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Vom Gangsta-Rapper zum Dschihadisten: Auf den Spuren Deso Doggs in Syrien

Auf sozialen Netzwerken verbreitete sich kürzlich das Gerücht, dass Deso Dogg beim Kampf an der Seite syrischer Oppositioneller getötet wurde. Doch anscheinend läuft der ehemalige Gangsta-Rapper noch immer frei durch Syrien.

Bild via YouTube

Die Karriere als Gangsta-Rapper ist normalerweise eher kurzlebig, ähnlich wie die eines professionellen Athleten. Zumindest zuckt man erstmal zusammen, wenn ein 50-Jähriger über Drogendeals, Gruppensex und Drive-By-Shootings rappt (nicht, dass das nicht vorkommen würde); ähnlich verstörend ist es, wenn eine übergewichtige, von Koks benebelte Fußballlegende wie Maradona plötzlich für ein Benefizspiel hervorgekarrt wird. Um derartige Peinlichkeiten zu vermeiden, ändern die meisten erfolgreichen MCs ihren künstlerischen Kurs irgendwann. Andere hingegen finden zu Gott. Auf sozialen Netzwerken verbreitete sich am 9. September das Gerücht, dass Deso Dogg—agierend unter dem Pseudonym „Abu Talha Al-Almani“ (Abu Talha der Deutsche)—beim Kampf an der Seite syrischer Oppositioneller verletzt wurde. Andere behaupteten, dass er getötet worden sei. Den deutschen Behörden zufolge war Deso einer von mindestens zwanzig Deutschen, die in Syrien kämpften. Frühere Meldungen, die im letzten Monat in sozialen Netzwerken aus Syrien kamen, zeigten unter anderem, wie Deso Dogg einen Raketenwerfer schwingt und glücklich in einem Bach herumplanscht, der sich nach Angaben von Beobachtern in den Bergen nahe der syrischen Küstenstadt Latakia befindet. Deso Doggs angeblicher Tod erregte prompt eine Antwort der verbotenen deutschen Salafistenorganisation Millatu Ibrahim. In einer auf Deutsch und Arabisch verfassten Stellungnahme bemühte sie sich klarzustellen, dass der ehemalige Rapper bei einem Luftangriff auf einen Rebellenunterschlupf an einem unbekannten Ort in Syrien lediglich verletzt worden sei. Der Aufenthaltsort und der gesundheitliche Zustand von Deso Dogg bleiben weiterhin im Dunklen. Deso Dogg ist nicht der erste Musiker, der im Laufe des Bürgerkriegs in Syrien zum militanten Salafisten wurde. Der einst als „König der Romantik“ titulierte libanesische Sänger Fadl Shakr, der bereits mit Mariah Carey aufgetreten ist, war im Juli in Zusammenstöße zwischen Anhängern des Salafisten Sheikh Ahmad Assir und der libanesischen Armee verwickelt, bei denen über 40 Menschen ums Leben kamen. Der aus Alabama stammende Omar Hammami, der durch seine Rap-Propagandavideos bekannt wurde und auf den das FBI ein Kopfgeld von 5 Millionen Dollar ausgesetzt hat, wurde am 12. September 2013 in Somalia von der rivalisierenden militanten Islamistenorganisation al-Shabaab ermordet. Auch wenn Deso Doggs Reise nach in Syrien also Vorbilder hatte, sind die Einzelheiten seiner Konversion zum militanten Islamismus packend. Zudem zeigen sie einige Schwierigkeiten der deutschen Regierung im Umgang mit einheimischen Salafisten auf. Als Sohn eines abwesenden Vaters aus Ghana und einer deutschen Mutter wurde Deso Dogg von einem amerikanischen Stiefvater (einem in Berlin stationierten Soldaten) aufgezogen. Er hatte eine turbulente Jugend und saß eine Zeit lang in der Jugendstrafanstalt. Hier soll er Rassismus ausgesetzt gewesen sein und—in Wechselwirkung mit der widerspenstigen Beziehung zu seinem Vater—einen ausgeprägt anti-autoritären Charakter entwickelt haben. Themen wie diese sind in seinen Songs vorherrschend. Bereits 1990, also fünf Jahre bevor er zu Rappen anfing und über fünfzehn Jahre vor seiner Konversion zum islamistischen Hardliner-Glaubenssystem des Salafismus, nahm Deso Dogg