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Warum wir (vielleicht) der Gentechnik eine Chance geben sollten

Gen-Fleisch ist nicht Frankenstein-Cuisine, sondern unsere Zukunft. Das meinen zumindest einige Wissenschaftler. Doch unser Stirnrunzeln bleibt. Ein Interview zu einem heiklen Thema.
Photo via Flickr user Jellaluna

Gentechnik ist ein äußerst heikles Thema. Vor allem wenn es um Essen geht. Schon bei Nutzpflanzen tun sich viele Verbraucher äußerst schwer. Doch die Vorstellung, Fleisch von einem Tier zu essen, das dank Gentechnik das Licht der Welt erblickt hat, verdirbt den meisten gründlich den Appetit. Das ist doch Frankenstein-Cuisine.

Da unser Fleischkonsum stetig zunimmt, werden neue ernährungsbezogene Strategien und Lösungen erforderlich. Manch einer ist der Auffassung, dass wir unser Heil in der Gentechnik suchen sollten. So könnten wir angeblich den Nahrungsbedarf einer wachsenden Bevölkerung decken (bis 2050 soll die Weltbevölkerung um weitere 2,5 Milliarden Menschen anwachsen), Krankheiten bekämpfen und nachhaltiger werden. Denn eins steht fest: Die globale Landwirtschaft muss sich weiterentwickeln und für Innovationen öffnen.

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Gentechnik-Gegnern wird bei solchen Vorschlägen nur schlecht, und die Idee von Laborfleisch ist für sie vor allem Ausdruck einer profitorientierten Food-Industrie. Gentechnik und regional-saisonale Küche würden sich zudem diametral gegenüberstehen. Dazu kommen ethische Bedenken und die Sorge, dass wir unsere Gesundheit unkalkulierbaren Risiken aussetzen, wenn wir uns so massiv in die Natur einmischen. Vor diesem Hintergrund wurde in den späten 90er Jahren auch entschieden, genetisch veränderte Lebensmittel in vielen europäischen Supermärkten zu verbieten.

Natürlich gibt es aber auch Wissenschaftler, die glauben, dass sich das ändern sollte. Zu ihnen gehören Helen Sang und Bruce Whitelaw vom Roslin Institute der Edinburgh University, der Geburtsstätte von Dolly. Sie eröffnen zu diesem Thema diesen Monat einen Dialog beim Edinburgh Festival Fringe im Rahmen des Cabaret of Dangerous Ideas. Ihre Leitidee? „Wir würden Gentechnik essen. Und du?" Professor Sang hat mir schon mal einen kleinen Ausblick gegeben.

MUNCHIES: Hallo Professor Sang. Warum haben die Leute so viel Angst vor Gentechnik? Professor Helen Sang: Weil sie in einigen Fällen noch mit einem Stigma behaftet ist. Meiner Meinung nach fehlt es auch an ausreichenden Informationen. Und es kursieren negative Berichte zu den Auswirkungen von Gen-Essen auf die Gesundheit. Außerdem werden die Leute auch fehlinformiert.

Die Berichte stimmen also nicht? Es gibt keinen stichhaltigen Beweis dafür, dass sich Gen-Fleisch oder Gen-Nutzpflanzen negativ auf unsere Gesundheit auswirken.

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Wie steht es aber um das Wohl der Tiere? Und kann so viel Einmischung in die Natur überhaupt gut sein? Wir wollen nicht, dass Tiere leiden müssen. Auch schon deswegen, weil die Tiere negativ darauf reagieren würden. Niemand will Tiere produzieren, die Defekte oder Schmerzen haben, denn wozu sollte das gut sein? Außerdem greifen wir nicht wirklich in das Ökosystem ein, da unser Fokus auf landwirtschaftlichen Tieren und Prozessen liegt. Es handelt sich hierbei um domestizierte Tiere, die eh nur dazu dienen sollen, uns zu ernähren—Gen-Hühner werden sich nicht mit Wildhühnern paaren. Gentechnik und Natur können nebeneinander existieren.

