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Sex

Wann es höchste Zeit ist, mit dem Strippen aufzuhören

Ein Kunde fasste mir mitten im Gespräch zwischen die Beine: "Aber wir verstehen uns doch so gut!" Das ist mein Arbeitsalltag.

Stripper baden jeden Tag in falschem Geld und Sexismus. Hier ist Cherrys Kollegin zu sehen | Foto: privat

Paul ist zu gut, um wahr zu sein: Um die 30, blaue Augen, ansteckendes Lachen. Ein Geschäftsmann in Hemd und Vans, der mir einfach Bargeld gibt, anstatt die Stripperdollar in meinen Tanga zu stecken. Er stellt keine dämlichen Fragen, fasst mich nicht an und schaut in meine Augen statt auf meine Brüste, obwohl ich nur ein paar herzförmige, glitzernde Nippelcover trage. So ein Exemplar in einem Stripclub zu treffen, ist vergleichbar mit der Sichtung eines pinkfarbenen Einhorns und eines gleichzeitigen Lottogewinns. Ich ertappe mich dabei, dass ich die ganze Zeit darauf warte, dass er etwas Dummes macht. Das kommt häufiger vor: Schon oft haben welche versucht, mich mitten im Gespräch zu küssen. Ein Kunde fasste mir im Gespräch zwischen die Beine: "Aber wir verstehen uns doch so gut!" Das ist mein Arbeitsalltag.

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Anfangs habe ich noch versucht, bei solchen Idioten Erziehungsarbeit zu leisten. Ihnen zu erklären, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, auch dann, wenn Letztere nur Nippelhütchen tragen. Oder dass auf den Arsch zu klatschen, nicht witzig ist, sondern einfach nur scheiße. Oder dass sie es ja auch nicht gut fänden, wenn ihrer Schwester oder ihrer Mutter an den Hintern gelangt würde. Die Lektionen haben ein paar Mal gefruchtet: Ich hatte tatsächlich schon Typen, die sich bei mir entschuldigt haben. Aber meistens ist es genauso nutzlos, wie mit einer Taube zu diskutieren. Die glotzt dich auch nur an und kackt dir vielleicht noch auf den Kopf. Inzwischen diskutiere ich oft nicht mehr herum, sondern gehe bei Übergriffen direkt hoch wie ein Sprengsatz.

Paul, der Traumkunde, hat mir nach einer halben Stunde Gespräch unglaublicherweise noch nicht angeboten, mit ihm für Geld zu schlafen. Aber leider muss ich weg von ihm und auf der Bühne tanzen. Ich wickle mich zehn Minuten lange unenthusiastisch um die Stange und mache schnell die Dollarrunde. Eine Gruppe von drei Typen, Biernuckler mit Bauchansatz, mustert mich. "Hallo, habt ihr Dollar?", sage ich mit meinem besten perlweißen Showgirl-Lächeln. "Nö. Hab dich nicht tanzen sehen", sagt einer oberschlau. Ich will gerade weitergehen, als mich das dickste Exemplar der Runde am Handgelenk festhält. "Bläst du mir einen?", fragt er mit feuchter Aussprache. "Fass mich gefälligst nicht an!", sage ich und befreie mich mit einem Ruck aus seinem Griff. "Komm schon, ich gebe dir auch 20 Euro extra, wenn ich dir ins Gesicht spritzen darf!"

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Am liebsten würde ich in seine Fratze spuken. Stattdessen trete ich ihm beim Weglaufen einfach mit meinem 25-Zentimeter-Absatz versehentlich auf den Fuß.

Das sind die Momente, ich denen ich überlege, mit meinem Job aufzuhören. Ein paar Mal war ich schon kurz davor. Aber dann habe ich wieder einen Jackpot-Abend, an dem ich mit dem Äquivalent meiner zwei Monatsmieten aus dem Club laufe, und bleibe doch. So geht es allen meinen Mädels: Sky möchte eigentlich Tätowiererin werden, Angel Tierpflegerin und Ivy will Vollzeit als DJ arbeiten. Aber letztendlich lockt uns immer wieder das schnelle Geld zurück in den Stripclub. Ich habe Angst, dass sie hier stecken bleiben und nichts aus sich machen. Und gleichzeitig geht es mir genauso: Ich schaffe nicht den Absprung.

Es gibt auch gute Sache am Stripperbusiness: Ich habe einen Teil meiner Studienschulden abbezahlt, habe gelernt, meinen Körper zu lieben, kann mich als Person besser verkaufen und weiß, meinen Charme einzusetzen. Außerdem habe ich die stärksten Frauen kennengelernt, die ich jemals in meinem Leben getroffen habe. Die meisten Frauen in diesem Business sind unabhängige Amazonen. Und auch nicht alle Männer sind Idioten. Mein Chef ist keiner von der Sorte Blas-mir-mal-einen-im-Hinterzimmer-oder-du-bist-gefeuert. Er steht hinter uns Mädels und albert oft mit uns herum. Auch unsere Türsteher sind klasse. Sie respektieren uns und wissen, was für einen knochenharten Job wir machen. Sie geben uns eine Schulter zum Ausheulen und kutschieren auch mal eine besoffene Tänzerin nach Hause.

Aber letztendlich gilt fürs Strippen wie für jeden normalen Job: Man sollte nicht nur deshalb bleiben, weil die Kollegen nett sind. Ich kann nicht verleugnen, dass mein Job mir zusetzt. Mein Körper hat sich so sehr an den Alkohol und die Drogen gewöhnt, dass ich statt eines Feierabendbiers drei Tequila brauche, um überhaupt runterzukommen. Ich habe schon seit Monaten nicht mehr ordentlich eingekauft, sondern lebe von überteuerten Smoothies und dem Spätisortiment. Meine Füße sehen von der Schinderei durch die Highheels schlimmer aus als die eines Hobbits. Und auch die Hornhaut auf der Seele ist unglaublich dick geworden. Der Sexismus und die Sprüche, die mich am Anfang schockiert haben, perlen an mir ab.

Meine Dollarrunde läuft schleppend—heute ist einer dieser Tage, wo ich wahrscheinlich mit 50 Euro aus dem Club laufen werde. Ein Fuffi für eine Schicht aus frauenverachtenden Sprüchen und haarigen Pranken auf meinem Arsch. Ich bin froh, wieder bei Paul zu sein. Er hört zu, unterhält sich mit mir auf Augenhöhe. Fast bin ich davor, ihm meine Nummer zu geben. Aber dann trifft es mich wie ein Schlag: Bin ich gerade dabei, mich in einen Typen zu verlieben, nur weil er nicht absolut eklig zu mir ist? Das Schlimmste an diesem Job ist, was es mit meinem Männerbild macht. Dass ich Sexismus so selbstverständlich nehme, dass jeder, der nicht versucht, beim Smalltalk seine Finger in mich zu stecken, zu einem Traumprinzen wird.

Wach auf, Dornröschen, denke ich. Der Typ ist eigentlich ein Durchschnittskerl, es sind deine Maßstäbe, die absolut kaputt sind. Du brauchst auch keinen Märchenmann, der dich auf seinem weißen Pferd rettet. Du kannst jederzeit selbst gehen. Und vielleicht ist es auch an der Zeit dazu.