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Campus, Sex und Ravioli

Warum WGs die absolute Hölle sind

Party, Spaß und Freundschaften fürs Leben? Wohngemeinschaften vereinen das Schlimmste aus sexloser Beziehung und Zusammenwohnen mit den Eltern.
Zwei umgekippte Weingläser
Foto: Grey Hutton

Letzte Woche hat meine zauberhafte Kollegin eine Art Liebesbrief an das platonische Zusammenleben geschrieben. Es gibt nichts Tolleres als WGs, hieß es da, und wer im 21. Jahrhundert nicht komplett vereinsamen möchte, dem kann nichts Besseres passieren, als sich mit anderen Menschen eine Wohnung zu teilen.

Vielleicht bin ich asozial. Vielleicht werde ich irgendwann wie eine Nicht-Milliardärs-Version von Christian Grey in meinen vier Wänden sitzen—und soziale Interaktion findet für mich nur noch im Büro und meinem BDSM-Keller statt. Aber: Das wäre OK. Wohngemeinschaften sind nämlich das Arschloch-Kind von „in einer sexlosen Beziehung sein" und „für immer mit den Eltern zusammen wohnen". Ihr glaubt mir nicht? Lest und lernt, Freunde.

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Tschüss Privatsphäre, hallo Putzplan

Foto: Valerie Hinojosa | Flickr | CC BY-SA 2.0

Das klingt jetzt natürlich erst mal nach sämtlichen WG-Klischees in einem Satz, aber gucken wir uns das doch eben mal genauer an. Zusammenleben funktioniert nur mit Regeln. Das gilt sowohl für die Gesellschaft als solche als auch—und vielleicht noch mehr—für das Miteinanderauskommen auf deutlich engerem Raum, auf, sagen wir mal, 60 Quadratmetern in einem sanierten Altbau zum Beispiel. Wer besorgt was? Wer räumt wann auf? Ist es OK, nach 22 Uhr noch laut und im Loop „What Kind of Man" von Florence & the Machine zu hören, wenn man gerade eine schlimme Trennung durchmacht? Eigentlich sollten unsere eigenen vier Wände eine Bastion der Selbstbestimmung sein. Sobald man die aber mit jemandem teilt, der—im schlimmsten Fall—auch noch grundlegend anders ist als man selbst, beraubt man sich dieser Freizeit. Und dazu muss es noch nicht mal einen Putzplan geben.

Eben noch hast du dich darüber gefreut, dass du dich nicht mehr gegenüber deiner Mutter für ein unaufgeräumtes Zimmer rechtfertigen musst, schon bist du in der nächsten Wohnsituation gefangen, in der deine Vorstellung von Ordnung, Sauberkeit und Lebensstil im Allgemeinen mit denen deiner Mitmenschen kollidieren können. Wasche ich heute oder erst nächste Woche ab? Ist es nicht praktischer, wenn meine Schuhe direkt hinter der Tür liegen? Wann ist es noch jugendlicher Partylifestyle und wann ein Alkoholproblem? Und ist es nicht viel schöner, Pfandflaschen so lange zu sammeln, bis man von ihnen den kompletten Einkauf finanzieren kann? All diese Entscheidungen kannst du nicht für dich selbst treffen. Ihr lebt nämlich mit einer anderen Person zusammen, die sich (im Gegensatz zu einem Lebensabschnittspartner) nicht mit sexuellen Dienstleistungen besänftigen lässt.

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Solltet ihr pedantische Putzfanatiker sein, denen Regeln wichtiger sind als Binge-Watching-Wochenenden voller Pizza, Rotwein und House of Cards—dann habt ihr erst richtig die Arschkarte gezogen. Dem faulen Mitbewohner permanent hinterher räumen zu müssen, macht nämlich nur Berufsmasochisten oder geborenen Muttis Spaß.

