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Warum wir Zoos abschaffen sollten

Ich bin kein Tierrechtsaktivist, aber ich vertraue auf von Experten präsentierte Fakten, und den Fakten zufolge sind Zoos eine furchtbar schlechte Idee.

Eingang des Zoos Neuwied. Schild: „Eigenheimzulage für unsere Tiger". Foto: A. Savin | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Letzte Woche kamen bei einer Überschwemmung im georgischen Tbilisi 19 Menschen ums Leben und sechs weitere werden seitdem vermisst. Der Fluss Vere trat aufgrund heftiger Regenfälle über die Ufer und überflutete die Stadt mitsamt Zoo, wobei viele Tiere ums Leben kamen und andere ausbrachen. Anfangs hielt man alle der sieben Tiger und acht Löwen des Zoos für tot, doch am 17. Juni tötete ein entkommener Tiger einen Mann, woraufhin Premierminister Irakli Gharibaschwili die Leitung des Zoos für ihre falschen Angaben kritisierte. Zwei der drei Jaguare sollen trotzdem umgekommen sein, ebenso wie 12 von 14 Bären.

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Laut dem Guardian wird der Polizei vorgeworfen, viele der Tiere grundlos erschossen zu haben. Beamte wurden auch dabei gesehen, wie sie Selfies mit den Löwen, Tigern und anderen großen Säugetieren machten, die sie erschossen hatten. „Ich habe meinen Augen fast nicht getraut", sagte ein Arbeiter. „Sie haben diese Tiere fast als Trophäen behandelt."

Auch wenn es furchtbar ist, scheint es ein gewisses Element der menschlichen Tragödie bei Naturkatastrophen wie Überschwemmungen unausweichlich. In dicht besiedelten Städten ist es fast unmöglich, nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden, wenn etwas Großes schiefgeht. Allerdings gibt es eine Sache, die in diesen Katastrophen sehr vermeidbar erscheint: die Anwesenheit wilder Tiere. Wenn wir die Tode der Tiere selbst und ihre Behandlung nur für jetzt einmal beiseite lassen, dann ist es immer noch mehr als fragwürdig, Löwen, Tiger und andere große Wildtiere einen Steinwurf vom nächsten Swatch-Store entfernt unterzubringen—dabei tun wir genau das, in aller Welt, in fast jeder Stadt, und ziehen damit jährlich etwa 175 Millionen Besucher an.

Ich bin kein großer Tierrechtsaktivist, aber ein bisschen gesunden Menschenverstand habe ich schon. Und dieser grundlegende gesunde Menschenverstand sagt mir eine Sache, wenn es um das Gefangenhalten wilder Tiere geht: Wahrscheinlich ist das etwas, das wir nicht tun sollten.

Zoos—oder, in ihrer ursprünglichen Form, Menagerien—gibt es schon seit einer überraschend langen Zeit. Das älteste bekannte Beispiel wurde 2009 bei Ausgrabungen in Ägypten freigelegt: Archäologen fanden Beweise, dass dieser Zoo von etwa 3.500 v. Chr. stammte. Bis ins frühe 19. Jahrhundert waren sie allerdings eher Demonstrationen königlicher Macht, wie die Menagerie Ludwigs XIV in Versailles. Erst als moderne Zoos in London, Dublin und Paris entstanden, wurde die Bildung und Unterhaltung der Öffentlichkeit für Tierparks zum Daseinszweck.

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So wie sich unsere Ansichten zu Tierrechten im Laufe der Zeit ein wenig gebessert haben, so haben sich auch Zoos gebessert: Käfige wurden größtenteils durch Gräben und Glas ersetzt und die meisten Zoos beschäftigen heute Tierärzte und Tierärztinnen in Vollzeit, um die Tiere medizinisch zu versorgen und ihre Ernährung zu überwachen. Positive Verstärkung ist auch die Norm; es gilt nicht mehr als ethisch, einen Wasserschlauch auf die Tiere zu richten, wenn man etwas von ihnen möchte. Betäubungsgewehre, die Tieren erheblichen Stress verursachen, werden ebenfalls seltener.

