCyclone unterkam

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Unser nächstes Hotel war ein sehr großes, massives Gebäude. Als sich der Taifun näherte, war das Wetter noch ziemlich normal. Es nieselte nur und war ein bisschen windig, aber gegen 18:30 ging der Sturm plötzlich los und eskalierte rasch. Es war so wie in einem Tornado, mit wirbelndem Weiß und dem tosenden Lärm einer Eisenbahn. Wir waren in einem Betongebäude, aber es erbebte unter den Trümmern anderer Gebäude, die mit ungeheurer Geschwindigkeit dagegen flogen. Die Fenster in den Zimmern zersprangen. Als der Sturm seinen Höhepunkt erreicht hatte, wurde das Wasser der Bucht aufgepeitscht und fegte wie ein Tsunami durch das Erdgeschoss des Gebäudes. Das geschah so schnell, dass die Gäste im Parterre in ihren Zimmern eingesperrt waren und wir sie suchen und befreien mussten. Mein Kollege Mark riss sich an einem Trümmerteil das Bein auf. Es war eine sehr schwere Verletzung, die bis zum Knochen reichte. Er liegt seit einer Woche im Krankenhaus, damit sein Bein heilt.

Die Flucht aus dem Hotel. Foto mit freundlicher Genehmigung von Earth TV

Das klingt furchtbar. Warum macht ihr sowas überhaupt?
Nun, ich finde, dass Hurrikane sehr schön sind. Wie sie aussehen und klingen, das Gefühl, in ihnen zu sein, die Satellitenbilder—für mich sind sie einfach sehr schöne Kreationen. Vergiss nicht, dass Hurrikane, Tornados, Vulkane—all die Dinge, die den Menschen Unheil bereiten—nichts Böses sind. Sie sind einfach Teil der Erde, und die Menschen geraten in ihren Weg. Sehen deine Frau und deine Mutter das genauso?  
Ich habe eine sehr, sehr besorgte jüdische Mutter. Sie versteht das nicht, deshalb rufe ich sie immer zuerst an, sonst kriege ich Ärger.

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Josh schneidet eine Grimasse und filmt. Foto mit freundlicher Genehmigung von Scott Brownfield

Stehst du mit anderen Sturmjägern in Verbindung?
Wir kennen uns alle gegenseitig, aber jeder macht sein Ding. Man will nicht dort sein, wo andere Sturmjäger sind, weil jeder seine eigene Perspektive und einzigartige Erfahrungen haben will. Ich bin normalerweise eher ein einsamer Jäger. Wie sah Tacloban bei deiner Abreise aus?
Ein Großteil war einfach komplett dem Erdboden gleichgemacht, die Tsunamis haben ganze Häuserblocks niedergerissen. Andere Teile wurden überflutet, dadurch waren Autos aufeinandergestapelt. Der Wind hatte alle Blätter von den Bäumen gerissen, dadurch sah die Stadt kalt und winterlich aus. So wie Kanada im Winter, wenn die Bäume nur noch Stöcke sind.

Trümmerhaufen nach dem Taifun. Foto mit freundlicher Genehmigung von iCyclone

Wie siehst du das Ganze jetzt, wo du wieder zu Hause bist?
Von meteorologischen Aspekten einmal abgesehen war es verstörend und erschütternd. Der Moment der menschlichen Misere war so heftig und es hat mir eine neue Perspektive auf meine eigene Situation und meine Probleme gegeben. Selbst vor dem Taifun hatten die Menschen in der Gegend um Tacloban ein sehr dürftiges Leben. Zu sehen, dass sie jetzt auch noch hiermit klarkommen müssen, war einfach nur schrecklich, aber gleichzeitig denke ich, dass es eine wichtige Erfahrung für Menschen aus wohlhabenden Ländern ist. Würdest du es also wieder tun?
Ja. Ich gehe davon aus, dass ich es wohl noch für weitere 25 Jahre machen werde, oder zumindest so lange, wie mein Körper es zulässt. Für so ein Hobby muss man fit sein.

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