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Waffen in Videospielen sind verdammt nochmal nicht realistisch

Im echten Leben fühlt sich eine Waffe nie sicher oder einfach an. Warum wird dieses Gefühl also nicht auch auf Videospiele übertragen?

Die Spielerperspektive in 'Call of Duty: Ghosts'

L2 zum Zielen, R2 zum Schießen, Viereck zum Nachladen. Falls du dich im Laufe des letzten Jahrzehnts mit Videospielen beschäftigt hast, dann hast du diese Steuerungsbefehle schon längst verinnerlicht. Schießen ist für die heutigen Spiele so essentiell wie damals in den 80er Jahren das Springen. Es gehört einfach dazu, wir erwarten es quasi und es ist im Grunde der „Inhalt" des Spiels.

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Man könnte dafür jetzt vielleicht Call of Duty verantwortlich machen, immerhin wird seit 2007 jedes Jahr ein neues Spiel dieser Reihe veröffentlicht und damit der Schießmechanismus in den Mainstream gebracht. Man kann das Ganze jedoch nicht nur auf ein einziges Spiele-Franchise beschränken: Neben CoD und Konsorten sind auch scheinbar anspruchsvolle Mainstream-Titel wie The Last of Us oder BioShock Infinite vom Schießen geprägt. Die Independent-Szene hält jedoch tapfer dagegen und sogar ein paar mittelgroße Spiele versuchen, die Affinität von Videospielen zum Schießen (zumindest durch dessen Weglassung) zu verringern. Nichtsdestotrotz werden manche Tasten der Controller auch weiterhin als „Trigger"—also Abzug—bezeichnet. Das Schießen ist und bleibt ein fester Bestandteil der Videospielwelt.

Mit diesem Umstand habe ich kein Problem. Folgende Tatsache stört mich jedoch gewaltig: Marketingfachmänner, Entwickler und Kritiker beteuern seit Jahren, dass das Schießen in Videospielen „realistisch" sei, und trotzdem ist es für uns eine unbeschwerte Handlung, die wir immer und immer wieder vollziehen, ohne dabei über mechanische oder emotionale Komplikationen nachzudenken. Wenn ich eine Waffe in einem Videospiel benutze, fühlt sich das genauso an, wie wenn ich beim Schreiben dieser Zeilen eine Taste drücke—es ist einfach nur ein Befehl, den ich einer Maschine gebe, damit etwas Bestimmtes passiert. Meiner Meinung nach ist das zum Teil dafür verantwortlich, dass die Leute langsam das Interesse an Shootern verlieren.

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Das Betätigen des virtuellen Abzugs fällt einem nicht schwer und es zieht keine echten Konsequenzen nach sich. Die Entwickler scheinen auch keine Anstalten zu machen, vernünftig darzustellen, welche körperlichen und mentalen Voraussetzungen vonnöten sind, um auf einen anderen Menschen zu schießen. Nein, drei lausige Buttons sind genug. Damit kannst ganz einfach und unbewusst Gewalt ausüben—oder eben zumindest eine Waffe abfeuern. Im Bezug auf Moral oder auch auf eine gute Story trägt die vereinfachte Videospielform des Schießens nichts dazu bei, die Komplexität und den Horror von echter Gewalt richtig darzustellen. Im Bezug auf den Spielspaß wird es schnell ziemlich langweilig, immer nur stumpf die gleiche Aktion durchzuführen. Ich bin der Meinung, dass man die Handlung spannender machen und den Spielspaß erhöhen würde, wenn sich Videospielwaffen wirklich realistisch verhalten würden.

2012 wurde der Ego-Shooter Receiver für den Computer veröffentlich. Bei diesem Spiel drückst du nicht nur eine einzige Taste zum Nachladen, sondern musst eine gewisse Tastenkombination eingeben. Zuerst holst du die Waffe aus dem Holster, dann entfernst du das Magazin, füllst Patronen nach und steckst das volle Magazin wieder in die Pistole. Anschließend musst du noch den Schlitten zurückziehen und die Sicherung lösen. Dieses ganze Prozedere dauert gut 30 Sekunden und erst danach kannst du wieder ans Zielen und Schießen denken. David Rosen, der Entwickler von Receiver bei Wolfire Games, ist fest davon überzeugt, dass solche Abläufe Shootern wieder mehr Bedeutung geben werden.

