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Wir haben alle falsch gelegen

Meinungsforscher sahen den Wahlsieg von Trump nicht kommen.
Foto: Michael Vadon | Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0

Nachdem die ersten Wahllokale am Dienstag Abend schlossen, kauerten Millionen von Menschen vor ihrem Fernseher, besuchten Bars und badeten im kühlen Licht ihrer Smartphones. Viele von uns, vor allem die, die den Umfragen folgten und den Experten zuhörten, ahnten schon,was passieren wird: Donald Trump, der Mann, der von vielen Frauen wegen sexueller Belästigung angeklagt wurde, der Mann, der versprach, eine Mauer entlang der Grenze zu Mexiko zu errichten und Muslime verbieten will, in die USA einzuwandern, würde untergehen. Viele dachten, er würde auf dramatische Weise erniedrigt werden, in einem kathartischen Moment des nationalen Erwachens.

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Stattdessen wurden die Medien erniedrigt. Experten, Meinungsforscher, die meisten der liberal denkenden Menschen und Linken, die sich im Internet äußerten—niemand von ihnen sah dieses Ergebnis kommen. Zu Beginn des Abends glaubte man noch an Hillary Clintons Aufstieg.

Als erste Ergebnisse auf den Prognosenseiten der nationalen Nachrichtensender wie FiveThirtyEight veröffentlicht wurden, war schnell klar, dass es nicht einfach für die Demokraten wird. Die andere Sache, die quasi von Beginn an klar war: Es gibt eine Menge wütender, weißer Leute da draußen, die sich nicht so schnell vertreiben lassen würden.

In den letzten Jahren waren viele Demokraten optimistisch, wenn sie an die Zukunft ihrer Partei dachten, da sie sich der Stimmen der hispanischen, sozial progressiven und der aufstrebenden weißen Wählerschaft sicher waren. Nachdem Barack Obama 2008 einige der wichtigsten Swing States wie Virginia, North Carolina und Colorado inne hatte, war die Message eigentlich klar: Die Version eines Konservatismus, die hauptsächlich oder zumindest zum Teil auf einer weißen Identität basiert, ist am absteigenden Ast und Inklusionspolitik das neue Ding. Obamas Sieg 2012 (wo er in North Carolina knapp verlor, aber landesweit ziemlich locker gewann) schien die Aussicht zu verstärken, dass die Präsidentschaftswahlen nichts mehr für die Grand Old Party sind—auch wenn sie dank ihres Erfolgs in ländlichen Gebieten im Kongress noch immer stark vertreten sind.

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Die Botschaft, die Amerika am Dienstag dann bekam, ist recht einfach: Demographien sind keine Bestimmung … oder einfacher gesagt: Bis jetzt sind sie es nicht.

Eine weiße Wählerschicht, oft als rassistische und frauenfeindliche Minderheit abgetan, die unmittelbar vor dem Aussterben steht, hat sich am Dienstag mit einem allzu deutlichen Lebenszeichen zurückgemeldet. So stark, dass wieder einmal alle Vorhersagen falsch lagen, die aufgrund der ersten Stimmabgaben (und der starken Unterstützung der hispanischen Bevölkerung) Clinton in den Swing-States im Vorteil sahen. Obwohl Clinton-Unterstützer Vorurteile als den Grund für den starken Support für Trump sehen, ist die Geschichte offensichtlich komplizierter als das.

"Ich glaube nicht, dass es besonders hilfreich ist, von 'Ärger über die Wirtschaft versus Ärger über die Kultur' zu sprechen", sagt Theda Skocpol, eine Harvard-Politikwissenschaftlerin und Soziologin, die sich eingehend mit der Tea-Party-Bewegung beschäftigt hat. "Ich glaube, es geht um das Gefühl überholt zu werden, und den Verlust von Status, dem Trump eine Stimme verleiht."

"Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass wir es mit den soziologischen Erklärungsversuchen übertreiben", fügt Skocpol hinzu. "Ich glaube, der Brief von [FBI Direktor James] Comey war ausschlaggebend. Er hat Tür und Tor für eine neue Welle an Angriffen geöffnet."

