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Mein Vater war sieben Jahre in der Gefangenschaft von muslimischen Terroristen

Noch bevor ich überhaupt geboren wurde, hatte der Terrorismus schon fast mein Leben zerstört. Aber wie konnte es überhaupt soweit kommen?

Die einstige Geisel Terry Anderson verlässt am 4. Dezember 1991 zusammen mit der Autorin das Haus des US-Botschafters im syrischen Damaskus, um den Flug nach Deutschland anzutreten | Foto: AP Photo/Santiago Lyon

Drei Monate vor meiner Geburt war mein Vater nach einem Tennisspiel in Beirut auf dem Weg nach Hause, als er von militanten Muslimen mit vorgehaltener Waffe entführt wurde. Nachdem man ihn auf den Rücksitz eines Autos geworfen und damit aus dem normalen Leben gerissen hatte, lehnte sich einer der Terroristen zu ihm runter, um ihn zu trösten.

"Keine Sorge", meinte er. "Das hier ist eine politisch motivierte Entführung."

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Nach sieben Jahren Gefangenschaft voller Folter und Erniedrigung wurde mein Vater 1991 wieder freigelassen. Da habe ich ihn dann auch zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. Was für meine Familie folgen sollte, war eine andere Art des Leidens, da es uns schwerfiel, das durch diese Erfahrungen verursachte Trauma zu überwinden.

Genauso wie meine Eltern werde auch ich den Rest meines Lebens mit diesen emotionalen Narben herumlaufen.

Wenn man solche Zwischenfälle aus dem Kontext reißt, dann passen sie super in die vorherrschende Vorstellung vom Islam. Der Terrorismus ist weltweit auf dem Vormarsch, aber dabei bringen die Terroristen mehr Muslime um als sonst irgendjemanden. Bei der Berichterstattung über die zweitgrößte Religion der Welt konzentriert man sich trotzdem oft eher auf den Terror und hebt die angeblich gewalttätige Natur dieser Ideologie sowie deren Feindseligkeit gegenüber der westlichen Welt hervor. Und genau da kommt folgende Frage auf: Ist die mediale Darstellung des Islam als rückständige und gewalttätige Religion wirklich zutreffend?

Und wenn wir schon dabei sind: Warum hegen muslimische Terroristen einen solchen Hass auf die USA? Haben sich fanatische Organisationen wie etwa der Islamische Staat wirklich wie aus dem Nichts gegründet und hetzen nun so intensiv gegen den Westen, wie es in den Medien rüberkommt? Sind die Leute, die meinen Vater entführten, eines Tages einfach so aufgewacht und haben sich dazu entschieden, einem Menschen sieben Jahre lang die Freiheit sowie jegliche Würde wegzunehmen?

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"Dann kam er direkt zu unserem Auto und meinte: 'Ihr Muslime solltet alle sterben.'"

Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall und ich bin fest davon überzeugt, dass es wichtig ist, diese Art der Gewalt in einen historischen Kontext zu setzen. Außerdem wird es immer dringlicher, Antworten auf die eben genannten Fragen zu finden—nicht nur damit wir das Problem des "radikalen Islams" politisch sinnvoll angehen können, sondern auch, weil Muslime in den USA und auf der ganzen Welt immer mehr ins Kreuzfeuer geraten. So hat Donald Trump, der designierte US-Präsidentschaftskandidat der Republikaner, schon vorgeschlagen, dass muslimische US-Amerikaner in eine Datenbank eingetragen werden und einen speziellen Ausweis bei sich tragen müssen. Außerdem versprach er seinen Anhängern ein komplettes Einreiseverbot für Muslime.

Währenddessen wurde vergangenen Monat ein Student aus einem Flugzeug der Fluglinie Southwest Airlines verbannt, weil er arabisch gesprochen hatte und eine andere Passagierin daraufhin Angst bekam. Und dann gibt es da natürlich auch noch die ganzen Angriffe auf Moscheen sowie die Belästigungen von Frauen im Hidschāb. Man kann also getrost sagen, dass die Liste von islamophoben Zwischenfällen seit den letztjährigen Terroranschlägen von Paris und dem kalifornischen San Bernardino immer länger wird.

