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Warum scheißen so viele Leute in Supermärkte?

Nach dem Golfplatz-Scheißer und dem Flugzeug-Scheißer folgen nun die Supermarkt-Scheißer.

Als mal wieder ein weiteres Video aufgetaucht ist, in dem eine Frau neben einem Stapel Bierkisten in die Hocke geht und einen schönen Haufen auf den Fliesenboden setzt, stand für mich fest: Beim Supermarkt-Scheißen muss es sich um einen Trend handeln. In vielen Ländern dieser Welt nutzen die Menschen heutzutage die Gänge und Regale von Einkaufsmärkten als Toilette und es hat keine fünf Sekunden gedauert, um unzählige Videos von Supermarkt-Scheißern zu finden. Zwar wird das Ganze von der großen Mehrheit als ekelhaft, dumm und barbarisch angesehen, aber mich fasziniert es gleichzeitig auch total. Meine Verwunderung ist dabei ungefähr genauso groß wie meine Abscheu. Das Abwursten im Supermarkt ist bizarr, passiert viel zu oft und muss genau deshalb erforscht werden.

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Wir dürfen diesen beschissenen Trend nicht länger ignorieren, sondern müssen uns damit beschäftigen. Vielleicht schreibst du das jetzt als Boulevard-Journalismus oder als Griff ins Klo ab, aber damit liegst du falsch: Erstens ist es nämlich genau das Klo, das hier fehlt, und zweitens ist es unsere moralische Pflicht als Journalisten, bei einem solch unerklärlichen Verhalten nicht einfach nur wegzuschauen. Vielleicht denkst du dir „Diese Leute sind halt einfach dumm im Kopf", aber eine solche Aussage reicht mir nicht. Genau das ist nämlich auch ein Fehler der modernen Gesellschaft: Jegliches Verhalten außerhalb der Normen wird vorschnell als „verrückt" abgetan und verachtet.

Collage: Timo ter Braak

Außerdem hat es in den meisten Videos den Anschein, als ob die durchschnittliche Supermarkt-Scheißerin gar nicht verrückt ist. Ja, ich habe tatsächlich ScheißerIN geschrieben, denn was dieses Mysterium noch mysteriöser macht, ist die Tatsache, dass vor allem Frauen ihr großes Geschäft im Supermarkt erledigen. Wir müssen dieses Rätsel lösen. Leider war es mir nicht möglich, die Supermarkt-Scheißer aus den Videos ausfindig zu machen, und deswegen kann ich nur mit einer anthropologischen Herangehensweise dienen. Ich habe mich in die Köpfe der Knödler versetzt und ihre hypothetischen Beweggründe systematisch analysiert.

Alles raus, was keine Miete zahlt

Die wohl einfachste Erklärung für das Supermarkt-Scheißen scheint zu sein, dass die Schmutzfinke die Lehmrolle einfach nicht mehr länger verdrücken konnten. Das überzeugt mich jedoch nicht wirklich. Sie hätten doch auch einfach einen Mitarbeiter fragen können, ob sie die Toilette benutzen dürfen. In dem obigen Video ist sogar noch zu sehen, wie die Scheißerin ihrer Freundin das dampfende Ergebnis präsentiert. Mal ehrlich: Wenn man gerade in der Gemüseabteilung Land aufgeschüttet hat, dann zeigt man das nicht auch noch stolz seinen Freunden. Stattdessen sollte man sich eher in eine Ecke verkriechen und schämen.

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Der persönliche Rachefeldzug

Ein Kothaufen ist ein eindeutiges Symbol der Rache. Diese Tatsache wurde sogar schon in ein Geschäftsmodell verwandelt: So kann man zu Beispiel bei shitexpress.com Scheiße an Leute versenden, die man hasst.

MOTHERBOARD hat tatsächlich Shitexpress ausprobiert. Hier weiterlesen.