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„Ich finde, dass viele Videospiele nicht sehr elegant mit dem Thema Gewalt umgehen—meine Titel will ich davon gar nicht mal ausschließen", erzählte er mir. „Simulierte Gewalt ist schon immer eine wichtige Komponente des Spielens gewesen. Das sieht man zum Beispiel auch, wenn man sich einen Hund oder eine Katze als Haustier hält. Aber Videospiele bedienen sich dieses Themas, ohne sich dabei wirklich damit auseinanderzusetzen."

„Mein erster Gedanke bei der Entwicklung von Receiver war, dass es noch keinen Ego-Shooter gibt, bei dem es wirklich um die Waffe an sich geht. Deshalb habe ich mir viele Bedienungsanleitungen verschiedener Waffenhersteller durchgelesen und Videos von Waffenbesitzern angeschaut, in denen sie unterschiedliche Waffen vorstellen, putzen und abfeuern."

Receiver ist am Anfang sehr ungewohnt, weil der Spieler versucht, zwei Dinge gleichzeitig herauszufinden: Was muss getan werden, damit die Waffe richtig funktioniert, und welche Tastenkombinationen führen zu welchen Handlungen. Ich glaube jedoch, dass das Spiel genau deswegen so interessant ist. Durch diese realistische Komplexität bleibt jede erneute Begegnung mit dem Feind spannend, weil man sich nie sicher sein kann, ob bei der Waffe jetzt alles korrekt eingestellt ist."

‚Wolfenstein: The New Order' war einer der gefeierten Shooter von 2014—obwohl sich der Umgang mit Waffen genauso einfach wie bei weniger guten Titeln gestaltet.

Auf diese Art und Weise könnte ein veränderter Umgang mit Videospielwaffen dem Spielerlebnis einen neuen Anstrich verpassen. Wenn man im echten Leben eine Waffe in die Hand nimmt, dann muss man zuerst einmal lernen, wie man damit umzugehen hat—genau so wie in Receiver. Man muss die Waffen hochheben, mit ihr zielen und dabei ständig Vorsicht walten lassen. Du bist dir automatisch bewusst, dass eine Waffe kein magischer und einfach zu bedienender Zauberstab ist, sondern ein fehlbares Objekt, das auch schnell nach hinten losgehen oder von einer anderen Person gegen dich verwendet werden kann. Eine Waffe fühlt sich nie sicher oder einfach an. Ich habe zwar schon als Kind Schrotflinten abgefeuert, aber ich bin auch heute immer noch leicht nervös, wenn ich mich auf einem Schießstand befinde. Daran schuld sind die Geräusche, das Gewicht, die „Macht"—Dinge, die in Videospielen nie realistisch nachgebildet werden, weil das Zocken ja Spaß machen und leicht zugänglich sein soll.

Das ist wirklich schade und ziemlich kurzsichtig, denn solche Attribute könnten die Schießereien in Videospielen wieder interessant machen. Ich will meine Feinde nicht mit einer Waffe niedermähen und dafür nur drei Buttons drücken müssen. Ich will ganz vorsichtig zielen, feuern und nachladen. Ich will, dass jeder Schuss nachhallt. Ich will, dass es eine gewisse Bedeutung hat, wenn ich den Abzug betätige. Ich widerspreche mir hier selbst, denn in meinem letzten Artikel habe ich dafür plädiert, dass Videospiele nicht einfach nur Filme kopieren sollten. Ich will jedoch das Videospiel-Äquivalent zu der Schießerei von Heat erleben—laut, intensiv, gefährlich und vor allem angsteinflößend. Letztgenanntes ist genau das, was das Schießen in Videospielen sein sollte, und nicht etwas, das man tun will. Das Spiel sollte sich auf keine Fall nur darauf konzentrieren und man sollte nicht das Gefühl haben, dass eine Schießerei sowohl eine Errungenschaft als auch eine Belohnung ist.

Videospielschießereien sollten schrecklich und schwer sein—etwas, in das man nicht involviert sein will. Wenn sich das Feuern wie bei Receiver von einem mechanischen Standpunkt aus betrachtet kompliziert anfühlt, dann ist es meiner Meinung nach auch emotional gesehen nur schwer zu ertragen. So wird das Ganze zu einem Element, das der Spieler fürchtet und zu dem er sich mehr denkt als nur: „Mann, ist das geil".