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Venezuela ist das schönste Land, aber trotzdem will dort keiner wohnen

Chávez ist tot, aber was passiert jetzt? Die Jugend Venezuelas hat sich schon lange verpisst, und übrig bleiben nur die, die sich eine Flucht nicht leisten können. Dabei ist das Land stinkreich.

Lange hatte es in Südamerika keinen so polarisierenden Anführer wie Hugo Chávez mehr gegeben. Einer der viel veränderte und einen ganzen Kontinent in seinen Bann zog. Trotzdem, Venezuela ist gespalten, weit mehr noch als bei seinem Amtsantritt. Mich interessiert aber nicht die Vergangenheit und welche guten oder schlechten Dinge Chávez für dieses Land getan hat. Ich spreche nur aus eigener Erfahrungen und hoffentlich im Namen vieler junger Venezolaner, denn für sie sieht die Zukunft auch ohne Chávez düster aus. Die junge venezolanische Generation wuchs unter Chávez auf, der seit 1999 regierte. Viele Menschen standen damals hinter der neuen sozialistischen Revolution, aber die Realität im Land sah dann doch ganz anderes aus. Mit steigender Unsicherheit, Korruption und Misswirtschaft verschlechterten sich die Chancen dieser Generation dramatisch.

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Venezuela ist eines der schönstes Länder dieser Erde. Selber würde ich mich nicht als Experten beschreiben, eher als Kenner oder Groupie. Ich habe venezolanische Familie und war früher oft dort. Die Leute sind herzlich und das Land wunderbar vielfältig. Leider hat die Kriminalität in den letzten Jahren so drastisch zugenommenen, dass sich das eigentliche Leben nicht mehr auf der Straße abspielt, zumindest in Caracas, höchstens wenn protestiert wird, und selbst dann wird es gefährlich. Vor der letzten Wahl im Oktober 2012 gingen viele Studenten auf die Straße, um gegen eine Bildungsreform zu demonstrieren, die eine sozialistische Ideologie in allen Lehrplänen vorsah und eine Überarbeitung aller Studiengänge in diesem Sinne. Die unbewaffneten Studenten wurden mit Gummiknüppeln und Wasserwerfen daran gehindert, bis zum Parlament zu marschieren, weil sie als eine allgemeine Gefahr für die Staatssicherheit eingestuft wurden.

Die Demonstranten haben nicht nur gegen den neuen Lehrplan gekämpft, sondern auch für mehr Demokratie und Transparenz plädiert und auch mögliche Wahlfälschungen angeprangert. Trotzdem gab es wenig Erbarmen. Gegen weitere Proteste in der jüngeren Geschichte des Landes wurden nicht immer nur Gummiknüppel eingesetzt. Die Opposition, auch wenn manchmal in sich verstritten, wurde von der leibeigenen Garde von Chávez oder verschiedener andere dubioser Paramilitärs eingeschüchtert. Viel Demokratie blieb in diesem System nicht übrig.

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Meine Freunde und venezolanischen Bekannten haben sich, wenn die Möglichkeit bestand, schnellstens aus dem Staub gemacht. Sie sahen ihr Glück woanders, wo es mehr Chancen gibt und die wirtschaftliche Lage stabiler ist. Viele sind in die USA oder sogar nach Kolumbien gezogen. Einige auch nach Europa. Aber die Unsicherheit spielte auch eine große Rolle in dem Entschluss vieler junge Venezolaner, dem Land den Rücken zu kehren.

Ein Beispiel für die hohe Kriminalität gab es auch in meinem Bekanntenkreis. Ein Sandkastenfreund von mir wurde entführt, und weil seine Familie das Lösegeld nicht schnell genug aufbringen konnten, schnitten sie ihm beide Ohren ab und schickten diese der Familie. Solche Entführungen sind an der Tagesordnung. Vor Kurzem wurde auch bei einer Polizeikontrolle die 19-jährige Tochter eines chilenischen Diplomaten erschossen. Nur weil sie mit ihrem Auto nicht angehalten hat. Sehr üblich in Venezuela, wo man auch nachts nicht über rote Ampeln fährt oder bei einer Polizeikontrolle stehen bleibt. Man kann sich nicht sicher sein, ob es wirklich die Polizei ist.

Nach Chávez' Tod kommen viele Fragen auf. Wie wird sich Venezuela weiter entwickeln? Wird es noch unstabiler oder wird es wieder aufblühen?

Eine Freundin von mir aus Caracas, Sophia, ist 22 und studiert Bauingenieurwesen in München. Sie hat es geschafft, nach der Schule und mit Unterstützung deutscher Verwandter das Land zu verlassen. Ich hab sie gefragt, was sie denkt, was nach dem Tod von Chávez passieren wird und ob sie sich vorstellen könnte, wieder in ihr Heimatland zurückzukehren.

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Freust du dich über das Ende der Chávez-Ära?
Ja und nein. Chávez ist nicht das einzige Problem in Venezuela. Die Korruption ist furchtbar! Ohne Schmiergeld funktioniert nichts. Die Polizei, das Militär und die Politiker. Alle korrupt! Es müssen sich viele Dinge ändern.