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Corey Saylor, der Vorsitzende des Department to Monitor and Combat Islamophobia vom Council on American-Islamic Relations (CAIR), ist der Meinung, dass ein Zusammenhang zwischen politischer Anti-Islam-Rhetorik, intensivierter Medienberichterstattung zum Thema "Islamischer Terrorismus" sowie Gewalt gegenüber Muslimen besteht.

"Ende letzten Jahres ereigneten sich die Terroranschläge von Paris und San Bernardino", erzählt mir Saylor. "Die Medien berichteten wochenlang quasi über nichts Anderes. Wenn man da nun noch islamophobe Aussagen von hochrangigen Politikern hinzufügt, dann erhält man einen hochgiftigen Cocktail. So haben wir vergangenen November und Dezember auch mehr Angriffe auf Moscheen verzeichnet, als normalerweise in einem ganzen Jahr vorkommen."

"Ich kann hier keine genauen Statistiken vorweisen, aber diese Art des stetigen Flusses an negativen Informationen fördert die ansteigende Gewalt gegenüber der muslimischen Gemeinde", fährt Saylor fort. "Ich finde es unglaublich schade, dass die Entwicklung der letzten Jahren dazu geführt hat, dass die Medienberichterstattung nicht mehr so tiefgründig ist wie früher. Heutzutage wird bei einer Story nur noch die Oberfläche angekratzt. Der Kontext sowie die Hintergründe werden vernachlässigt. Dabei braucht man eigentlich genau diese Informationen, um Probleme zu lösen."

Eine Frau passiert einen Konvoi von israelischen Truppen, der während der Libanon-Invasion im Jahr 1982 durch ein Dorf in der Bekaa-Ebene rollt | Foto: Bryn Colton/Getty Images

Ich habe gerade eine zweieinhalb Jahre andauernde Recherche zu der Entführung meines Vaters abgeschlossen, um diesen Herbst ein Buch veröffentlichen zu können. Während ich mich über die Gewalttat informierte, die mein Leben geprägt hat, lernte ich aber auch einige wertvolle Dinge zum Aufkommen von Terroristen.

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So habe ich zum Beispiel erfahren, dass die Entführer meines Vaters ihren Hass auf die USA in einem ganz bestimmten Umfeld entwickelten. Im Juni 1982 begann Israel mit der zweiten und zerstörerischsten Invasion im Libanon, weil man die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zerstören wollte. Die PLO nutzte den Libanon nämlich als eine Art Basis, um Angriffe auf den jüdischen Staat durchführen zu können. Es sollte nicht lange dauern und die Israelis hatten sich alle Sympathien verspielt: Neben dem rücksichtslosen Vorgehen im schiitischen Süden zogen die israelischen Truppen auch den Zorn der libanesischen Bevölkerung auf sich, indem sie sich an gewalttätigen und verwerflichen Aktionen beteiligten—zum Beispiel die indirekte Mitwirkung am Massaker von Sabra und Schatila.

Schon bald gerieten dann jedoch auch die USA in die Kritik, die als Israels Sponsor und Beschützer galten (und auch heute noch gelten). So stellte die US-Regierung nicht nur Milliarden Dollar an Militärhilfe zur Verfügung, sondern unterstützte auch noch eine von Christen angeführte Minderheitsregierung im Libanon, indem eine multinationale Armee-Koalition nach Beirut gebracht wurde. Daraufhin fing es im Libanon mit dem Terror gegen US-Agenten an. Nach einem Zwischenfall aus dem Jahr 1984, bei dem ein US-amerikanisches Kriegsschiff auf Milizen in einer dicht bewohnten Gegend im Süden Beiruts feuerte, waren die libanesischen Schiiten endgültig davon überzeugt, dass es sich bei den USA um ihren unerbittlichen Feind handelte.

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Und so kam es dann auch zu den ersten Entführungen.

