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Dieser Italiener hat sich als Nazi verkleidet, um gegen die Gegner der Homo-Ehe zu demonstrieren

Giampietro Belotti hielt es für eine gute Idee, den Standing Sentinels in einem SS-Kostüm entgegenzutreten. Er lag falsch.
Leonardo Bianchi
Rome, IT

Italien ist nicht gerade ein schwulenfreundliches Land. Homo-Ehen sind im Grunde ein Tabu und das Parlament hat es nie geschafft, ein Gesetz für eingetragene Lebenspartnerschaften zu entwerfen. Dazu gibt es eine ganze Reihe an homophoben Gruppierungen—von Ultra-Katholiken bis hin zu rechtsextremen Parteien—, die das individuelle Recht anfechten, Sex mit gleichgeschlechtlichen Menschen zu haben.

Zu diesen homophoben Gruppierungen zählt auch Standing Sentinels. In letzter Zeit hat sie Aufsehen erregt, weil sich die Mitglieder an belebten Orten treffen—inspiriert von der französischen Bewegung Manif pour tous. Standing Sentinels (laut eigenen Aussagen neutral und unpolitisch) organisiert in regelmäßigen Abständen Mahnwachen auf öffentlichen Plätzen Italiens. Demonstriert wird dabei für den „Widerstand der Bürger, die die gesellschaftlichen Ereignisse und die Handlungen der Gesetzgebung überwachen und dabei alles anprangern, was die Menschheit und die Zivilisation kaputt macht.“

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Die Gruppierung stellt sich selbst als eine friedliche und tolerante Bewegung dar, weil sie die Meinungsfreiheit anerkennt. In Wahrheit werden aber ziemlich homophobe Ansichten vertreten. Das Hauptziel von Standing Sentinels ist der Schutz der „natürlichen Familie, bestehend aus dem Zusammenschluss von Mann und Frau“ und die Weiterführung des Kampfes gegen die Homo-Ehe und den Scalfarotto-Gesetzesentwurf (höhere Gefängnisstrafen im Falle von erschwerenden Umständen bei homophoben und transphoben Straftaten).

Am 5. Oktober versammelten sich Mitglieder der Standing Sentinels in mehreren Städten, um ihre übliche Mahnwache abzuhalten. Natürlich waren LGBT-Aktivisten und linke Gruppierungen darüber nicht sehr erfreut und haben sich deshalb ebenfalls getroffen, um gegen die Mahnwachen zu demonstrieren. Am heftigsten fielen diese Demonstrationen in Trento (zwei Mitglieder der Sentinels mussten ins Krankenhaus gebracht werden), Turin, Neapel und vor allem in Bologna aus, wo die Demonstranten und die rechtsradikale Partei Forza Nuova richtig aneinander gerieten. In Venedig küssten sich zwei Männer vor Standing Sentinels—laut der örtlichen Zeitung wurden die Beiden „von der Carabinieri ausfindig gemacht und könnten jetzt wegen einer ‚nicht genehmigten Demonstration‘ angeklagt werden.“

In der norditalienischen Stadt Bergamo tauchte ein junger Mann bei der Mahnwache auf und stellte sich vor die Mitglieder von Standing Sentinels. Er trug dabei das Illinois Nazi-Outfit aus Blues Brothers und die Armbinde von Charlie Chaplin aus Der große Diktator. In seiner Hand hielt er eine Ausgabe von Mein Kampf und ein Plakat mit der Aufschrift ‚Illinois Nazis stand with the Sentinels.‘

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Standing Sentinels in Mailand. Foto: Zoe Casati

Bei diesem jungen Mann handelt es sich um Giampietro Belotti, einen 29-jährigen Student der Universität von Brescia. Seine Satire fand bei Standing Sentinels und bei DIGOS keinen großen Anklang. Die Beamten nahmen Belottis Personalien auf und anschließend wurde er auf das Polizeirevier gebracht. Ironischerweise könnte der Student jetzt wegen Faschismus-Relativierung (im italienischen Rechtssystem eine Straftat) vor Gericht gebracht werden. Neugierig rief ich Belotti an, um über seine Begegnung mit Standing Sentinels und den Polizisten zu sprechen.

