FYI.

This story is over 5 years old.

Vice Blog

Ungarn zerstört sich selbst

Wieso um alles in der Welt hat Ungarn so einen Hang zum Faschismus? Hier ein paar mögliche Erklärungen.

Der ungarische Präsident Viktor Orbán. Ungarn ist nicht unbedingt ein Land, das dafür bekannt ist, sich super verteidigen zu können. Nachdem 1,5 Millionen Menschen im Ersten Weltkrieg starben, wanderte ein Drittel der Bevölkerung aus. Im Zweiten Weltkrieg wurde dann über 60 Prozent der Wirtschaft zerstört und man überließ das Land bis 1989 so der Kontrolle der Sowjets. Es ist sowas wie der Atze unter den zentraleuropäischen Binnenstaaten—ziemlich glücklos, leicht reizbar und nicht wirklich gut ausgerüstet um sich vor feindlichen Angriffen zu schützen. 2013 muss sich das Land sich allerdings keine Sorgen um fremde Streitkräfte machen, sondern eher um die wachsende rechte Bewegung, das Besorgnis erregende Maß an staatlichen Kontrollen und die sich verstärkende Zensur. Letzten Freitag trafen sich die Mitglieder des Europäischen Parlaments in Straßburg um die Menschenrechtssituation des Landes zu besprechen—ein Treffen das einer Reihe von sich kritisch äußernden Staatsoberhäuptern und politischen Kommentatoren folgte; bekannte Autoren die aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen des Landes Geldpreise zurückwiesen und die andauernden Proteste der Bevölkerung, die seit Anfang letzten Jahres beinahe durchgehend demonstriert.

Also was passiert dort wirklich? Und im Anbetracht Griechenlands faschistischer Partei Goldene Morgenröte, Italiens rechter Lega Nord und Großbritanniens eiternden Nationalisten, der BNP, wieso verbringen europäische Politiker so viel Zeit mit einem kleinen Land, das scheinbar wenig internationale Präsenz zeigt? Hier ein paar mögliche Erklärungen.