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"Zwischen der Besatzung eines Landes und Terrorismus besteht ein beträchtlicher Zusammenhang", erklärte mir ein ehemaliger Staatsbeamter bei der Recherche für mein Buch. Besagter Staatsbeamter arbeitete während der Entführung meines Vaters im Anti-Terror-Programm. "Wahrscheinlich handelt es sich sogar um den größten Zusammenhang—größer als der Zusammenhang mit Armut und auf jeden Fall größer als der Zusammenhang mit Religion. Im Falle des Libanon sprechen wir natürlich von der Besatzung durch Israel. Hier legen Menschen eine weitaus militantere und verzweifeltere Einstellung an den Tag. Dieser Aspekt der Besatzung ist ungemein interessant und sagt auch einiges über den Libanon aus, der fast durchgehend in irgendeiner Art und Weise besetzt wird. Und wenn man dem direkten Besatzer nichts anhaben kann, dann wendet sich die Wut manchmal eben gegen dritte Unterstützer."

Damit sollen jetzt natürlich nicht die Männer entschuldigt werden, die meinen Vater jahrelang wie ein Tier behandelt haben. Keine politische Unterdrückung der Welt rechtfertigt Terrorismus. Einen Menschen zu entführen und mehrere Jahre hintereinander zu foltern, ist genauso böse wie die Exekution von unschuldigen Leuten, um ein politisches Statement abzugeben (so wie das der IS macht). Es ist jedoch auch hilfreich zu verstehen, welche Rolle die US-amerikanische Außenpolitik bei der Erschaffung eines Umfelds gespielt hat, in dem Menschen mit bösen Absichten die Möglichkeit haben, die anti-amerikanische Stimmung auszunutzen. So können wir es genau diesen Menschen in Zukunft nämlich erschweren, weiter so vorzugehen.

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In anderen Worten: Indem man den gesellschaftspolitischen Kontext des Terrorismus untersucht, hilft man Politikern dabei, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um in Zukunft bessere Entscheidungen treffen zu können. Hier ein weiteres wichtiges und aktuelles Beispiel: Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die wichtigsten Anführer des Islamischen Staats während des desaströsen und verhängnisvollen Kriegs gegen den irakischen Diktatoren Saddam Hussein (der früher sogar mal ein Alliierter der USA war) in einem US-amerikanischen Gefängniscamp kennengelernt haben.

Die Islamische Revolution im Iran wurde durch die Wut auf den Schah und dessen Unterdrückung des eigenen Volks in Gang gebracht. Diese Unterdrückung wurde indirekt durch die USA gefördert, indem sie das Regime des Schahs politisch unterstützten und sogar einen Staatsstreich gegen das einzige demokratisch gewählte Staatsoberhaupt des Landes auf den Weg brachten, weil dieses Staatsoberhaupt die iranische Ölindustrie verstaatlichen wollte. Die amerikanische Befürwortung der brutalen Schah-Diktatur brachte viele Iraner dazu, sich gegen die westliche Welt zu wenden und irgendwann hinter die islamische Regierung zu stellen, die von den politischen Oberhäuptern des Westens immer noch verteufelt wird. Eine Fraktion dieses Regimes rief dann im Libanon auch die Terrorgruppierung ins Leben, die meinen Vater entführte und sieben Jahre später wieder zu mir nach Hause schickte—und zwar mit psychologischen Schäden, die ich damals noch gar nicht verstehen konnte.

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Wenn man die anti-amerikanische Stimmung in dieser Region der Erde verstehen will, dann ist der Kontext essentiell. Außerdem muss man die Darstellung des Islam in den Medien mit einbeziehen. Es gibt noch viele weitere Beispiele, aber es ist so gut wie unmöglich, die dahintersteckende Komplexität zu begreifen, wenn uns in den Medien quasi ausschließlich furchterregende Szenen von Enthauptungen, schwarzen Flaggen und brennenden Gebäuden gezeigt werden.

Und genau diese mediale Darstellung lässt viele Menschen glauben, dass der Islam das eigentliche Problem ist.