Welche Beweggründe hattest du, das Land zu verlassen?
Die Kriminalität und die Jobaussichten. Die Universitäten sind gut, aber das Bildungssystem ist generell in einem schlechten Zustand. Jobaussichten sind mager und das Einkommen reicht kaum zum Leben. Preise sind konstant gestiegen, auch weil viele Firmen pleite gegangen sind oder enteignet wurden. Das Land produziert kaum noch selber. Für Junge Menschen ist es besonders schlimm. Sie können nicht mehr ausgehen und sind auch in vielen anderen Aktivitäten eingeschränkt.

Was war dein Schlüsselerlebnis, nach Deutschland zu gehen?
Mein Entschluss, Venezuela zu verlassen, kam, direkt nachdem eine Freundin vor meinen Augen entführt wurde. Mir war das zu krass. Das ist auch kein Leben für junge Menschen. Es ist Terror.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann zurückzukehren?
Meine Familie ist dort und es ist ein wunderschönes Land. Aber ich sehe momentan wenig Zukunft. Es muss sehr viel passieren. Leider glaube ich, dass sich viel von der Mentalität ändern muss. Die Korruption ist irgendwie schon so extrem und die Leute vertrauen einander nicht. Die Gesellschaft ist sehr gespalten. Aber man könnte so viel machen mit diesem Land. Es ist ja keine armes Land.

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Was sind deine Erfahrungen in Deutschland?
Die Uni ist anspruchsvoll und ich mag die Mentalität in Bayern. Es funktioniert alles. Ich mag die Jahreszeiten, obwohl es schon sehr kalt werden kann. Ich kann ausgehen und ohne Probleme alleine nach Hause laufen Es sind aber auch viele Lateinamerikaner hier, auch einige Venezolaner an meiner Uni. Und ich glaube, es sind mehr geworden.

Ein anderer Bekannter hat mir Freddy Alexander vorgestellt. Er ist 25 und lebt in Miami und hat seine eigene Start-up-Firma gegründet. Aus seiner ehemaligen Schule in Caracas sind von 120 Schülern nur 4 noch dort geblieben, alle andere haben im Ausland ihr Glück gefunden.

Wie empfindest du den Tod von Chávez?
Ich werde ihn nicht vermissen. Er hat so viel kaputt gewirtschaftet. Vor ihm gab es auch schon Korruption, aber unter seiner Amtszeit explodierte sie quasi. Er hat ein Drittel der Bevölkerung zu Beamten gemacht, aber das ist wirtschaftlich einfach nicht durchführbar. Unter seiner Amtszeit ist der Ölpreis kontinuierlich gestiegen, trotzdem hat er es quasi verschenkt und durch Verstaatlichung sehr viele Investitionen in die Infrastruktur und Produktion des Landes versäumt. Deswegen sind die Lebensmittel so teuer und vieles muss importiert werden. Seine Ansprachen werde ich auch nicht vermissen. Jeden Sonntag gab es acht Stunden Aló Presidente auf allen Kanälen. Ich hoffe jetzt wieder auf mehr Transparenz und Pressefreiheit im Land.

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Wie würdest du die momentane Stimmung unter den jungen Venezolanern beschreiben?
Es hat sich viel mit der Jugend getan. Sie ist politischer geworden. Nicht nur nach dem Eingreifen von Chávez in den Lehrplan der Schulen und Unis. Auch in den letzten Tagen vor Chávez' Tod marschierten Studenten auf der Straße und verlangten genaue Angaben zum Gesundheitszustand des Diktators. Es gab viele Gerüchte, während er sich immer wieder monatelang in Cuba behandeln ließ. Auch viele von meinen Freunden engagieren sich politisch, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Wieso bist du nach Miami?
Die wirtschaftliche Lage ist zu schlecht in Venezuela. Zu instabil. Die Währung wurde auch gerade erst entwertet. Aber vor allem wegen der schlechten Jobaussichten und der Unsicherheit.

Wie stellst du dir die Zukunft des Landes vor?
Ich glaube, die Situation muss erst mal schlimmer werden, bevor ein Umbruch passiert. Das Land hat so viel Potential. Sie haben gerade erst entdeckt, dass das Land wahrscheinlich über die größten Rohölreserven der Welt verfügt. Wenn man das richtig angeht, könnte man so viel ändern und verbessern. Dafür muss auch die Korruption endlich sinken. Leider will jeder ein Stücke vom Kuchen in Venezuela. Chávez hat versucht, das Geld im Land umzuverteilen, aber sehr viel wurde einfach gestohlen von seinen Anhängern und anderen Mitregierenden. Eine extreme Vetternwirtschaft war Teil vom System Chávez. Seine Anhänger fahren rote Porsches, quasi als Erkennungszeichen. So etwas gab es schon früher, aber nicht in dieser Form und nicht mit dieser kriminellen Energie. Ich hoffe, dass die junge Generation, die mit diesen Missständen eigentlich ihr ganzes Leben konfrontiert war, es später besser machen wird und es einen Wandel zu echter Demokratie geben wird.

Würdest du wieder zurück gehen?
Natürlich. Ich bin Venezolaner und es ist so ein wunderschönes Land. Mein Heimatland und ich sehe nach dem Tod von Chávez wieder eine Chance auf eine bessere Zukunft. Ich wünsche es mir, aber sicher bin ich mir nicht.

Ross Kemp Extreme World - Venezuela von mayc yukka auf Vimeo.