Ihr spielt also nicht Gott? Wir spielen doch schon längst Gott. Die Schweine, die wir heute essen, waren früher Wildschweine und existieren nur auf unser Zutun. Und wir benutzen Medizin, um Krankheiten zu heilen. Sogar Mais ist eine hybride Getreideform—die ziemlich kümmerlich war, bis wir uns ihrer angenommen haben. Jemand hatte irgendwo eine etwas größere Ähre erblickt und darin eine Gelegenheit gewittert. Bis zu einem gewissen Grad wird schon seit Jahren genetisch verändert. Auch unsere heutigen Haushühner gehen beispielsweise auf Kammhühner zurück. Wir haben schon immer Wege gefunden, Selektion zu betreiben.

Inwieweit ist Gen-Fleisch anders? Wir glauben nicht, dass das Fleisch von Gen-Hühnern in irgendeiner Form anders sein wird—bis auf das Erbgut vielleicht. Gen-Hühner werden so ausgewählt und gezüchtet, dass sie eine höhere landwirtschaftliche Produktion garantieren können und weniger krankheitsanfällig sind, etwa gegenüber der Vogelgrippe. Gen-Fleisch ist einfach nur das Resultat einer sehr genauen genetischen Selektion—ein ausgefeilteres Sequenzieren von Nutztieren. Wir wollen damit nur Stärken bündeln wie Wachstumsgeschwindigkeit und Größe.

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Bringt die Gentechnik viele Vorteile mit sich? Die Weltbevölkerung wächst und wächst und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Denn das Ackerland ist nicht unbegrenzt. Also braucht die Agrarindustrie Neuentwicklungen. Gen-Fleisch ist kosteneffizient, und wir müssen das Land, das schon da ist, besser nutzen. Es könnte ein effektives Mittel gegen Hunger und Armut sein. Außerdem kann es auch für die Ernährung Vorteile mit sich bringen.

Unsere Begeisterung für Eiweiß hat Überhand genommen. Essen wir mittlerweile so viel Fleisch, dass wir dadurch den Weg für Gen-Fleisch ebnen? Auf jeden Fall müssen wir Wege finden, um die Nachfrage zu decken. Wir konsumieren nämlich tatsächlich sehr viel Fleisch. Und da Gen-Fleisch absolut nachhaltig ist, glaube ich schon, dass wir in Zukunft nicht darauf verzichten können. Die Welt verändert sich um uns herum und auch wir müssen uns deswegen anpassen.

Rettung der Menschheit hin oder her: Geht es bei diesen Innovationen nicht auch um ziemlich viel Geld? Natürlich geht es auch um Verdienstmöglichkeiten, aber momentan kann man noch nirgendwo auf der Welt Gen-Fleisch kaufen. Da ist es wahrscheinlicher, dass Gen-Lachs vorher auf den Markt kommt. Eine US-Firma arbeitet schon fieberhaft daran.

Gen-Lachs? Ja. In Tests konnte schon festgestellt werden, dass sich sein Fleisch nicht von dem natürlicher Lachsarten unterscheidet. Außerdem ist er total sicher—und wächst zudem noch schneller. Trotzdem ist niemand bereit, ihn zuzulassen.

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Was ist der Grund dafür? Die öffentliche Wahrnehmung. Die Menschen halten es für ein Risiko.

Viele sehen das Ökosystem durch neue Landwirtschaftsformen gefährdet. Wird Gentechnik nicht nur noch mehr Schaden anrichten? Das glaube ich nicht. Schließlich bewirkt Gentechnik, dass weniger Land besser genutzt wird. Sie verändert nur schon bestehende Landwirtschaftsformen.

