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Menschen

Die Wissenschaft erklärt, wieso du plötzlich deine Freunde verlierst

Keine Kumpels mehr? Studien, Experten und Betroffene sagen: Wenn sich Freunde abwenden und Freundschaften Bedeutung verlieren, bist du vielleicht selbst schuld.
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Symbilfoto: IMAGO / Blickwinkel

Einen guten Freund zu finden, ist ein bisschen wie sich zu verlieben. Und genauso schwer. Das kann ich nach einem Jahr in Hamburg sagen, wohin es mich aus meinem natürlichen Habitat Berlin verschlagen hat. Mein Fazit nach zwölf Monaten Eingewöhnungszeit: Job? Läuft. Wohnung? Check. BFFs? Zero.

Es ist die Zeit in deinem Leben, in der sich alles noch einmal neu sortiert. In der du die Früchte dessen tragen willst, auf das du hingearbeitet hast, seit dem ersten Schultag mit der Zuckertüte größer als du selbst. Was man eben immer so allgemein "Zukunft" nannte: Die Ausbildung oder das Studium sind vorbei (zum Guten oder zum Schlechten), und du und die Menschen um dich herum taumeln von der behüteten Bildungseinrichtung in den ersten Job.

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Und das macht Probleme. Und zwar nicht nur, wenn man plötzlich in einer neuen Stadt wohnt und seine Peer Group ganz neu aufbauen muss. Mein Freund Robert zum Beispiel arbeitet seit einem Jahr in einer PR-Agentur. Das heißt: nie unter zwölf Stunden am Tag im Büro, steht ein Pitch an, auch am Wochenende. "Wenn ich nach Hause komme, bin ich völlig fertig und leer", erzählt er mir bei einem unserer Treffen, die selten geworden sind. "Ich starre nur noch die Wand an, oder auf meinen Laptop, auf dem dann Serien laufen."

Zwar bringt der Job neben weniger Freizeit auch viele neue Leute mit sich. Aber die redeten nur über die Arbeit, sagt Robert: "Das kann ich irgendwann einfach nicht mehr hören", beklagt er sich. Auch bei den Freunden, die in anderen Branchen unterwegs sind, drehe sich alles nur noch um die Karriere. Vorbei sind die Tage, an denen man in epischer Breite so sinnlos-schöne Dinge besprach wie die Bedeutung von Liebe oder die Sehnsucht nach Freiheit. "Jetzt fragt man: Wie geht es dir? Und der andere antwortet: Großartig, ich habe da dieses echt coole neue Projekt." Robert ist jetzt 28, aber fühlt sich, als wäre die richtig gute Zeit schon vorbei. "Ich dachte, die Entfremdung fängt an, wenn die Leute Kinder bekommen", sagt er. "Aber das ist jetzt schon nicht viel anders."

Studien belegen: Sobald man heiratet, geht jede zweite Freundschaft flöten. Wie sich der Berufseinstieg zahlenmäßig auf das Sozialleben auswirkt, ist bisher nicht bekannt. Fakt ist: Bis zum sogenannten Ernst des Lebens sammeln wir fleißig Freundschaften und investieren auch viel in sie. Das ist unser "Freundschaftsbudget": Wir gehen offener auf Menschen zu und füttern die Beziehung mit viel Zeit und Aufwand.

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Beim Jobstart zehren wir von diesem Pool: Die Nummern in unserem Telefonbuch sind das Gesparte auf der Kumpelbank. Wir lernen weniger neue Freunde kennen und pflegen gleichzeitig den Kontakt zu den alten schlechter. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass man immer weniger Menschen mal eben schnell anrufen und auf einen Kaffee einladen kann. Plötzlich fehlt die Bereitschaft, dem anderen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Psychologen an der Uni Oxford haben genau darin die Hauptschuld ausgemacht, wieso eine Freundschaft in die Binsen geht, sei sie auch noch so innig.