Die Sache mit dem Geld

Foto: Yann Gar | Flickr | CC BY-SA 2.0

Natürlich ist es in aller Regel günstiger, mit anderen Menschen zusammenzuleben, als sich alleine um Nebenkostennachzahlungen, natives Olivenöl und allgemeine Hausratsanschaffungen wie Waschmaschine, Kühlschrank oder Geschirr zu kümmern. Außerdem bietet eine WG die Möglichkeit, sich insgesamt auf deutlich mehr Wohnfläche zu bewegen, als den Großteil der Studienbeihilfe in einen Wohnschrank mit Küchenzeile zu investieren, der als charmante Ein-Zimmer-Wohnung „für Liebhaber" angepriesen wurde.

Wenn ihr aber erst einmal ein gewisses Alter erreicht habt (und das sage ich mit meiner beachtlichen Lebenserfahrung von fast 26 Jahren), werdet ihr feststellen, dass es Dinge gibt, die sich mit Geld fast nicht aufwiegen lassen. Dazu mag vielleicht auch das Gefühl zählen, in eine geputzte Wohnung zu kommen, die man nicht selbst stundenlang schrubben musste, weil man erst wieder in der kommenden Woche dran ist. Was einen nach einem anstrengenden Tag im Büro oder in der Uni aber wirklich glücklich macht, ist direkt nach dem Schließen der Wohnungstür BH und Hose auszuziehen, alles genau da liegen zu lassen, wo man es gerade hingeworfen hat, sich mit dem letzten sauberen Messer ein Leberwurstbrot zu schmieren und mit absolut niemandem reden zu müssen.

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Vielleicht kommt es auf die jeweilige Lebens- und Wohnsituation an, aber: Mir kann niemand erzählen, dass er nicht irgendwie gekränkt wäre, wenn einem der Mitbewohner mit einem „Jetzt nicht!" die Zimmertür vor der Nase zuschlägt. Und auch wenn man sich am Anfang schämen würde, sich wegen ausstehender Centbeträge für die letzten paar Toilettenpapier-Einkäufe zu streiten, kommt jeder irgendwann an den Punkt, an dem man nichts anderes möchte, als sich ausschließlich vor einem selbst rechtfertigen zu müssen. Glück kann man nicht kaufen, aber Entscheidungsfreiheit und Freizeit ohne Grundsatzdiskussionen schon. So lange wir nicht in New York-esken Bedingungen leben und nur die Wahl zwischen WG-Zimmer und Obdachlosigkeit besteht, würde ich mich immer für die Packerlsuppe in meiner eigenen Küche als die Pesto-Nudeln am gemeinschaftlichen Kochabend entscheiden.

Die Party kommt zu dir nach Hause

Foto: Grey Hutton

Wie unfassbar fantastisch Hauspartys sein können, haben wir ja bereits in unserem VICE-Guide zum Thema beleuchtet. Dabei darf man aber vor allem eine Sache nicht vergessen: Mit Alkohol vom Discounter und YouTube-Playlist im Background in einer Privatwohnung zu eskalieren, macht nur dann wirklich Spaß, wenn es nicht in den eigenen vier Wänden stattfindet. Wohnst du in einer WG, ist deine Entscheidungsgewalt noch deutlicher eingeschränkt. Selbst wenn du Hauptmieter bist, kannst du deinen Mitbewohnern nicht so wirklich verbieten, ab und an mal ihre Freunde einzuladen, und wer jemals irgendwo „kurz auf ein paar Bier" vorbeigekommen ist, weiß, wie schnell ruhige Abende im Freundeskreis sich in einen 90er-Jahre-Rave mit 2-Euro-Wein und schlechtem Speed verwandeln können. (Für alle, die keine Freunde haben und/oder nie irgendwo eingeladen werden: sehr schnell.)

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Ihr müsst schlafen, arbeitet sogar am Wochenende, seid krank oder passt gerade auf das verhaltensgestörte Meerschwein eures besten Kumpels auf, das bei jedem lauten Geräusch Gefahr läuft, an einem Herzinfarkt zu sterben? Herzlichen Glückwunsch und fickt euch! Ihr lebt jetzt in einer Wohngemeinschaft mit anderen finanziell angeschlagenen Menschen der Generation Drauf trotz Schulden. Ihr habt Glück, wenn ihr auf dem Weg zur Kaffeemaschine am Morgen danach nicht in den Körperflüssigkeiten von Menschen ausrutscht, die ihr noch nie vorher gesehen habt. Was uns auch direkt zum nächsten Punkt bringt.