Es ist ziemlich einfach, die Schuld für Clintons Niederlage zumindest teilweise bei der Wirkung dieses Skandals zu suchen, der ihre Kampagne—zu Recht oder zu Unrecht—überschattet hat. Aber trotz dieser Skandale: Hätten nicht die hispanischen Wähler, beflügelt durch das Horror-Szenario eines Trump-Sieges, diesen Wahltag retten sollen? Den ganzen Wahlkampf-Endspurt lang haben wir zu hören bekommen, dass die Clinton-Kampagne es so gut schaffe, ihre Befürworter zum Urnengang zu mobilisieren—eine Tatsache, die Clinton einen Sieg zu sichern schien.

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"Genau das hat den Wählern in weißeren und ländlicheren Gegenden aber wahrscheinlich signalisiert, dass es ein hartes Rennen werden würde und sie deswegen erst recht mobil machen mussten", vermutet Skocpol. "Ich glaube, dass die Meinungsforscher so daneben gelegen haben, weil die Wahlbeteiligung in diesen Gegenden höher war als erwartet."

Skocpol spricht hier eine weitere gefühlte Wahrheit der amerikanischen Politik an: Die Annahme, dass Meinungsumfragen eben funktionieren. Umfragen sind in den USA normalerweise recht verlässlich—zumindest waren sie das bei den meisten nationalen Wahlen der jüngeren amerikanischen Geschichte. Politik-Beobachter waren sich nahezu allesamt sicher, dass Obama die Wahlen 2008 und 2012 gewinnen würde, und besonders die Prognosen für die entscheidenden Bundesstaaten waren in der Vergangenheit sehr präzise. Selbst der Sieg der Republikaner im Kongress 2010 war vorausgesagt worden. Und abgesehen von Clintons Niederlage in Michigan lagen die Prognosen auch bei den Präsidentschafts-Vorwahlen sehr nahe am tatsächlichen Ergebnis.

Aber irgendetwas ist bei den Prognose zur gestrigen Wahlnacht furchtbar schief gelaufen—und die Meinungsforscher sind nun die ersten, die das einräumen.

"Wir müssen einfach herausfinden, was falsch gelaufen ist", sagt mir Celinda Lake, eine bekannte demokratische Meinungsforscherin am Dienstag. Sie sprach weiter davon, dass sie Beweise für "versteckte" oder "geheime" Stimmen in den Umfragen in den eigenen Reihen und anderen Umfragen aus diesem Sommer kommen sehen hat, als die Online-Umfragen mehr Unterstützung für Trump zeigten als die Telefonumfragen. Das weist auf eine Trump-Version des "Bradley Effekts" hin, benannt nach dem demokratischen Bürgermeister von L.A., dem die Umfragen im Jahr 1982 einen Sieg voraussagten, der letztendlich jedoch geschlagen wurde. Die Erklärung für diese Diskrepanz war, dass sich weiße Wähler aufgrund sozialer Erwünschtheit im Zwiespalt sahen und am Telefon ihre Abneigung gegenüber einem schwarzen Kandidaten nicht zum Ausdruck bringen wollten. Sie wollten nicht rassistisch wirken.

Trump behauptet schon seit langer Zeit, dass die Umfragen zu Gunsten von Clinton verzerrt sind—und er liegt heute in den Staaten vorne, in denen Clinton als Favoritin galt. Das wird für manche die beunruhigendste Erkenntnis von allen sein—in einem Zeitalter, in dem uns unbegrenztes Wissen und wissenschaftliche Methoden zur Verfügung stehen: Vielleicht können wir die öffentliche Meinung einfach nicht abschätzen. Vielleicht sind die Amerikaner einfach nur eine große, mysteriöse Masse.

Natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass Trumps Wahlsieg weit von einem absoluten Sieg entfernt ist. "Ich denke nicht, dass diese Wahl der Beweis dafür ist, dass ganz Amerika Donald Trump akzeptiert", so Skocpol. "Die Amerikaner finden ihn zutiefst beunruhigend, was bedeutet, dass seine Präsidentschaft auf noch wackligeren Beinen stehen wird als es die von Hillary Clinton würde."


Foto: Michael Vadon | Wikimedia Commons | CC BY-SA 4.0