Vielleicht waren die Leute aus den Videos unzufrieden mit ihren Tiefkühlpizzen, weil das Bild auf der Verpackung besser aussah als das, was dann auf ihrem Teller landete. Falls dem so sein sollte, warum dann gerade diese stinkende Art der Rache? Ein Shitstorm auf der Facebook-Seite von Dr. Oetker beschert einem schließlich einen kostenlosen Jahresvorrat an Pizza. Ist eine Darmentleerung für den Geist des Konsumenten genauso befreiend wie für seinen Körper? Ich wage es zu bezweifeln.

Das politische Statement

In unserer kapitalistischen Gesellschaft haben Supermärkte inzwischen den Milchmann und den Tante-Emma-Laden verdrängt. Die Aldi-Brüder waren die reichsten Männer Deutschlands, während sich der durchschnittliche Regaleinräumer für den Mindestlohn abrackert. Karl Marx hat vorausgesagt, dass sich das Proletariat auflehnen wird, wenn es genügend Klassenbewusstsein gibt. Das Brillante an dieser Theorie ist die Tatsache, dass sie nicht widerlegt werden kann: Nur weil die Revolution noch nicht geschehen ist, heißt das nicht, dass sie niemals kommen wird. Das bedeutet einfach nur, dass noch nicht genügend Klassenbewusstsein vorhanden ist. Können Kackehaufen nun jedoch wirklich den Begin der Revolution einläuten? Ist die Supermarkt-Verschmutzung tatsächlich der moderne Sturm auf die Bastille? Ich weiß ja nicht.

Dieser Mann ist professioneller Kacke-Taucher

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Der Dummejungenstreich

Vielleicht hat die ganze Sache auch gar keine symbolischen oder politischen Untertöne, sondern ist einfach nur ein ziemlich wagemutiger Scherz. Möglicherweise will ein unschuldiger Schelm den Supermarkt-Mitarbeitern einfach nur eins auswischen. Mit etwas Glück komplettiert dann noch ein anderer Kunde den Spaß, indem er auf der Suche nach eingelegten Gurken durch die stinkende Szenerie spaziert, bevor irgendeine arme Putzkraft die Scheiße aufwischen muss. In keinem der Videos ist jedoch zu sehen, wie der Witzbold mit hochrotem Kopf hinter einem Regal kauert und sich das Lachen verdrücken muss.

Die feministisch motivierte Tat

Da es sich bei den Bösewichten meistens um Frauen handelt, können wir Feminismus als Motiv nicht ausschließen. Aber wie kann die Entrümpelung des braunen Salons als feministische Tat ausgelegt werden? Ist der Supermarkt ein Symbol des tyrannischen Patriarchats? Werden durch die auf Frauen ausgelegten Prospekte und Werbungen dort die Geschlechterrollen in Stein gemeißelt? Meinte Simone de Beauvoir etwa eigentlich: „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es im Supermarkt"?

Die fehlende Disziplin

Ein möglicher Gedankengang der Supermarkt-Scheißer könnte folgendermaßen lauten: „Ich muss aufs Klo, ich habe keine Lust, nach einer Toilette zu suchen, niemand beobachtet mich, los gehts!" Das würde jedoch implizieren, dass diese Menschen absolut kein Mitgefühl für die Angestellten besitzen, die danach saubermachen müssen. Außerdem untergräbt dieses Vorgehen komplett unsere Vorstellung von Disziplinierung. Es ist jetzt nicht so, dass man sich komplett gehen lässt, wenn man sich unbeobachtet fühlt. Die Leute verhalten sich aber nunmal diszipliniert, weil die ständige Überwachung ein vorstellbares Konzept ist (Stichwort Panoptismus). Nein, wenn Foucault Recht hatte, dann kann das nicht der Grund sein.

