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Serienbunker

Innovation und die grenzenlose Dummheit des Fernsehpublikums – was wir von Stefan Raab lernen können

Nach 22 Jahren beendet Deutschlands größter Entertainer seine TV-Karriere. Was bleibt—und warum Böhmermann und Co. nicht in seine Fußstapfen treten werden.

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Stefan Raab hört auf. Mit allem. Nach 22 Jahren Dauerpräsenz—angefangen bei VIVA, geendet als allmächtiger Show-Mastermind, dessen Formate die deutsche Fernsehlandschaft in den letzten zehn Jahren prägten und dominierten wie die keines anderen—soll Ende 2015 Schluss sein. Ein Schritt, der fast schon zu spät kommt, könnte man argumentieren. Insbesondere seine Stammsendung TV Total wirkte in den vergangenen Jahren nur noch zahnlos. Und das mit einem Host, dessen Gebiss das seiner Late-Night-Konkurrenten und Gäste immer überstrahlte.

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Stefan Raab hat viel für die deutsche Medienlandschaft getan, sie mit innovativen Konzepten à la Schlag den Raab international konkurrenzfähig gemacht und humoristisch, so platt man seine Witze auch finden mag, oft genug den Nagel auf den Kopf getroffen. Deswegen werden wir ihn trotz allem vermissen, den ausgebildeten Metzger, der sich als Harald Schmidt für die Arbeiterklasse eine goldene Nase verdiente. Auch, weil er uns wichtige Lebenslektionen mit auf den Weg gegeben hat.

Bereichere dich an der Dummheit anderer

Darauf warten, dass irgendjemand etwas Dummes tut, um anschließend lachend mit dem Finger auf ihn zu zeigen und ihn öffentlich vorzuführen. Eigentlich ist es genau das, womit Stefan Raabs Karriere erst so richtig in Fahrt gekommen ist. Versprecher in der Tagesschau, Highlights aus Kuppelshows wie Bauer sucht Frau oder obskure Perlen aus Talkshows: TV Total hatte sie alle und war sich nie zu fein dafür, einen Clip auch Wochen später noch willkürlich einzuspielen. Raab war das garstige Gedächtnis der deutschen Fernsehlandschaft, wurde dafür ebenso gefürchtet wie verehrt und warf mehr als einmal die Frage auf: „Darf er das überhaupt?" Aus der Tonspur einer unglückseligen Gerichtsshow-Teilnehmerin machte er sogar einen Nummer-Eins-Hit. „Maschen-Draht-Zaun".

Das, zusammen mit den immer wieder aufkommenden Vorwürfen, dass insbesondere junge Menschen bei Umfragen zu politischen oder geografischen Themen bewusst vorgeführt werden sollen, ist moralisch sicherlich fragwürdig. Andererseits schien Raab schon immer genau zu wissen, was der Markt will. Und die Massen sind nun einmal grausam—wie damals im alten Rom.

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Nichts ist bescheuert genug, um es nicht mal auszuprobieren

Stock Car Challenge, Wok-WM, in Disko-Outfits mit einem Song namens „Wadde hadde dudde da?" zum Eurovision Song Contest fahren und den fünften Platz holen—was anderen im Suff einfällt und dann bierprustend weggelacht wird, macht Stefan Raab einfach. Und wird dabei stinkend reich. Tatsächlich ist das auch eine der großen Sachen, die man dem Entertainer nicht absprechen kann. Er hat Ideen und er setzt sie um. Gegen alle Konventionen, gegen alles, was sich zuvor als erfolgreich erwiesen hat oder eben nicht. Während andere Sender die dutzendste Quiz-Show wiederauflegen oder ein Berlin Tag & Nacht Ableger nach dem nächsten geplant wird, stampft Raab den Bundesvision Song Contest aus dem Boden oder schickt breit grinsend C-Promis zum Turmspringen. Egal was er sich ausdachte, auf die ein oder andere Art hat alles funktioniert. Was uns direkt zum nächsten Punkt bringt.

