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Bundestagswahl 2013

Wahlkampf für junge Wähler ist zu teuer

Der Wahlkampf ist beschissen, weil Politiker für uns kein Geld ausgeben wollen, sondern sich eher auf Facebook und Twitter blamieren. Und eigentlich will eh jeder, dass alles so bleibt, wie es ist.

In rund zehn Tagen ist Bundestagswahl, was dank der zuplakatierten Straßen kaum einer von uns übersehen hat. Auf den Stellwänden werden vor allem die klassischen Wählerschichten angesprochen—Leute über 30 (Demographiewandel sei dank)—oder der Status Quo verherrlicht. In den seltensten Fällen (vielleicht mal abgesehen von den Piraten) geht es dabei um Themen, die uns wirklich interessieren (also nicht Rente oder Familien- und Steuerpolitik).

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Um trotzdem bei uns zu punkten, wagen sich viele Politiker an das #Neuland Internet—vor allem auf Social Media. Allerdings scheint es für einige schon Leistung genug zu sein, Twitter und Facebook überhaupt zu benutzen. Interessante oder gar relevante Inhalte sind da zweitrangig.

Das führt so weit, dass sich viele verarscht fühlen, meint Dr. Gero Neugebauer vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin. Wir haben uns mit ihm unterhalten, um herauszufinden, warum der Wahlkampf uns so wenig interessiert, was Politiker statt Social-Media-Peinlichkeiten tun könnten, warum junge Themen einfach zu teuer für die Parteien und Wahlstrategen sind und was Deutschlands gute wirtschaftliche Lage mit dem Wahlausgang zu tun hat.

VICE: Warum fühlen sich junge Wähler zwischen 18 und 30 Jahren so selten von der Politik angesprochen?
Gero Neugebauer: Das liegt möglicherweise daran, dass die Themen, mit denen die Parteien hausieren gehen, Themen für die älteren Generationen sind, wie zum Beispiel Rente oder Familien- und Steuerpolitik. Wenn Peer Steinbrück in einer Sendung Jugendlichen die Steuerpolitik damit erklärt, dass er aufzählt, was sie für Vorteile von der Steuerreform der SPD haben, wenn sie erst mal verheiratet sind und zwei Kinder haben, und die sind 19 oder 20, dann werden sie mit solchen Aussagen wenig anfangen können. Dann mag es auch noch daran liegen, dass das Personal (die Politiker selbst) nicht gerade immer dem entspricht, was sozusagen jugendlich wirkt.

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Im TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück kamen ja auch wieder die immer gleichen Themen wie Renten- und Sozialpolitik oder Steuern zur Sprache. Warum werden denn da nicht mal Themen besprochen, die auch die jüngere Generation interessieren?
Diese Themen werden von den Parteistrategen in den Kampagnen nicht in den Vordergrund gestellt, solange sie glauben, dass die Themen, die durch Umfragen von der Bevölkerung als wichtiger erachtet werden, tatsächlich auch ihr Wahlverhalten bestimmen.

Wenn man einmal von der These weggeht—die ja sowieso Quatsch ist—, dass das Wahlverhalten nur vom Alter abhängig ist, sondern dass auch Bildung, die soziale Situation und spezifische Interessen eine Rolle spielen, dann kann man natürlich andere Gruppen ansprechen. Nur ist es manchen Strategen zu teuer, Zielgruppenwahlkämpfe zu machen. Andere sagen: „Das betrifft nur Minderheiten.“ Angesichts der geringen Margen, mit denen heute Wahlen gewonnen oder verloren werden, sind sie da aber natürlich auf dem Holzweg. Denn für manche Parteien sind diese Politikfelder wichtig. Insbesondere dann, wenn es mittelgroße Parteien sind und nicht kleine, die ausschließlich aus Tierfreunden, fliegenden Christen oder weiß der Teufel was bestehen.

Viele Politiker wollen ja unbedingt social-media-affin wirken. Ist das nicht eher peinlich?
Also, wenn man einige Minister sieht, die sich damit rühmen, permanent online zu sein, und ständig „tweeten“, und man schaut sich deren Bemerkungen an, dann sag ich mir: „Na ja, da ist wohl eher der gewünschte Effekt von Interesse und nicht die Wirkung, die erzielt werden soll.“ Das heißt, für die ist die Tatsache, dass sie kommunizieren, schon ein Erfolg. Aber denen kann man nur sagen, das ist ein Irrtum zu glauben, dass auf diese Art und Weise politische Kommunikation mit nachhaltiger Wirkung hergestellt werden kann. Denn das passiert immer noch am besten „face to face“.