Mitglieder von Jobbik JOBBIK
Auch wenn sie erst zehn Jahre alt ist, ist Jobbik—die Bewegung für ein besseres Ungarn, die von ihren Gegnern als faschistisch und neonazistisch beschrieben wird—bereits eine der beliebtesten Parteien des Landes. Und Ende letzten Jahres schlug ihr Verteidigungsminister, Márton Gyöngyös, vor, die Jüdische Bevölkerung zu katalogisieren und auf mögliche Sicherheitsbedrohungen hin zu überprüfen. Einen Monat später liefen 10.000 Leute vor den Stufen des Parlaments auf um gegen den Vorschlag zu protestieren und die Regierung dazu zu bringen, denjenigen der ihn vorgebracht hatte öffentlich dafür zu verurteilen. Nach diesem kurzen Flirt mit der Eugenik veranlasste die FIFA letzten Monat, dass das WM-Qualifizierungsspiel zwischen Ungarn und Rumänien, aufgrund von antisemitischen Äußerung seitens der ungarischen Fans, vor leeren Rängen gespielt wurde. Jobbik antwortete darauf, indem sie vor dem Stadium protestierten. Es gab außerdem Versuche von Sympathisanten, das Ausmaß an Antisemitismus im Land herunterzuspielen. Obwohl man meine könnte, Juden als potentielle Bedrohung zu definieren, nur weil sie jüdisch sind, würde als mehr oder weniger offen fanatisch angesehen werden. Außerdem musste die Regierung diese Woche einen nationalistischen Motorradklub davon abhalten, den „Marsch der Lebenden“ zu unterbrechen, eine Gedenkfeier für die Opfer des Holocausts. Und das sagt ja irgendwie alles. Dank Anonymous wurden Bilder geleaked, die den Anführer zeigen, wie er seine beste Max Mosley Nachahmung machte. Mal ernsthaft, was finden Faschisten so geil daran, sich Ledertangas anzuziehen und miteinander zu vögeln, während sie an Fleischerhaken von der Decke hängen? VIKTOR ORBÁN
Ungarns Premierminister machte letzte Woche mal eine Pause davon, die Politik des Landes gegen die EU zu verteidigen und verbrachte seinen Mittwoch damit, auf Margaret Thatchers Beerdigung seine Schultern an denen von Jeremy Clarkson und John Major zu reiben. Aber er war nicht immer der Typ, der gerne mit der rechten Schickeria anbandelt. Zuerst war Orban, eine Art kleiner Widerstandsheld, eines der Gründungsmitglieder von Fidesz, einer Allianz junger Demokraten, die sich gegen das kommunistische Regime wehrte. In seinen beiden Amtszeiten hat er seine Partei allerdings immer weiter nach rechts getrieben und so viel Staatsgewalt zentralisiert wie nur möglich. Nachdem die Partei in der letzten Wahl mit einer Zweidrittelmehrheit gewonnen hat, kann sie nun Verfassungsänderungen durchführen; ein Recht, von dem sie seitdem mächtig Gebrauch gemacht hat. Es wurde schon verabschiedet, dass die Regierung den Wahlkampf allein auf staatliche Medien reduzieren kann und es wird verlangt, dass Studenten die staatliche Unterstützung zum Studium bekommen, nach ihrem Abschluss drei Jahre lang im Land bleiben müssen. Der schlimmste Verfassungszusatz ist allerdings einer, der es beinahe unmöglich macht Gesetzen, die die Regierung durchbringen will, entgegenzuwirken. Ein endloses Füllhorn an Wünschen, das noch mehr Wünsche ausspuckt, die sogar noch mehr Wünsche ausspucken—und keine davon scheinen im Interesse der Öffentlichkeit zu sein. ZENSUR
Die schönste Veranschaulichung des harten Vorgehens der Regierung gegen die Redefreiheit kommt in Form von Klubradio, eine Radiostation deren Lizenzerneuerung, trotz dreifachen Gerichtsbeschluss, drei Mal abgelehnt wurde. Es wird geglaubt, dass die Regierung nicht gerade glücklich darüber ist, dass die Station Kommentare anonymer Anrufer überträgt. Zugegeben, es gab diesen einen Typen, der vorschlug Pal Schmitt, den ehemaligen Präsidenten zu erschießen, aber der Moderator beschuldigte ihn sofort unvernünftig zu sein und legte auf. Es ist die Stimme der Demokratie, die Angst unter den Beamten sät und weil sie die Station scheinbar nicht öffentlich abschalten können, gehen Kommentatoren davon aus, dass die Regierung stattdessen versuchen wird, sie finanziell zu ruinieren. Dann gibt es noch das Problem, die Chefs nationaler Institutionen, wie Kunstgalerien und Theater, mit rechten Sympathisanten zu ersetzen, deren Verträge sehr viel länger dauern, als parlamentarische Amtszeiten. Am bekanntesten ist Gyrogy Fekete, der 80-jährige Jimmy Saville-Doppelgänger, der vor kurzem zum Leiter der Nationalgalerie ernannt wurde und angeblich eine „eindeutig nationalistische Weltanschauung“ vorantreiben soll. Kurz nach der Wahl kündigte der Bürgermeister von Budapest dem Direktor des New Theatre und ersetzte ihn durch den Jobbik-Anhänger György Dörner, der offen seine anti-semitischen, anti-schwulen und anti-Roma Ansichten kund getan hatte. Was kommt also als nächstes? Die Diskussion letzte Woche in Straßburg warnt Orbán und seine Regierung davor, dass sie das Risiko eingehen, das erste EU-Land zu werden, dessen demokratische Rechte und Freiheiten unter internationale Beobachtung gestellt werden, wenn sie so weitermachen wie bisher. Aber wirklicher Wandel kann nur durch wirkliche Aktionen passieren und mit all den Einschränkungen, die das Land eingesetzt hat, sieht es nicht so aus, als würden das in nächster Zeit geschehen.

Fotos: Zsofia Paly