In gewissen Dingen gibt es allerdings immer noch unüberwindbare Unterschiede zwischen Zoos, Parks und den natürlichen Lebensräumen der Tiere. Was Platz angeht, so hat der durchschnittliche Löwe oder Tiger in Gefangenschaft 18.000 Mal weniger davon als in der Wildnis; Eisbären haben eine Million mal weniger. Zu sagen, das wirke sich negativ auf die Tiere aus, wäre eine grobe Untertreibung: In Großbritannien stellte eine öffentlich finanzierte Studie 2008 fest, dass bei keinem einzelnen Elefanten des Landes das Wohlergehen gesichert war; 75 Prozent waren übergewichtig und nur 16 Prozent konnten normal gehen. Afrikanische Elefanten leben in der Wildnis dreimal länger als in Gefangenschaft, und während in freier Wildbahn 30 Prozent aller Löwenjungen sterben, sind es in Zoos 40 Prozent. Diese Zahlen klingen vielleicht, als lägen sie nah beieinander, doch wenn man in Betracht zieht, dass ein Drittel der Todesursachen in der Wildnis—ganz vorne andere Raubtiere—in Zoos vollständig fehlen, sieht die Sache schon ganz anders aus.

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Es wäre ein Fehler zu glauben, dass alle Zoos sich gebessert haben. In Großbritannien hat es zahlreiche Missbrauchsfälle gegeben, zum Beispiel im Woburn Safari Park, wo 2010 entdeckt wurde, dass Löwen 18 Stunden am Tag in winzigen, ungeeigneten Gehegen zusammengepfercht waren und das Personal Elefanten mit Treibstöcken mit 4.500 Volt dressierte. Dann ist da der Knowlsey Safari Park, von dem 2011 Fotos öffentlich wurden, die zeigten, dass Tiere zuerst von unausgebildetem Personal erschossen und dann in bzw. neben Mülltonnen geworfen worden waren. In Irland wurden dem Themenpark Tayto 2013 und 2014 Verbote auferlegt, die besagten, er dürfe aufgrund von „unangemessener Zucht", „unzulänglichen Gehegen" und „hohen Maßen an Aggression und Stress seitens der Tiere" keine neuen Tiere anschaffen.

Entgegen der Erwartungen der Born Free Foundation, die 2012 in Kooperation mit anderen Verbänden eine umfassende Studie von EU-Zoos veröffentlichte, ist Deutschland eines der europäischen Länder mit den mangelhaftesten Zoos. Mehr als die Hälfte der deutschen Tiergehege sind laut dem Bericht nicht artgerecht. Es gibt selbst hierzulande zahlreiche Zoos, die nirgends registriert sind und die somit keiner Überwachung unterliegen—wobei es ohnehin kaum rechtsverbindliche Vorgaben gibt.

Es gibt aus aller Welt unzählige Berichte über Dressur mit Treibstöcken, unzureichende Gehege und Personal, das Tiere schlägt—doch der führende internationale Dachverband der Zoos und Aquarien WAZA hat bisher noch keinen der betroffenen Zoos ausgeschlossen oder verurteilt.

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Die psychologischen Auswirkungen sind verheerend: In Großbritannien haben 54 Prozent aller Elefanten Verhaltensstörungen und die Löwen verbringen 48 Prozent ihrer Zeit mit Hin- und Herlaufen, eine sogenannte Stereotypie, also ein repetitives und ritualisiertes Verhalten, das hier durch Langeweile und Gefangenschaft entsteht. Andere Beispiele für solche stereotypen Verhaltensstörungen sind exzessives Lecken, Selbstverstümmelung und Rüsselschwenken. Depression tritt auch sehr häufig bei Tieren auf, wenn sie von Besuchern belästigt werden, ihre Ernährung keine Abwechslung aufweist oder ihr Fortpflanzungstrieb unerfüllt bleibt.