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Kann es sein, dass sich jüngere Wähler manchmal sogar für dumm verkauft fühlen, wenn zum Beispiel die Kanzlerin, wie vor Kurzem geschehen, das Internet als #Neuland bezeichnet?
Das kann durchaus sein. Es gibt ja eine Reihe von Aussagen auf Plakaten oder in Kurzmeldungen, die in der Tat verwirrend wirken. Das geht so weit, dass man tatsächlich zu der Einschätzung kommen könnte, die will mich verarschen. Das Entscheidende ist aber immer noch—zumindest um das Wahlverhalten positiv zu beeinflussen—die Botschaft „Ich kenne deine Bedürfnisse und ich spreche die an und sage dir eine Lösung.“ Und wenn Wähler feststellen: „Die wenden uns gar keine Aufmerksamkeit zu, das ist eher nur Rhetorik, egal ob Plakat oder Tweet“, dann sagen sie, das ist genau das, was ich erwartet habe: „Ihr redet, aber ihr handelt nicht.“

Wie könnten denn Politiker junge Wähler besser erreichen?
Sie müssen mehr die Probleme aufgreifen, die die jungen Wähler in ihrem Alltag beschäftigen. Da müssen sie Lösungen anbieten. Das betrifft vor allem die Bildung, die Familienpolitik und den Arbeitsmarkt. Denn für Renten interessieren sich Jugendliche natürlich nicht.

Eigentlich ist ja jetzt die heiße Phase des Wahlkampfs, aber von „Kampf“ ist ja bisher nicht viel zu merken. Woran liegt das?
Wir haben eine gesellschaftliche Situation, wo die Mehrzahl der 20- bis 50-Jährigen mit ihrer Lage eigentlich ganz zufrieden ist. Selbst wenn sie nicht zufrieden sind, haben sie Angst davor, dass sie sich verändern könnte. Und diese Angst vor Veränderung führt dazu, dass viele immobil werden, was ihr Wahlverhalten anbelangt. Und darauf reagiert die Politik, indem sie keinen Wandel, sondern Beständigkeit und Sicherheit anbietet. Und daher gibt es dann auch keinen Wahlkampf, wo gesagt wird: „Leute, ihr müsst was ändern, sonst wird’s euch schlecht gehen.“ Vielmehr herrscht eher die Befürchtung, wenn wir was ändern, dann wird’s uns schlechter gehen.

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Zumindest im europäischen Vergleich geht es ja Deutschland im Moment auch gut. Müssen wir uns dennoch darauf vorbereiten, dass es auch mal wieder abwärts geht?
Wir haben genau so viele Jugendliche ohne Schulabschluss, wie wir es vor vier Jahren hatten. Wir haben eine geringere Jugendarbeitslosigkeit, aber viele Jugendliche arbeiten zum Beispiel in Praktikantenverhältnissen. Wenn junge Leute ihre Verwandten oder Eltern fragen, was die damals am Anfang verdient haben, stellen sie fest, dass sie selber heute weniger verdienen. Die Situation ist jetzt schon gar nicht so rosig, und mit dem Hinweis, dass es in Italien, Spanien oder Griechenland mit der Jugendarbeitslosigkeit viel schlimmer bestellt ist, ist keinem arbeitslosen Jugendlichen hier geholfen. Es gibt immer einen Zusammenhang zwischen der sozialen Situation und dem Wahlverhalten, und die Einschätzung, dass es Deutschland heute im Vergleich gut geht, ist überhaupt keine Garantie für die Zukunft. Deshalb sollte eine Regierung, die sich ihrer Verantwortung bewusst ist, sagen: „Wenn wir die Zukunft sichern wollen, dann müssen wir unser Verhalten ändern, wir müssen eine Strategie eingehen, wo wir auch teilweise Verpflichtungen eingehen, um andererseits zu garantieren, dass unsere Verhältnisse stabil bleiben und nicht so schlecht werden, wie sie in anderen Ländern sind.“ Aber vor der Wahl sagt das natürlich niemand gern.

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