Wie willst du das alles beim Edinburgh Festival Fringe präsentieren? Ich habe schon mehrfach über Gen-Fleisch referiert und erkläre gerne zu Beginn, dass jedes Jahr mehr als 50 Milliarden Hühner ausschlüpfen, also rund 10 pro Kopf. Diese Statistik ist für die meisten ziemlich schockierend. Wir wollen dort einfach nur über Gen-Fleisch sprechen und unsere Ideen vortragen. Ich glaube nicht, dass wir Schwierigkeiten damit haben werden, unsere Zuhörer in eine Diskussion zu verwickeln, schließlich hat zu Essen jeder eine Meinung.

Was erwartest du dir vom Fringe? Wir wollen vor allem Missverständnisse und irrige Annahmen rund um Gentechnik aus der Welt schaffen. Schließlich arbeiten wir hochwissenschaftlich mit Erbmaterial und DNA—es geht hier also nicht um schwarze Magie in irgendeinem obskuren Labor.

gmsalmon

Lachs: Ausdruck zukünftiger Gentechnik? Foto: Mattheux Photo via Flickr

Ich habe auch mit Professor Joyce Tate—Experte für Strategie, Regulierung und Interaktion (zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit)—vom Innogen Institute der Edinburgh University gesprochen, um mir erklären zu lassen, wie wir auf das Konzept Gentechnik reagieren. Sie hat mir erzählt, dass Gentechnik schon vor langer Zeit von behördlicher Seite zugelassen wurde und zudem als gesundheitlich ungefährlich gilt. Doch wegen ihres schlechten Rufes würden sich keine britischen Bauern an Gentechnik wagen.

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Tate zufolge dürfen die Diskussionen rund um Gentechnik nicht die Wissenschaft und ihre Fortschritte aus den Augen verlieren. Wenn wir alle besser informiert wären, würde Gentechnik auch auf mehr Zustimmung stoßen, so Tate.

MUNCHIES: Hat auch unsere Engstirnigkeit Schuld daran, dass wir Gen-Produkten keine Chance geben? Professor Joyce Tate: Im Grunde genommen ja. Die Leute sind sehr vorsichtig, und dasselbe gilt für die Industrie. Die Reaktion der Verbraucher ist echt schwer abzuschätzen. In jedem Fall hatte die Öffentlichkeit noch keine Gelegenheit, sich vorurteilsfrei mit dem Thema Gentechnik auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass viele Leute keine Angst vor Gen-Essen hätten, wenn sie alle Fakten kennen würden. Schau dir nur die gentechnisch modifizierten Nutzpflanzen an, die auf der ganzen Welt gegessen und in großen Mengen an Nutztiere verfüttert werden.

Aber all die Sorgen müssen ja irgendwo herkommen. Was ist zum Beispiel mit dem Krebsverdacht? Reiner Mythos. Dafür gibt es keinerlei Beweise.

Nun ist Gen-Fleisch natürlich ein weitaus grusligeres Szenario als Gen-Nutzpflanzen. Es geht schließlich um Fleisch und Blut. Das ist wohl ein natürlicher Instinkt. Menschen haben immer Angst vor unbekannten Sachen.

Glaubst du, das Edinburgh Festival Fringe ist eine gute Diskussionsplattform? Ja. Es gab ziemlich viele Untersuchungen und Forschungsvorhaben, und ich glaube, dass das Roslin Institute ein paar großartige Ideen vorgebracht hat. Sie kümmern sich nicht nur um Forschung, sondern arbeiten auch hart daran, dass die Ergebnisse praktische Anwendung finden. Gentechnisch veränderte Tiere haben echt großes Potential. Echt schade, dass viele Menschen so ängstlich sind. Außerdem müssen die zuständigen Aufsichtsbehörden vielerorts noch umdenken und unnötige Barrieren entfernen.

Wie lange könnte es dauern, bis das erste Gen-Fleisch auf unserem Teller liegt? Das könnte schon bald der Fall sein. Die technologischen Hürden sind überschaubar. Wir müssen nur den Leuten die Angst nehmen.

Und wenn das nicht glückt? Dann sollten wir uns schleunigst etwas anderes überlegen, denn der Welt geht das Essen aus.

Oberstes Foto: Jellaluna | Flickr | CC BY 2.0