Jesus ist der einzige Mensch, dem Teilen Spaß macht

Foto: Waiting For The Word | Flickr | CC BY 2.0

Geteilter Wohnraum, geteilte Miete—was auf der einen Seite viele Vorteile haben mag, verwandelt euch gleichzeitig aber auch in einen zwangsdiplomatischen Diskussionssklaven, der keine grundlegende Entscheidung mehr alleine treffen darf. Was meins ist, ist deins? Ihr kauft immer gemeinsam ein und teilt alles durch zwei, obwohl Kathrin immer eine Scheibe Brot mehr isst als Holger und ihr nicht versteht, warum ihr für Korbinians eingelegte Delikatess-Champignons mitaufkommen müsst? WGs sind das perfekte Beispiel dafür, dass Kühlschrank-Kommunismus einfach nicht funktioniert. Egal wie gut ihr befreundet seid, wie lange ihr euch schon kennt oder wie durchstrukturiert und mathematisch ihr das gemeinsame Zusammenleben angeht: Geht es um Geld, werden die Bandagen abgenommen.

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Abgesehen von finanzieller Fairness gibt es aber auch noch ungleich schwieriger zu bewertende Diskussionen. Müsst ihr wirklich eine nagelneue Waschmaschine kaufen, wenn die alte bei eurem letzten Waschgang den Geist aufgegeben hat? Bildet ihr euch das ein, oder ist euer teures Shampoo immer deutlich leerer, nachdem der Mitbewohner duschen war? Wer es schafft, jahrelang mit jemandem zusammenzuwohnen, ohne irgendwann passiv-aggressive Post-Its auf Joghurtbecher zu kleben, verdient meinen vollsten Respekt. Und sollte dazu verpflichtet werden, neue Post-Its zu kaufen, wenn er das Letzte aufgebracht hat.

WGs sind kein Ersatz für soziale Kompetenz

Foto: Jermain Raffington

Stellen wir uns kurz vor, ihr seid neu in einer Stadt. Ihr braucht Anschluss, Freunde, ein neues soziales Umfeld und das am besten so schnell wie möglich. Wer will schon nach Berlin oder Hamburg ziehen und die ersten Wochen seines neuen, aufregenden Großstadtlebens alleine auf der Couch verbringen? (Gesellschaftlich akzeptabel ist solches Verhalten erst, wenn man theoretisch einen funktionellen Freundeskreis hat, sich aber bewusst dazu entscheidet, die Couch nicht zu verlassen.)

Das Problem: Wenn eure Mitbewohner und deren Umfeld das Gros eurer sozialen Interaktion ausmachen, weil ihr außerhalb eurer eigenen vier Wände nicht dazu in der Lage seid, Kontakte zu knüpfen, ist das ein bisschen wie Inzest. Laut Reddit total normal, aber außerhalb von Game of Thrones vollkommen zurecht ein gesellschaftliches Tabu und moralisch falsch. Der Mensch braucht Tapetenwechsel, verschiedene Meinungen, die Möglichkeit, Konflikte offen austragen zu können und keine Angst davor haben zu müssen, dass damit auf einen Schlag sämtliche sozialen Kontakte—und sei es nur auf Zeit—gekappt werden. Man kann ziemlich viel über Menschen lernen, wenn man mit verschiedenen Personen zusammenlebt. Sowohl Gutes als auch Negatives. Wohngemeinschaften machen dich aber nicht automatisch zum pulsierenden Zentrum eines sozialen Gefüges und wenn du auch nur im Ansatz liebenswert, lustig oder sympathisch bist, bist du auch dann nicht alleine, wenn du allein wohnst.

Vielleicht sind die WG-Begeisterten unter uns die besseren Menschen, die keine neurotischen Ausraster bekommen, wenn sie irgendwann mal mit ihrem Partner zusammenziehen, weil sie es einfach gewohnt sind, dass da permanent irgendjemand ist, auf den sie Rücksicht nehmen müssen. Dafür haben sie wahrscheinlich deutlich mehr Zeit ihres Lebens damit verbracht, eine Hose zu tragen. Und das ist doch irgendwie auch traurig.

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