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Popkultur

Vom Porno zu „Berlin—Tag & Nacht“

Bekannt wurde Daniel Hyan mit seiner „Porno-Stromberg“-Webserie, mittlerweile dreht er Deutschlands erfolgreichste Reality-Soap. Ein Interview über Laiendarsteller, Scripted Reality und die langweilige deutsche TV-Landschaft.

Mit Making of Süße Stuten 7, Moabit Vice oder Kollegium hauchte Daniel Hyan dem Format Webserie neues Leben ein, bis ihm bei der Produktion für Süße Stuten Acht mit der Telekom-Plattform 3min plötzlich einer der Produktionspartner absprang. Hyan fehlten 35.000 Euro, die Privatinsolvenz konnte nur mit Ach und Krach abgewendet werden und statt dem nächsten großen Karriereschritt, sah sich der Regisseur plötzlich mit Arbeitslosigkeit und der ganz großen kreativen Depression konfrontiert. Der rettende Anruf für den Nachwuchs-Filmemachers kam schließlich aus unerwarteter Ecke—RTL 2 wollte ihn für die Produktion einer neuen Reality-Show verpflichten. Heute dreht er mit Berlin—Tag & Nacht eines der erfolgreichsten (und umstrittensten) Serienformate überhaupt. Uns hat der Wahlberliner erklärt, warum sich die Doku-Soap über stark tätowierte Partygänger vom herkömmlichen Reality-Trash unterscheidet und weshalb die deutsche Fernsehlandschaft so unglaublich frustrierend ist.

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VICE: Du hast vor ein paar Jahren den Großteil deiner Regie-Karriere noch mit alternativen, kreativen Webserien bestritten. Da ist der Schritt zu RTL 2 und einem Format wie Berlin—Tag & Nacht natürlich nicht der naheliegendste.
Daniel Hyan: Nach dem traumatischen Erlebnis hatte ich auf jeden Fall erst einmal keinen Bock mehr auf die Branche. Ich musste in Hartz 4 gehen und brauchte einfach eine Auszeit. Da kam dann plötzlich der Anruf von Berlin—Tag & Nacht. Und ja … am Anfang war ich ein bisschen erschrocken. (Gelächter) Da haben sich so viele tätowierte muskulöse Leute angeschrien. Andererseits hatte ich da durch meine vorherigen Projekte auch schon ein bisschen Erfahrung mit solchen Charakteren, weil ich ja nicht immer nur mit Schauspielern, sondern auch mit Laien gearbeitet habe.

Die Stuten, mit denen ich mich damals beworben habe, sind von der Machart her relativ ähnlich. Es ist ein fiktives Making-Of, das heißt, die Kamera läuft durch und es gibt eigentlich keine Schnitte—bis auf diese kurzen Interview-Sequenzen. Wir haben schon Aufwand betrieben und die Szenen ausgeleuchtet, haben das alles aber ziemlich dreckig gefilmt, um dem ganzen diesen authentischen Charakter zu geben. Wenn man nicht mit Schuss-Gegenschuss arbeitet, muss von vorne bis hinten immer alles stimmen, was aber auch besser für die Darsteller ist, weil die dann einfach drin sind in der Szene und alles von vorne bis hinten durchspielen können. Die müssen dann nicht zehn Mal die Türklinke für die Nahaufnahme betätigen.

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Daniel Hyan. Foto: Susanne Tessa Müller

Inwiefern unterscheiden sich deine früheren Projekte zu deiner jetzigen Arbeit, wo die Leute ja explizit keine Schauspieler sind oder zumindest nicht als ausgebildete Schauspieler anfangen?
So groß ist der Unterschied eigentlich gar nicht. Die Hauptdarsteller machen das jetzt auch schon drei Jahre und die haben ihre Ausbildung quasi durch die Drehs erhalten. Man hat es da dann schon mit Profis zu tun, bei den Nebendarstellern ist das aber noch mal was anderes. Wenn ich früher Arthouse gedreht hätte, wäre es ein richtig krasser Sprung gewesen. Es war eher für die Produktion damals ein ziemliches Wagnis, einen „typischen“ Regisseur einzustellen, weil die Arbeitsweise eine ganz andere ist. Mir kommt das aber alles sehr entgegen, weil ich gerne schnell arbeite. Ich langweile mich auch schnell und so eine Szene in 30, 40 Einstellungen zu machen, war mir schon immer ein Graus. Ich bin ein Regisseur, der von der Story und den Figuren her kommt und weniger vom Bild und vom Schnitt her.

Wie lange dreht man an einer Folge Berlin—Tag & Nacht?
Wir müssen jeden Tag 45 Minuten abliefern, aber ich drehe ja nicht alleine. Wir haben mehrere Teams.

Ist es für die Serie wichtig, eine wirkliche Berliner Lebensrealität abzubilden oder geht es da eher um das Bild, was Touristen von der Stadt haben?
Es ist natürlich eine Serie, die über Berlin hinaus gesehen wird—auch in Österreich und der Schweiz. Eine Soap, die um 19 Uhr ausgestrahlt wird, muss einen allgemein gültigen Charakter haben. Im Endeffekt ist es ein kommerzielles Medium und je spezieller man wird, umso kleiner wird die Zielgruppe. Deswegen können da nicht alle Berliner Subkulturen Platz finden.