Der 71-jährige Leonard Debello hat Anfang des Jahres wohl damit gedroht, den Muslim Rabie Ayoub sowie dessen Familie umzubringen

Zu diesen Menschen gehört auch Leonard Debello aus dem US-Bundesstaat Missouri. Im Februar zückte der 71-Jährige Berichten zufolge eine Waffe und drohte damit, den Muslim Rabie Ayoub sowie dessen Familie zu erschießen. Bei Ayoub handelt es sich um einen Immigranten, der mit 16 Jahren vom Libanon in die USA gekommen ist. Wie der Zufall so will, ist Ayoub in dem massiv verarmten und gefährlichen "Ain el-Hilweh"-Flüchtlingslager für Palästinenser großgeworden, wo auch ich sehr viel Zeit verbracht habe. Dieser unglaublich traurig stimmende Ort wird vor allem durch die in Lumpen gekleideten Kinder sowie die mit Maschinengewehren bewaffneten Jugendlichen geprägt—man muss hier wohl kaum erwähnen, dass es sicherlich nicht leicht ist, dort aufzuwachsen.

Laut Ayoub waren er, seine Frau und seine vier Kinder schon fast zu Hause, als sich Debello dem Auto der Familie näherte.

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"Plötzlich stand da dieser Typ und fragte und schreiend: 'Seid ihr Muslime? Seid ihr Muslime?'", erinnert sich Ayoub am Telefon. "Meine Frau trug ein Kopftuch. Ich antwortete: 'Ja. Worum geht's?' Ich machte mir in diesem Moment auch noch gar keine Gedanken. Dann kam er direkt zu unserem Auto und meinte: 'Ihr Muslime solltet alle sterben.' Daraufhin sagte ich: 'Warum sagen Sie so etwas? Ich habe Ihnen nichts getan. Ich kenne Sie ja nicht mal.' Er: 'Ich hole jetzt meine Waffe und werde dann dich, deine Frau und deine Kinder erschießen.' Er ging in sein Haus und ich war vor Schock wie gelähmt. In solchen Situationen weiß man gar nicht, was man sagen oder tun soll, weil einfach alles so bizarr anmutet. Er kam dann tatsächlich mit einer Waffe zurück. Ich fragte ihn, was er da macht. Er meinte nur: 'Der Staat stattet Leute wie mich mit Waffen aus, damit wir Leute wie euch umbringen können. Wir müssen unser Land von Menschen wie euch befreien.'"

Es ist jedoch nicht immer einfach, auf die Ungenauigkeit der medialen Darstellung vom Islam hinzuweisen—vor allem nicht im Umfeld der modernen USA.

Ayoub fügt noch hinzu, dass er dann nur noch sein Handy aus der Tasche holte und ein Foto vom bewaffneten Debello machte. Anschließend fuhr er ein Stück weiter, rief die Polizei und wartete auf das Eintreffen der Beamten.

"Als die Polizei dann kam, saß der Typ einfach nur vor seinem Haus, als ob nichts geschehen wäre. Sie ließen ihn nicht mal aufstehen. Er blieb weiter in seinem Schaukelstuhl sitzen, während er mit den Beamten redete. Deswegen holte ich die Polizisten dann auch zu mir und erzählte ihnen, dass ich ein Bild davon hätte, wie er uns mit einer Waffe bedroht. Daraufhin sind sie in sein Haus gegangen und haben dort drei Waffen gefunden—ein Maschinengewehr und direkt neben der Tür zwei Pistolen. Dann redeten sie noch mal mit ihm, beschlagnahmten die Waffen und ließen die Handschellen klicken. Er musste sich jedoch nicht mal auf den Rücksitz setzen. Ich fragte: 'Was ist denn hier los? Ist das ein Fünf-Sterne-Polizeiauto?'"

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"Er wurde bereits am darauffolgenden Tag wieder freigelassen", fährt Ayoub fort. "Keine Kaution, nichts. Er lebt immer noch in meiner Nachbarschaft. Ich habe ihn auch direkt wiedergesehen—als meine Kinder in den Schulbus stiegen, ist er an uns vorbeigefahren. Da meinte ich zu mir: 'Nein, so kann ich das nicht enden lassen. Er hat meine Kinder für ihr Leben gezeichnet.' Und so habe ich mich sowohl an die Medien als auch an das FBI gewandt."