Aussehen ist nur wichtig, wenn du nichts kannst

Zugegeben: dieser Punkt ist ein bisschen unfair gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Tatsächlich spielt es bei Frauen in der Fernsehbranche immer eine relativ große Rolle, ob sie nach allgemein gängigen Maßstäben attraktiv sind oder nicht. Fakt ist aber: Je mehr sich dein TV-bezogenes Schaffen nicht nur auf Dinge vom Teleprompter ablesen und vorbereite Feel-Good-Fragen an Studiogäste bezieht, umso weniger wichtig ist es, dass du aussiehst wie aus einem H&M-Katalog. Stefan Raab, der ausgebildete Metzger, hatte immer irgendetwas leicht bräsiges. Das Haar kurz, bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich in T-Shirt und Hemd unterwegs—das einzige, was optisch in irgendeiner Weise herausstach, waren seine unendlich vielen Zähne. Raab ist niemand, der Seriosität ausstrahlt, und trotzdem bekam er ein eigenes Polit-Format zur deutschen Bundestagswahl (Absolute Mehrheit) und moderierte Das TV Duell—Merkel gegen Steinbrück.

Raab wirft sich in einen Glitzeranzug und wird beim Bundesvision Song Contest nicht von der Bühne gebuht. Raab triumphiert gegen seine körperlich gestählten Konkurrenten in Schlag den Raab, rettet Jürgen Drews Karriere mit „Ein Bett im Kornfeld" und schien lange Zeit als Universalantwort auf jegliche Art von Quotentief. Weil er kreativ ist, keine Angst davor hat, neue Wege zu gehen und als ehemaliger Songwriter und Jingle-Komponist auch musikalisch so viel Ahnung von dem hat, was er da tut, dass seine Aktionen eben nicht nur billige Witze sind, die funktionieren, weil Fernsehzuschauer dumm sind und über alles lachen, was ihnen krawallig genug präsentiert wird.

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Du kannst auch als Star deine Privatsphäre wahren

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Umso überraschender ist es nach all den Jahren im Showbiz, den unzähligen Formaten, Musikvideos, aufgezeichneten Extremsituationen bei sportlichen Wettkämpfen, in denen man ihn gesehen hat, dass wir eigentlich so gar nichts über Stefan Raab wissen. Er hat zwei Töchter, ein angefangenes Jura-Studium und eine abgeschlossene Metzgerausbildung. Er war Musiker, bevor er Moderator wurde und ist so verdammt ehrgeizig, dass das interessanteste an seinen Wettbewerbssendungen eigentlich immer sein fast schon psychotischer Siegeswille war. Und das war es dann eigentlich auch schon. Stefan Raab besitzt eines der bekanntesten Gesichter Deutschlands, trotzdem gibt es keine dreckige Wäsche oder kaum private Fotos von ihm. Er trennt zwischen Fernsehpersönlichkeit und seinem Leben abseits der Kameras. Andere Stars teilen ihr Leben über Instagram oder Twitter, der Kölner zeigte sich immer überraschend wenig internetaffin.

Noisey: Früher war alles schlechter. Außer Stefan Raab. Der war besser.

Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass er in der letzten Zeit irgendwie immer müder wirkte. Das Fernsehen ist nicht mehr der mediale Dreh- und Angelpunkt der jungen Generation. Wenn Jan Böhmermann, die neue große TV-Hoffnung, sich in seiner Sendung über YouTube-Manager echauffiert, dann macht er sich nicht über die Untiefen des Fernsehprogramms lustig, sondern seziert das Medium, das früher oder später der Tod der alteingesessenen TV-Landschaft sein wird. Vielleicht ist in so einer Welt kein Platz mehr für die ganz großen Showmaster, die in Dimensionen denken, die ein Millionenpublikum voraussetzen, um funktionieren und sich natürlich auch finanzieren zu können. Deswegen kann womöglich auch niemand–auch nicht seine ProSieben-Kollegen Joko und Klaas—in Stefan Raabs Fußstapfen treten: Sie sind einfach zu groß.

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