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Warum wird Griechenlands Neonazi-Partei erst jetzt angeklagt?

Solange große Teile der griechischen Bevölkerung glauben, dass Angela Merkel, die EZB und der Internationale Währungsfonds sie zu Tode sparen wollen, solange werden Spinner wie die Goldene Morgenröte Konjunktur haben.

Ist das das Ende der goldenen Zeiten in Griechenland? Am Samstag hat sich Ministerpräsident Samaras endlich aufgerafft, dem soziopathischen Treiben der Neonazis von der „Goldenen Morgenröte“ (Chrysi Avgi) zuerst einmal ein Ende zu setzen, und den Gründer der „Morgenröte“ festgenommen.

Nachdem ein Parteimitglied letzte Woche den antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas auf offener Straße erstochen hatte, war eine Welle der Empörung durch Griechenland gegangen. Fyssas Beerdigung verwandelte sich schnell in eine Massenkundgebung gegen die Gewalt der GM, die schließlich auch die Politik zum Handeln zwang. Dafür, dass man die Rechtsradikalen so lange hatte gewähren lassen, ging die Regierung Samaras dann auf einmal ziemlich hart gegen die Morgenröte vor.

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Schon letzte Woche führte die Polizei Razzien in Parteibüros im ganzen Land durch, bei denen Waffen und Hinweise auf kriminelle Aktivitäten der Organisation gefunden wurden.

Am Samstagmorgen schließlich umzingelten Anti-Terror-Einheiten das Haus von Nikolaos Michaloliakos, eine halbe Stunde später wurde er von vermummten Beamten ins Athener Polizeihauptquartier gefahren. In seinem Haus stellte die Polizei drei unangemeldete Schusswaffen, Munition und 43.100 Euro in bar sicher.

In den folgenden Stunden wurden dann noch drei weitere Abgeordnete und zehn Funktionäre der Partei festgenommen—inklusive zweier Polizisten. Unter den Festgenommenen war auch der Parteisprecher Ilias Kasidiaris, der vor einiger Zeit zu trauriger Berühmtheit gelangt war, als er einer kommunistischen Abgeordneten live im Frühstücksfernsehen mehrere Male ins Gesicht schlug.

Nach weiteren Mitgliedern wird gefahndet. Nun arbeitet die Regierung mit Hochdruck daran, die ganze Partei als kriminelle Vereinigung verbieten zu lassen—also von der legitimen Oppositionspartei zur kriminelle Vereinigung.

Dass diese Männer hinter Gittern sind, ist genauso erfreulich wie lange überfällig.

Es bleiben deshalb auch zwei Fragen: Warum es überhaupt so lange gedauert hat, bis die offen gewaltbereiten Rassisten von GM endlich zur Rechenschaft gezogen wurden, und ob die Verhaftung der Parteikader dem Spuk wirklich ein Ende setzen wird.

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Zuerst einmal war die Goldene Morgenröte, die zwar schon 1980 gegründet wurde, bis zur Eurokrise aber unbeachtet im rechten Sumpf vor sich hingedümpelt war, schon immer alles andere als zimperlich im Umgang mit Gewalt. Die Fahne der Bewegung erinnert stark an ein Hakenkreuz, die Partei bezeichnet sich selbst immer wieder als „nationalistisch“ und „rassistisch“.

Auf der Welle der Verzweiflung, in die Griechenland erst von der Krise und dann von der Sparpolitik der Troika (IWF, EU-Kommission und EZB) gestürzt wurde, erreichte die Partei plötzlich 2012 sieben Prozent der Stimmen—und damit 18 Sitze im Parlament.

Der Einzug ins Parlament brachte die GM-Mitglieder allerdings nichtmal dazu, ihre Hakenkreuztattoos zu verstecken, geschweige denn, ihr Verhalten sonst irgendwie zu ändern. Parteimitglieder überfielen weiterhin Ausländer, die sie „Untermenschen“ nennen, lieferten sich Straßenschlachten mit Anarchisten (immer auf der Seite der Polizei), griffen Kommunisten mit Eisenstangen und nagelbewehrten Holzlatten an, organisierten Essensausgaben „nur für Griechen“ und schlugen 12-jährigen Mädchen ins Gesicht. Gleichzeitig wurden sie immer wieder von der Polizei gedeckt und waren zeitweise sogar als Koalitionspartner für Samaras‘ eigene Partei im Gespräch.

Dass sie nun derart spektakulär eingebuchtet wurden, hat vielleicht auch damit zu tun, dass zum ersten Mal ein Grieche Opfer der rechtsradikalen Gewalt wurde. Auf der anderen Seite wird spekuliert, dass Samaras, der selber auch gerne mal davon spricht, man müsse Griechenlands Städte von den Einwanderern „zurückerobern“, es für einen günstigen Zeitpunkt hielt, die vorher geduldete „Morgenröte“ jetzt abzuschießen—und die verschreckten Wähler wieder heim zu seiner Partei zu holen.

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Ob die Rechnung aufgeht, ist alles andere als sicher. Viele Kommentatoren glauben, dass die Goldene Morgenröte eher ein Symptom der griechischen Misere ist als Ausdruck eines echten Rechtsrucks der Gesellschaft.

Ähnlich wie Hitler vom Versailler Vertrag konnten die Morgenrötler sich die Wut über das von Griechenland unterschriebene Memorandum zunutze machen, das den griechischen Staat zu radikalen Sparmaßnahmen im Austausch gegen internationale Rettungsgelder verpflichtet. „Das Memorandum ist das Atemgerät der Goldenen Morgenröte“, erklärte ein linker Politiker dem Guardian. „Ihre Basis ist nicht ideologisch, sondern verzweifelte Menschen. Sobald das Memorandum abgeschafft wird, wird die Partei eingehen.“ Solange große Teile der griechischen Bevölkerung weiter glauben, dass Angela Merkel, die EZB und der Internationale Währungsfonds sie zu Tode sparen wollen, solange werden Spinner wie die Goldene Morgenröte Konjunktur haben. In den Worten des GM-Abgeordneten Ilias Kasidiaris, kurz bevor er sich der Polizei stellte: „Die Welt wird uns erheben, ob als Goldene Morgenröte oder unter einem anderen Namen.“

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