Weil dann über den Zwischenfall berichtet wurde und sich das FBI eingeschaltet hat, wurde Debello schließlich für den gesetzwidrigen Gebrauch einer Waffe mit diskriminierender Intention angeklagt. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen und ein Sprecher der zuständigen Polizeibehörde schrieb als Antwort auf meine Bitte nach einem Kommentar: "Die Polizeibeamten reagierten auf den Notruf, begannen mit ihren Ermittlungen und nahmen den Verdächtigen schließlich in Gewahrsam. Der Fall wurde dann an das Büro des Staatsanwalts weitergeleitet, um die Anklagepunkte festzulegen."

Eine Analyse der Umstände und des Kontexts von globalem Terrorismus hilft jedoch nicht nur dabei, die gleichen politischen Fehler nicht noch einmal zu begehen, sondern schützt auch vor Unwissenheit und Engstirnigkeit. Der Religionswissenschaftler und Autor Reza Aslan hat im Laufe seiner Karriere schon viel Zeit damit zugebracht, mit weit verbreiteten Fehlvorstellungen zum Thema Islam aufzuräumen. Ihm zufolge ignoriert die Medienberichterstattung bei von Muslimen ausgeführten Terroranschlägen die Fragen zum Kontext komplett—bei Gewalttaten von Menschen mit einem anderen Hintergrund ist hingegen das genaue Gegenteil der Fall.

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"Wenn es sich beim dazugehörigen Glauben nicht um den Islam handelt, dann sind die Leute viel gewillter, über all die anderen Faktoren nachzudenken, die das Handeln eines Menschen beeinflussen", erklärt mir Aslan. "Hier ein Beispiel: Als Robert Dear damals in einer Abtreibungsklinik Amok lief, weil er sich als gläubigen Christen ansieht und laut eigener Aussage 'ungeborene Babys' retten wollte, diskutierte man lang und breit über seinen Hintergrund, seine Kindheit, seine psychische Gesundheit und seine Beziehung zu seinen Eltern. Das ist auch richtig so, aber sein Glaube spielte bei diesen ganzen Analysen und Diskussionen kaum eine Rolle. Wenn jedoch ein Muslim im Namen des Islam eine Gewalttat begeht, dann wird jeder Faktor, der bei dieser Gewalttat eine Rolle spielen könnte, von einer einzigen Sache überschattet, nämlich der Religion."

"74 Prozent der US-Strafverfolgungsbehörden sowie das FBI und das Heimatschutzministerium sagen, dass die größte Bedrohung für US-Amerikaner vom rechtsextremen Terrorismus ausgeht", fährt Aslan fort. "Der Anschlag von San Bernardino war unglaublich schlimm, aber gleichzeitig auch die 355. Massenerschießung im Jahr 2015. Die Bedrohung, die vom islamischen Terrorismus ausgeht, wird vom tatsächlich ausgeführten rechtsextremen Terror komplett in den Schatten gestellt. Und trotzdem fokussieren sich gut 98 Prozent der Medien nur auf den muslimischen Terrorismus. Es ist schon fast absurd, wie diese Bedrohung künstlich aufgeblasen wird. Ich will damit natürlich nicht sagen, dass islamischer Extremismus überhaupt keine Bedrohung darstellt, aber in Bezug auf die USA hat der Terrorismus von rechts eben schon viel mehr Menschen das Leben gekostet."

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Es ist jedoch nicht immer einfach, auf die Ungenauigkeit der medialen Darstellung vom Islam hinzuweisen—vor allem nicht im Umfeld der modernen USA. So ist Aslan für seine Arbeit schon mehrfach ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Zu seinen Kritikern gehören unter Anderem Pamela Geller und der YouTuber David Pakman, der schon mehrere Episoden seiner Show darauf verwendet hat, Aslan in Frage zu stellen und dessen Argumente auseinanderzunehmen. Aslan hat zum Beispiel beim Fernsehsender CNN gesagt, das Genitalverstümmelungen bei Frauen kein (wie häufig angenommen) muslimisches, sondern ein zentralafrikanisches Problem seien. Diese Aussage wurde von PolitiFact auch als "weitestgehend wahr" eingestuft. Pakman präsentiert in seiner YouTube-Show jedoch eigene Statistiken, die Aslans Aussagen zu widerlegen scheinen. Wie soll der Zuschauer nun entscheiden, welche Perspektive die richtige ist? Da Genitalverstümmelungen für 80 Prozent aller Muslime überhaupt nicht relevant sind, finde ich es jedoch sehr wichtig, hier klarzustellen, dass die brutale Zerstörung der weiblichen Genitalien kein weit verbreiteter muslimischer Brauch ist, denn ich will die allgemeine Unwissenheit und Engstirnigkeit nicht fördern.