Die rationale Entscheidung Wenn man das Konzept der Pragmatik ganz weit ausdehnt, könnte man auch damit argumentieren, dass ein dampfender Kackhaufen auf dem Supermarkt-Boden eigentlich nichts anderes ist als eine aufgeplatzte Dose Bohnen: Beides ist eine riesengroße Sauerei und beides muss von irgendeiner armen Putzkraft weggemacht werden. Bei den Bohnen verlieren jedoch alle involvierten Parteien, beim Kackhaufen verlässt zumindest eine Person den Supermarkt glücklich und erleichtert.

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Das Krisenexperiment

In unserer Gesellschaft herrschen unzählige Regeln, wie zum Beispiel „Zeige alten Leuten gegenüber Respekt" oder „Scheiße nicht in einen Supermarkt". Um implizite soziale Normen erkennbar zu machen, hat sich der Soziologe Harold Garfinkel sogenannte „Krisenexperimente" einfallen lassen, bei denen die eben erwähnten gesellschaftlichen Regeln gebrochen werden, um herauszufinden, wie die Leute darauf reagieren. Es ist also möglich, dass die Supermarkt-Scheißer nur im Dienste der sozialen Wissenschaft unterwegs sind.

Die Menschenrechte

Supermärkte ohne Toiletten können als Menschenrechtsverletzung ausgelegt werden—vor allem seitdem die UN für die Resolution 64/292 bezüglich des Rechts auf „auf Wasser und Sanitärversorgung" gestimmt hat. Von einem jungen Supermarkt-Mitarbeiter zum Klo gebracht zu werden, kann tatsächlich sehr erniedrigend sein—etwas, das kein Mensch durchmachen sollte. Wenn man da etwas um die Ecke denkt, kommt man vielleicht darauf, einfach an Ort und Stelle zwischen der Tiernahrung und den Milchprodukten einen abzuseilen. Wenn man keinen Fahrradständer findet, stellt man seinen Drahtesel ja schließlich auch an der nächstbesten Laterne ab.

Die dissoziative Störung

Es gibt tatsächlich Menschen, die glauben, dass sie in einem anderen Zeitalter leben (ob nun aus psychologischen Gründen oder nicht, sei mal dahingestellt). Kann es demnach sein, dass sie Supermarkt-Scheißer einfach davon ausgehen, dass sie sich im Mittelalter befinden? Damals war so etwas wie die öffentliche Erledigung eines großen Geschäfts nämlich noch akzeptabel—denn ein im Jahr 1530 von Erasmus von Rotterdam geschriebenes Buch voller Verhaltensregeln legt nahe, dass es zu dieser Zeit als völlig normal galt, wenn Typen auf der Straße ihre Schwänze auspackten oder immer und überall ihre Notdurft verrichteten.

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Die Schlafwandler

Somnambulismus oder Schlafwandeln lässt einen gewöhnliche Dinge an ungewöhnlichen Orten machen. So habe ich zum Beispiel schon einmal meinem kleinen Bruder dabei zusehen können, wie er um zwei Uhr morgens in seinen Abfalleimer gepisst hat. Zwar ist es ein bisschen weit hergeholt, sich im Schlaf Klamotten anzuziehen und zum nächsten Supermarkt zu laufen, weil man träumt, dass sich dort die Toilette befindet, aber ganz auszuschließen ist es auch nicht. In den Videos ist jedoch zu sehen, wie sich viele der Frauen vorher umsehen oder das Ergebnis später ganz stolz ihren Freunden präsentieren. Diese Umstände lassen die Schlafwandel-Theorie dann doch nicht wirklich plausibel erscheinen.

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Das Fazit

Es gibt noch eine ganze Reihe an anderen Hypothesen bezüglich der Supermarkt-Scheißer: Suchen sie Aufmerksamkeit? Wollen sie Wasser und Toilettenpapier sparen? Oder haben sie vielleicht einfach nur eine Wette verloren? Die Möglichkeiten sind grenzenlos. Dieser Artikel soll dabei als eine Art Pionierversuch angesehen werden, eine doch sehr sonderbare Facette des menschlichen Verhaltens zu erklären, die wir nicht länger unter den Teppich kehren dürfen.