an Demos gegen die amerikanische Außenpolitik im Vorfeld des Zweiten Golfkriegs statt. Entsprechendes tat er 2003 während der Irak-Invasion. Nachdem er eine kurze Strafe für geringe Vergehen wie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz verbüßt und aus vorgeblich psychologischen Gründen eine Tour mit DMX abgebrochen hatte, veröffentlichte Deso Dogg 2006 sein erstes Album: Murda Cocctail Vol. 1. Deso Dogg schien einen Weg gefunden zu haben, seine inneren Dämonen auszutreiben. Doch drei Alben und vier Jahre später brach Deso Dogg seine Rapkarriere nach einer Nahtoderfahrung bei einem Autounfall ab und verkündete in einem öffentlichen Video seine Konversion zum Islam. Der Rap war durch deutsche Naschids ersetzt worden, eine traditionelle islamische Andachtsmusik, in der Osama bin Laden und der Taliban-Führer Mullah Omar gepriesen werden. Deso wurde zum Kritiker der westlichen Außenpolitik und unterstützte Mudschahid-Kräfte in Afghanistan, Irak, Somalia und Tschetschenien. Nachdem er 2011 knapp einer Gefängnisstrafe für den Besitz von Waffen entgangen war, rückte er durch die Verbindung mit dem Österreicher Millatu-Ibrahim-Führer Mohamed Mahmoud (auch bekannt als Abu Usama al-Gharib) zunehmend ins Visier der deutschen Antiterror-Behörden, die fürchteten, dass er der Organisation als mächtiges Rekrutierungsmittel dienen könnte. Mahmoud, ehemaliger Teilnehmer eines al-Quaida-Trainingscamps im Irak, war zu diesem Zeitpunkt gerade erst aus einem österreichischen Gefängnis entlassen worden, nachdem er eine vierjährige Haftstrafe für die Propagierung der mit al-Quaida verbundenen Global Islamic Media Front (GIMF) abgesessen hatte. Die Naschids von Deso Dogg und Mohamed Mahmoud sollen den albanisch-deutschen Islamisten Arid Uka inspiriert haben, der am 2. März 2011 zwei US-Piloten am Frankfurter Flughafen tötete und zwei andere schwer verletzte. Nach Zusammenstößen zwischen der rechtsextremen Bürgerbewegung PRO NRW und Salafistenvereinen in Bonn (wo Deso Dogg zu dieser Zeit lebte) wurden Millatu Ibrahim im Juni 2012 verboten. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich beschrieb den Verein als Bedrohung der „verfassungsmäßigen Ordnung“. Zu diesem Zeitpunkt war Mahmoud bereits nach Ägypten gezogen und forderte seine Millatu-Ibrahim-Kameraden dazu auf, sich ihm anzuschließen. Gemäß dem Verfassungsschutzbericht 2012 war Deso Dogg einer von 50 Deutschen, die dem Aufruf folgten. Im März 2013 zirkulierte ein Video im Internet, in dem Mahmoud seinen Ausweis verbrennt, seine österreichische Staatsbürgerschaft aufgibt und dem österreichischen Staat Vergeltungsschläge androht. Kurz darauf wurde er von türkischen Behörden an der türkisch-syrischen Grenze in der südöstlichen Provinz Hatay aufgegriffen, angeblich im Besitz eines gefälschten Passes eines nordafrikanischen Landes. Er sitzt nun in einem türkischen Gefängnis und wartet auf die Abschiebung. Deso Dogg dagegen soll unbemerkt nach Syrien gelangt sein—ein Zug, der die Furcht der deutschen Terrorismusfahnder, dass er für die Rekrutierung weiterer Terroristen eingesetzt werden könnte, wohl verstärken wird. Ich traf mich mit Osman Bakhash, dem Direktor des Central Media Office von Hizb ut-Tahrir in meinem Wohnort Beirut, um mit ihm über Deso Doggs Auftauchen in Syrien zu sprechen. Die internationale, 1953 gegründete Salfistenbewegung Hizb ut-Tahrir vertritt eine politische Philosophie, die eine Neugründung des Islamischen Kalifats mit „friedlichen Mitteln“ anstrebt. In Deutschland wurden der Organisation 2003 öffentliche Aktivitäten verboten, nachdem sie bei einem Vortrag an der Technischen Universität Berlin an der Seite der NPD auftauchte. Die Konferenz ließ die Angst vor einer Verbindung zwischen Neonazi- und Islamistenorganisationen aufkeimen. „Er (Deso Dogg) sollte nicht dort sein. Als Partei lehnen wir alle Formen ausländischer Intervention in Syrien ab“, sagte Bakhash. „Aber in den Salafistenbewegungen wird großer Nachdruck auf persönliches, individuelles Charisma gelegt. Deso Dogg und Fadl Shakr werden als Aushängeschilder betrachtet und entsprechend gefördert.