"Jeder von uns könnte einen YouTube-Channel anlegen und dort dann einfach drauflos reden—und dabei jegliche Belege, Statistiken, Fakten und unabhängige Analysen ignorieren", meint Aslan. "Das ist nunmal die Magie des Internets: Dort kann jeder wie ein Experte auftreten. Das Echo dieser Angst vor Muslimen verhilft den Nachrichtensendern zu enormen Einnahmen und spielt der Rhetorik von Politikern in die Hände, die sich diese Angst zu Nutze machen, um auf Stimmenfang zu gehen. Das Ganze ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich gesehen extrem profitabel."

Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Albuquerque, New Mexico | Foto: imago | Agencia EFE

Islamophobie mag vielleicht profitabel sein, aber sie hat auch immer gefährlichere Folgen für Muslime. Ayoub erzählt mir zum Beispiel davon, wie er und seine Familie durch die Begegnung mit Debello traumatisiert wurden und sie sich selbst als US-Staatsbürger in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher fühlen.

"Ich will nicht, dass meine Kinder das durchmachen müssen, was ich im Libanon gesehen habe", meint er. "Ich wurde Zeuge, wie in Ain el-Hilweh zwei junge Menschen umgebracht wurden. Einer von ihnen war dabei erst 16, der andere 21 Jahre alt. Sie hatten niemandem etwas getan. Sie waren einfach ganz normale Schüler und wurden getötet. Die Nachrichtensender haben Debello interviewt und dabei gesagt, dass er ein Kriegsveteran sei und unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden würde und so weiter. Ich sagte daraufhin: 'Er soll einfach mal zwei Tage in meinem Heimatland verbringen, dann werden wir schon sehen, wie stark seine posttraumatischen Belastungsstörungen wirklich sind.' Ich meine, wir werden mit solchen Leiden geboren und sie sind auch hier noch unser ständiger Begleiter."

Stell dir doch mal folgendes Szenario vor: Wir schreiben das Jahr 2050. Ein Schulkind nimmt ein Geschichtsbuch in die Hand und informiert sich über die USA um das Jahr 2016 herum—also eine Ära, in der mögliche Präsidentschaftskandidaten Muslime dazu zwingen wollten, besondere Ausweise zu tragen, oder die Überwachung von Gegenden forderten, in denen vorwiegend Muslime lebten. Dieses Schulkind liest dann, dass Muslime in den USA Flugzeuge verlassen mussten, nur weil sie ihre Muttersprache gesprochen haben, und dass ihnen mit vorgehaltener Waffe mit dem Tod gedroht wurde—und das nur aufgrund ihres Glaubens.

Wie wird dieses Schulkind deiner Meinung nach dann über die USA und unsere Gesellschaft denken?

"In den Nachrichten werden Muslime völlig falsch dargestellt", meint Ayoub zu mir. Seine Stimme ist dabei wie von Bitterkeit erfüllt. "Nie wird gezeigt, wie Muslime wirklich sind und wie viele von uns getötet werden."

"Wenn ich jemanden bedrohen würde—egal ob nun mit Waffe oder ohne, dann würde man mich wohl zuerst erschießen und erst dann Fragen stellen", sagt er abschließend. "Wenn eine weiße Familie bei der Polizei angerufen und gesagt hätte, dass sie von einem bewaffneten Araber bedroht wurde, dann wäre das alles mit Sicherheit ganz anders verlaufen."