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Am Dreh zu einem Teil der Süße Stuten-Serie. Foto: Ralf Legler

Werden die Dialoge konkret vorgeschrieben oder gibt es einfach nur eine grobe Storyline, an die sich die Darsteller halten müssen?
Das finde ich eigentlich das Schöne an dem Format: das es keine vorgegebenen Dialoge gibt. Dadurch wird es einfach realistischer und erfordert natürlich auch Improvisationstalent. Einer der Vorteile daran, mit talentierten Laien zu arbeiten, ist auch, dass die oftmals besser improvisieren können als Schauspieler, die unbedingt vorgegebene Texte haben wollen. Manchmal bekommt man hier auch mehr, als man erwartet. Da entwickelt sich eine Szene vielleicht ganz anders und das ist auch das wirklich Interessante an dem Format. Ich bin gerne im Moment und auf dem gleichen Wissensstand wie die Darsteller. Es würde mich viel mehr verwirren, wenn ich weiß, wie es weiter geht. Zumal: Bei einer Daily Soap gibt es ein stetiges Hin und Her und es passiert sehr viel. Das Erzähltempo ist sehr hoch und man würde nur durcheinander kommen.

Ist es so ein bisschen das Geheimnis von Formaten wie Berlin—Tag & Nacht, dass man sich mit den erzählten Geschichten nah am tatsächlichen Leben der Laiendarsteller orientiert?
Ich denke, das sieht man eigentlich auf den ersten Blick. Als Laiendarsteller hast du einfach nicht diese Ausbildung und kannst nicht in jede x-beliebige Rolle reinschlüpfen. Wobei sich die Charaktere bei zunehmender Ausstrahlungsdauer natürlich weiterentwickeln und von der ursprünglichen Figur entfernen. Als Schauspieler kannst du dich mit deiner Ausbildung vielleicht auch in einen psychopathischen Massenmörder gut reindenken, obwohl du ein sympathischer Familienvater bist. Aber selbst bei den ausgebildeten Schauspielern gibt es viele, bei denen man das Gefühl hat, dass sie immer die gleiche Rolle spielen. Das liegt dann sicherlich auch daran, dass sie immer für ähnliche Rollen gecastet werden, aber für mich ist Robert de Niro da ein gutes Beispiel. Der spielt immer dieselbe Rolle, mit leichter Variation. Ein Gegenbeispiel ist Christian Bale, den man oft einfach nicht wieder erkennt und der teilweise auch im Privatleben Probleme hat, aus seinen Rollen wieder rauszukommen.

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Wenn man bedenkt, wie sehr sich die Laiendarsteller auch ohne Ausbildung in ihre Rollen reinarbeiten können, ist Scripted Reality dann eigentlich zu Unrecht als Trash-TV verschrien?
Eigentlich schon, wobei man da auch unterscheiden muss. Berlin—Tag & Nacht ist für mich eigentlich nicht wirklich Scripted Reality, sondern hat eher einen Soap-Charakter. Es spielt mit den Elementen einer Doku-Soap, aber wer sich andere Formate im Nachmittagsprogramm ankuckt, die wirklich Asi-TV sind—wo du zu den armen Sozialhilfe-Empfängern nach Hause gehst und im Müll rumwühlst—das ist schon ein großer Unterschied. Das zu unterscheiden fällt den Zuschauern und der schreibenden Kunst oft nicht so leicht, die scheren das gerne über einen Kamm, aber wenn man sich mal ein bisschen damit auseinandersetzt, dann sieht man da schon große Unterschiede und im Endeffekt ist Berlin— Tag & Nacht schon ein ziemlich professionell produziertes Format.

Am Anfang dachte ich auch „Oh Gott“, als ich zum ersten Mal ein Plakat in der Stadt gesehen habe, „das ist jetzt also die nächste Trash-Geschichte“. Man setzt sich halt nicht damit auseinander. Aber als ich es mir dann mal angeguckt habe, habe ich schon gemerkt, dass es eigentlich in eine andere Richtung geht. Quasi das Bindeglied ist zwischen einer klassischen Soap wie GZSZ und den Doku-Soaps, die natürlich näher am Zuschauer dran sind.

Beim Dreh zu Making-Of Süße Stuten 8. Foto: Ralf Legler

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Wenn ich deutsches Fernsehen gucke, habe ich im Serienbereich immer das Gefühl, dass da tatsächlich mehr mit Laiendarstellern gearbeitet wird, als mit richtigen Schauspielern. Was natürlich ein krasser Unterschied zu beispielsweise dem amerikanischen Markt ist, wo das Mitwirken an einer TV-Serie mittlerweile auch für Hollywood-Schauspieler ein Prestige-Ding ist.
Was könnte interessant sein? Was könnte neu sein? Was haben die Leute noch nicht gesehen? Die werden schon von alleine kommen. Das ist nicht das Denken eines klassischen deutschen Fernsehredakteurs, der mehr Angst um seinen Job hat, als irgendeine andere Motivation. Da setzt man lieber auf Altbekanntes, um im Fall, dass es nicht funktioniert, sagen zu können: Ja, aber das konnten wir doch nicht wissen. Die anderen 20 Sendungen in der Art waren sehr erfolgreich.

Ich finde es demzufolge besser und konsequenter, nah an die Lebenswelten der Zuschauer ranzugehen und in dem Sinne stellt Berlin—Tag & Nacht im Soap-Format dann schon was Neues dar. Das sieht man dann ja auch daran, dass das Konzept erfolgreich ins Ausland verkauft wird. Im osteuropäischen Raum, Polen oder Ungarn, gibt es einen Ableger davon, das französische wurde glaube ich eingestellt—wobei das sehr lustig war. Die haben teilweise versucht, die Figuren eins zu eins zu übernehmen, auch mit Namen. Der französische Fabrizio zum Beispiel sieht aus wie ein alter Wrestler.

Hat das dann in Paris gespielt?
Ja, genau. Die Sendung hieß YOLO. Für Wien—Tag & Nacht hatte ich auch gedreht, die wurde allerdings wieder abgesetzt, weil die Leute in Österreich lieber Berlin—Tag & Nacht sehen.

Danke für das Gespräch.

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