“ Sowohl Deso Dogg als auch Fadl Shakr sind auf salafistischen Internetplattformen zu Kultfiguren geworden. Auf der offiziellen Facebook-Seite eines saudischen Scheichs mit über 147.000 Followern bzw. „Likes“ haben zwei einzelne Posts über das sonderbare Paar über 7.500 Likes und 3.500 Shares von Menschen aus aller Welt bekommen. „Die deutsche Regierung hat jedes Recht, Versuche von Gewalt- oder Terroranwendungen zu unterdrücken—egal, ob sie von Muslimen oder Nicht-Muslimen stammen“, sagte Bakhash. „Doch manchmal sind muslimische Gruppen ins Visier genommen worden, deren Philosophie gar nicht so extrem ist. Wenn du solche Gruppen verfolgst, riskierst du, dass du einige Leute zu Dschihad-Anhängern machst“, fährt  Bakhash fort und bezieht sich dabei auf die eigene Erfahrung, die Hizb ut-Tahrir in Deutschland gemacht hat. Auf das Millatu-Ibrahim-Verbot der deutschen Regierung im Juni 2012 folgten Razzien in Häusern von verdächtigen islamischen Extremisten. Im März 2013 kam es zu entsprechenden Verboten anderer Salafistenvereine, darunter Dawa FMM, Islamic Audios und An-Nussrah, dem Nachfolger von Millatu Ibrahim. Doch war diese politische Antwort der deutschen Regierung durch Populismus oder durch strategisches Denken motiviert? Kritiker äußerten Bedenken, dass die verfolgte Strategie eine weitere Radikalisierung bewirken könnte. „Nach dem Verbot von Hizb ut-Tahrir im Jahr 2003 haben einige Mitglieder die Partei verlassen und sind in den Untergrund abgewandert, wo sie extremere Ansichten übernahmen. Das ist eine Tatsache“, schließt Bakhash, wobei sie ihn nicht sonderlich zu plagen scheint. Bei einem Treffen mit Hizb ut-Tahrir in Tripoli im April dieses Jahres hatte ich Ahmad Qassas, den dortigen Media Officer, gefragt, ob er irgendwelche Einwände gegen den Wunsch ausländischer Kämpfer hätte, nach Syrien zu reisen und die Waffen gegen das Assad-Regime zu erheben. Vom offiziellen Parteiprotokoll abweichend hatte er geantwortet: „Der Dschihad ist keine Verpflichtung für jeden Muslim, doch es ist das Recht eines jeden Muslims, für seine Brüder in Syrien zu kämpfen.“ Als ich das Büro von Hizb ut-Tahrir verließ, beschloss ich, die deutsche Botschaft für einen Termin anzurufen, um über Deso Doggs angebliche Anwesenheit in Syrien zu sprechen, über die Frage, ob Mahmouds Festnahme in der Türkei durch eine Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Geheimdiensten zustande gekommen sei, und über die Sorge um weitere selbstgezüchtete Radikalisierungen. Ich bekam keine Antwort. Die Angestellten der Deutschen Botschaft in Beirut sind ziemlich beschäftigt. Am 11. September stiegen 107 syrische Flüchtlinge am Rafik-Hariri-Flughafen ins Flugzeug nach Deutschland—die erste Gruppe im Rahmen eines deutschen Regierungsprogramms, das bis zu 5.000 syrischen Flüchtlingen eine zeitweilige Aufnahme in Deutschland gewährleisten soll. Es ist das größte Aufnahmeprogramm, das seit Beginn des Bürgerkriegs vor zweieinhalb Jahren in einem europäischen Land eingerichtet wurde. Währenddessen läuft der deutsche Bundesbürger, der ehemalige Gangsta-Rapper und der Dschihad-Bewerber Deso Dogg weiterhin frei herum, anscheinend irgendwo in Syrien.

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