Ein Argument für Zoos ist die Arterhaltung. Aber wenn man darauf einen genaueren Blick wirft, dann entpuppt sich dieses Argument als Irrglaube: In Wirklichkeit gehören weniger als ein Prozent der in Zoos gehaltenen Spezies zu ernsthaften Artenschutzbemühungen. Von diesen wenigen Tieren sind viele das Ergebnis von Inzucht und haben dadurch wenig „genetische Integrität" und „keinen Wert für den Artenschutz", so eine Studie von 2013 von Dr. Paul O'Donoghue, einem Artenschutzgenetiker der Aspinall Foundation.

Anstatt Tiere der Wildnis zurückzugeben, nehmen Zoos sie ihr weg: 70 Prozent aller Elefanten in Europa wurden extrahiert, genau wie 79 Prozent der britischen Aquariumsbewohner. Tatsächlich ist es sogar erwiesen, dass Bestände in Gefangenschaft die Arterhaltung behindern. So heißt es in einer Studie, sie würden „fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, die Spezies sei sicher, sodass Lebensräume und wilde Bestände weiterhin zerstört werden können."

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Vergangenes Jahr hat der Londoner Zoo 7,4 Millionen Euro für ein Gehege für drei Gorillas ausgegeben. Im Kontrast dazu lassen sich nur 4 Cent pro Besucher des Aquariumsriesen Sea Life auf Artenschutzmaßnahmen zurückverfolgen. Die Diskrepanz zwischen der Menge an Geld, die auf Tiere in Gefangenschaft verwendet wird, und den Beträgen, die man für wilde Tiere ausgibt, ist riesig, obwohl es 50 Mal teurer ist, Tiere in Zoos zu beherbergen, als sie in ihren natürlichen Lebensräumen zu schützen.

Giraffen im Kopenhagener Zoo. Foto: Daderot | Wikimedia Commons | Gemeinfrei

Angesichts des verbreiteten Irrglaubens mit dem Artenschutz ist der ironischste Aspekt, wie viele Tiere Zoos umbringen. Vergangenes Jahr, nachdem die Giraffe Marius im Zoo von Kopenhagen getötet wurde, teilte EAZA (die European Association of Zoos and Aquaria) mit, dass in Europa allein jedes Jahr zwischen 3.000 und 5.000 gesunde Zootiere getötet werden.

Ein weiteres Argument für Zoos ist die Bildung, die sie ermöglichen. Allerdings fehlen z.B. in 41 Prozent der britischen Aquarien selbst grundlegende Informationsschilder, in deutschen Zoos fehlt bei 20% aller Tierarten jegliche Information und bei etwa 30% werden falsche Infos verbreitet—was logischerweise gegen den Bildungsauftrag unserer Zoos verstößt. Wie soll ein Mensch da denn etwas lernen, was es nicht auch in einer Doku auf YouTube gibt? Und tatsächlich zeigt eine Studie von 2014, dass 66 Prozent der zoobesuchenden Kind nichts lernen und einige hinterher sogar noch weniger wissen als vorher. Das ist angesichts der extrem verbreiteten tierischen Verhaltensstörungen auch kein Wunder; zusammen mit Vorführungen dressierter Tiere, z.B. Shows mit Dreirad fahrenden Schimpansen in Menschenkleidung, bekommen Menschen ein völlig falsches Bild der jeweiligen Spezies. Warum auch sollte ein wenig bis gar nicht überwachtes, kommerzielles Unternehmen einen Bildungsauftrag über den Profit stellen?

Wenn wir ehrlich sind, dann sind Zoos Teil eines größeren Problems, nämlich unseres gesamten Verhältnisses zu unserer natürlichen Umwelt. Wir nehmen unsere Kinder dorthin mit und bringen ihnen bei, es Tieren übelzunehmen, wenn sie nicht unterhaltsam genug sind. Dann gehen wir mit den Kindern wieder nach Hause, servieren ihnen Fischstäbchen und Chicken Nuggets und wundern uns über den kaputten Zustand der Welt.

Wir sind so darauf konzentriert, unsere niedersten Bedürfnisse zu erfüllen, die wir seit Jahrhunderten erben und weitervererben, dass wir nicht einmal sehen, welchen Schaden wir verursachen. Wir müssen es Costa Rica gleichtun: aufwachen und endlich den schmerzhaften Prozess der Abschaffung des Zoos beginnen.