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Reisen

Von München nach Palästina

Es hat seine Zeit gebraucht, bis das Oktoberfest zu einer globalen Erscheinung wurde. Heutzutage macht aber all das Bier, all die halbnackten Brüste und die besoffene Australier, seinem Namen keine Ehre mehr.

Es hat seine Zeit gebraucht, bis das Oktoberfest zu einer globalen Erscheinung wurde. Heutzutage macht aber all das Bier, all die halbnackten Brüste und die besoffene Australier, seinem Namen keine Ehre mehr. München ist mit diesen Ereignissen dermaßen übersättig, dass den Menschen im Grunde nichts anderes übrig bleibt, als sich zu betrinken, um das ganze auszublenden. In einem Land, das unter Militärbesatzung steht und in dem 95 Prozent der Bevölkerung Moslems sind, läuft das Oktoberfest ein bisschen anders.

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Obwohl ich noch nie bei einem Oktoberfest war, habe ich es schon immer gehasst. Es ist der perfekte Ort für Ausschweifunge, wo Menschen aus allen Kulturen zusammenkommen um sich gemeinsam zu betrinken und zum wirtschaftlichen Aufschwung Bayerns beizutragen. Übrigens, sind die Chancen um mit fremden Menschen wilden Sex zu haben, an diesem Ort enorm hoch. Aus welchem Grund auch immer, habe ich beschlossen dieses Jahr beim Oktoberfest dabei zu sein. Gleich zwei Mal. Zuerst ganz traditionell in München, wo das 200 jährige Jubiläum gefeiert wurde. Und dann eine Woche später in einem Dorf in Taybeh, West Bank, irgendwo in zerklüfteten Bergen zwischen Jerusalem und Ramallah. Hier wurde das Oktoberfest von der lokalen Brauerei organisiert, deren Bier, das auch Taybeh heißt, der nationale Stolz von Palästina ist, auch wenn es auf dem Territorium eines christlichen Dorfes produziert wurde. „Es schmeckt super!“ sagte mir ein muslimischer Palästinenser. „Aber ich dachte du trinkts nicht?“ Habe ich ihm geantwortet. „Tue ich auch nicht. Aber Taybeh schmeckt super.“

Das Taybeh Oktoberfest in Palästina ist ganz fantastisch. Okay, es sind mehr Männer mit Waffen zu sehen als in München. Während des zweitägigen Festivals sitzen die palästinensischen Polizisten zusammen mit dem Sicherheitsmännern in irgendwelchen Ecken, beobachten die Menschen und rauchen. Hier gibt es alles, was zum Oktoberfest gehört, Bier, Fleisch, Kinder, Coca-Cola, Donuts, laute Musik. Es sind um die 10.000 Menschen, wobei im Dorf nur 2000 leben. Ich habe auch ein Baby-Krokodil und einen Papagei gesehen. Es gibt kleine Kekse gefüllt mit heißem, klebrigem Käse und kochendem Honig. Ein Typ trug traditionelle arabische Kleidung und schenkte aus einer riesigen Kanne, die er auf dem Rücken trug, heißen Tee aus.

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Ein Krokodil.

Eine Kanne.

Es gab nicht viele bayerische Details. Die Flaggen waren nicht blau-weiß, sondern palästinensisch. Es gab keine Dirndl, Blaskapellen und auch keine Lederhosen. Dafür gab es Maßkrüge, insgesamt sechs Stück. Sie waren alle auf der Bühne und gehörten alle zum Teil des bevorstehenden Krugstämmen-Wettbewerbs.

Der Schlüssel des gelungenen Oktoberfestes war, dass es gar kein Oktoberfest war. Wenn ich das Ganze aus dieser Perspektive betrachte, dann stelle ich fest, dass ich an eine der konfliktreichsten Zonen der Welt gereist war, bloß weil ein gewisser Nadim Khoury das Treiben hier „Oktoberfest“ nannte. Was für ein brillanter Marketingeinfall.

Dieses Oktoberfest wurde von einer Abfolge von Reden eröffnet. Angefangen hat der Bürgemeister Taybeh Nadim, dann sprach ein orthodoxer Priester. Aus den Reden wurde klar, dass dieses Festival ein friedlicher Protest gegen den Bau von drei Siedlungen ist, die Israel in der umliegenden Umgebung bauen will.

Ich war nicht der einzige Reporter, der sich die Rede von Nadim anhörte. New York Times hat über Taybeh ebenfalls ein Artikel herausgebracht. CNN war da, zusammen mit der „Deutsche Welle.“ Sie zankten sich mit einem italienischen TV-Sender um ein Interview mit einem kleinen Jungen mit einer riesigen Teekanne.

Auf meinem Rückflug nach Tel Aviv habe ich mir Berliner Zeitung geschnappt und freute mich auf ein paar News von Zuhause. Was ich da sah, war ein Artikel über das Oktoberfest in Tybeh auf der Rückseite

Die ganze Zeit über stand Nadim, dieser Super-Mario Geschäftsmann mit einem Plastik Bierglas in der Hand und hielt ein Meeting nach dem anderen ab. Während ich auf das Interview mit unserem Gastgeber gewartet habe, sagte mir ein sehr süßer, fetter und erschöpfter Mann, der übrigens diverse Läden in San Francisco besitzt, dass er bereits seit vier Stunden wartet um ein Paar Minuten mit dem „big man“ zu plaudern.

Fakt ist, dass einige Artikel den politischen Hintergrund überhaupt nicht erwähnt haben. Neben vielen Reportern aus dem Westen, habe ich eine Frau kennen gelernt, die in Jerusalem für eine britischen Hilfsorganisation arbeitet. Ich habe sie gefragt, ob es nicht deprimierend ist hier zu arbeiten, gerade weil die Israelis nicht aufhören an der Mauer und an den Siedlungen zu arbeiten. Am Montag, nach dem das Oktoberfest zu Ende ging, brannte eine Moschee in Bethlehem. Am kommenden Wochenende wurde ein Mann beim Versuch einen Checkpoint nach Israel zu überqueren erschossen.

Sie antwortete: “Es ist deprimierend, aber Palästinenser müssen aufhören aktiv zu handeln. Viele versuchen aus der Besatzung das Beste zu machen.“ Friedensgespräche verlaufen ohne Ergebnisse und Palästina wird möglicherweise kein autonomes Land. Zumindest nicht zu unseren Lebzeiten. Aber Dank solchen Menschen wie Nadim, wird West Bank zu einem Ort, das für Geschäftsmänner und Touristen interessant wird. Ich bin echt froh, dass ich da war.