VICE: Wie kamst du auf die Idee, dich als Nazi zu verkleiden?
Giampietro Belotti: Ich habe schon in der Vergangenheit bei Nachstellungen von historischen Ereignissen mitgemacht und stehe auf schicke Kostümpartys und absurde Verkleidungen. Mit dieser ganzen Standing-Sentinels-Sache habe ich so meine Probleme. Ich finde, sie treiben ein falsches Spiel. Ich dachte mir, dass ich so diese beiden Sachen ganz gut miteinander verbinden kann.

Wie wurde reagiert, also du dort ankamst?
Alle waren erstmal wie gelähmt vor Schock. Als die Organisatoren mich sahen, holten sie DIGOS-Beamten zur Hilfe. Eine Minute später musste ich schon nach meinem Ausweis kramen.

Was genau ist da passiert?
Um ich herum hat sich eine kleine Gruppe gebildet—ein paar Menschen applaudierten, andere machten Fotos mit ihren Handys. Als die Polizisten nach meinem Ausweis fragten, gingen einige Leute dazwischen und sagten, dass ich da nicht Illegales mache. Als klar wurde, dass ich mit zur Wache genommen werde, haben zwei andere Passanten auch noch ihre Ausweise rausgeholt.

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Und dann?
Sagen wir es mal so: Ich war jetzt auch nicht gerade glücklich darüber, abgeführt zu werden. Die DIGOS-Beamten waren innerhalb der von ihrem Job vorgegebenen Grenzen aber eigentlich ziemlich höflich. Einer von ihnen packte mich am Arm und wollte mich wegziehen. Ich sagte: „Würden Sie mich bitte loslassen?“ Daraufhin hörte er auf, weil ihm klar wurde, dass er es da nicht mit einem Randalierer zu tun hatte. Die Leute, die zu meiner Verteidigung herbeieilten, wurden allerdings immer unruhiger. Deswegen bin ich dann mit der Polizei mitgegangen.

Über was hast du mit den Beamten während der Fahrt zum Präsidium geredet?
Das Ganze wurde fast schon grotesk. Die Polizisten haben meine Anspielungen auf die Illinois-Nazis und Charlie Chaplin gleich erkannt. Während der Fahrt haben wir dann über Blues Brothers geredet. In diesem Moment war ich doch ziemlich verwirrt.

Also hast du im Grunde in einem Polizeiauto über Filme diskutiert?
Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde. Das Erstaunliche dabei ist, dass die Polizisten alle meine Anspielungen verstanden haben, viele Journalisten jedoch nicht. In den Zeitungen waren dann auch Überschriften wie ‚Falscher Hitler‘ oder ‚Angezogen wie die SS‘ zu lesen.

Was ist dann auf dem Polizeirevier passiert?
Meine Akte wurde angelegt, meine Fingerabdrücke genommen und ein Foto gemacht. Auf dem bin ich angezogen wie ein Illinois-Nazi. Zuerst wollten sie mir auch mein Plakat und meine Mein Kampf-Ausgabe abnehmen. Dann kam aber ein dritter Polizist dazu. Der meinte, dass es wenig Sinn mache, ein Buch zu konfiszieren, das man in jedem Buchladen kaufen kann.

Zusätzlich hatte ich noch viele pinke Papierdreiecke in meiner Tasche. Damit wurden damals in den Konzentrationslagern die Homosexuellen gekennzeichnet. Die wollte ich dort eigentlich an die homophoben Leute verteilen, aber leider hatte ich dafür dann keine Zeit mehr.

Kann man dich jetzt für diese Sache ernsthaft vor Gericht bringen?
Na ja, die Beamten sagten mir, dass sie ihren Bericht über die Geschehnisse schreiben, mein Plakat konfiszieren und einem Richter Bescheid geben müssten. Eigentlich kann man mich nur wegen Faschismus-Relativierung anklagen, was eigentlich ziemlich ironisch ist.

Ganz meine Meinung.
Heute hat sich der Richter meine Akte angesehen und ich muss mir jetzt einen Anwalt suchen. Gestern wurde mir ein Pflichtverteidiger zugewiesen, weil ich noch keinen eigenen angegeben habe. Viele Leute versuchen allerdings schon, einen Anwalt zu finden, der mich kostenlos vertritt. Das Ganze ist einfach lächerlich. Ich bin dorthin gegangen, um ein Zeichen zu setzen. Hätte man mich gebeten, zu gehen—„Entschuldigung, würden Sie sich bitte schnellstens verpissen?“—, dann wäre das kein Problem gewesen. Ich hätte nie erwartet, dass sich das alles so entwickelt.