Eine Erfahrung, die Britta gerade reihenweise macht. Ich treffe sie an einem der ersten sonnenstrahlenden Tage des Jahres, und wir setzen uns ganz freundschaftlich in einem Park auf die Wiese. "Ich habe viele Freundinnen, die erzählen nur noch von sich", berichtet die 32-Jährige. Und das seien alles tolle Frauen, mit denen sie schon jahrelang befreundet ist: seit der Schule, dem Erasmus-Semester in Spanien, der gemeinsamen WG. Beim letzten Telefonat mit einer von ihnen redete die zwei Stunden lang über dasselbe Thema – kam aber nicht auf die Idee, mal nach Britta zu fragen. "Ich fühlte mich irgendwie ausgenutzt", sagt sie. Deswegen räumt Britta jetzt in ihrem Telefonbuch auf. Auch, weil ihr die eigene Zeit zu schade ist. "Ich habe keine Lust mehr, meine Abende mit langweiligen Menschen zu verbringen." So sehr Britta emotionale Nähe vermisst, so hart ist ihr Fazit: "Es wird immer schwerer, spannende und sympathische Persönlichkeiten zu treffen."

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Dass das auf einmal so schwierig ist, liegt am Erwachsenwerden, meint Horst Heidbrink. "Man ist nicht mehr auf der Suche nach etwas, so wie in der Jugend", sagt der Psychologe, "die ganz große Offenheit ist nicht mehr da." Heidbrink forscht an der Fernuni Hagen zu sozialen Beziehungen. Er sagt: Wenn jemand plötzlich nur noch von sich spricht, ist das eben Ausdruck davon, dass er viele neue Erfahrungen macht – im neuen Job zum Beispiel. "Das ist wie bei einer jungen Mutter, die nur noch davon erzählt, was das Baby gegessen hat." Und wenn es dann noch beiden so geht, hört bald gar keiner mehr zu: "Es kann auch nur die eigene Wahrnehmung sein, dass sich das Gespräch immer nur um den anderen dreht."

Normalerweise laufe Geben und Nehmen in einer guten Freundschaft automatisch ab. "Wenn das auf einmal gestört ist, weil einer der Freunde ein völlig neues Leben hat, haben wir ein Problem", sagt Heidbrink. Die Regeln müssten dann ganz neu ausgehandelt werden. Er empfiehlt, Konflikte anzusprechen. "Auch wenn man nicht jede Freundschaft retten kann."

Man sollte es wenigstens versuchen, denn Freunde sind unwahrscheinlich wichtig. Sie schaffen es wie niemand sonst, dass wir uns gut fühlen. Und zwar wissenschaftlich nachweisbar: Ein Freiburger Professor ließ seine Probanden in einem Experiment Kopfrechnen und eine Rede vor Publikum halten. Wer einen Freund dabei hatte, war viel weniger gestresst – die vertraute Gesellschaft hatte dieselbe Wirkung wie das Kuschelhormon Oxytocin, das einer zweiten Testgruppe per Nasenspray verpasst wurde.

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Nur ein einziger Freund pusht das Selbstwertgefühl, hilft vorbeugend gegen Depressionen und hält gesund – vorausgesetzt, man trifft ihn tatsächlich und chattet nicht nur. Andersherum macht der Mangel an sozialen Kontakten krank. Eine riesige Metastudie mit über 300.000 Testpersonen belegt: Keine Freunde zu haben, ist genauso ungesund wie 15 Zigaretten am Tag. Und noch schädlicher, als keinen Sport zu treiben.

Nicht schlecht: Finde ich endlich einen guten Freund in Hamburg, hätte ich die ideale Ausrede, nicht mit dem Rauchen aufzuhören. Vielleicht sollte ich mehr auf die Wissenschaft hören. Nach ihr ist eine Freundschaft dann qualitativ wertvoll, wenn man sich gegenseitig hilft und Persönliches anvertraut. Womöglich brauche ich mich nur samstags in Wohngebiete stellen, spontan meine Hilfe beim Umzug anbieten und dabei von meiner Kindheit erzählen.

Es geht sogar noch einfacher. Mir könnte der Mere-Exposure-Effekt helfen: Was uns vertraut ist, lässt sich einfacher verarbeiten und wird deshalb als belohnend empfunden. Schon seit den 1950ern vermuten Psychologen, dass viel weniger der Charakter darüber entscheidet, mit wem wir uns anfreunden – sondern dass wir zur selben Zeit dieselben Orte besuchen. Das heißt also, ich müsste meinem potenziellen Kumpel/der neuen BFF nur oft genug mein Gesicht entgegenhalten. Das kann ja nicht so schwer sein.

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