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Sex

Was zur Hölle geht eigentlich in ‚Spectre‘ ab?

Sex, Gewalt und schicke Autos—der neue James Bond ist ein filmgewordener feuchter Traum. Nur Sinn ergibt er leider nicht.
Screenshot von YouTube aus dem Video ‚JAMES BOND 007 – Spectre | Trailer #2‘ von vipmagazin

Spectre beginnt genau so, wie man sich einen guten James Bond vorstellt—bis auf die ziemlich enttäuschende Titelsquenz zu diesem echt furchtbaren Schnulzen-Song, der mehr „1,95-Euro-Rotwein zur neuen Lana del Rey-Platte" als „Martini—geschüttelt, nicht gerührt" sagt. Daniel Craig legt halb Mexico City in Schutt und Asche, nachdem er eine rassige Schönheit in Reizwäsche auf später vertröstet hat ,und während man sich als Frau noch fragt, ob man lieber Bondgirl oder Bond selbst wäre, knutscht er schon mit der nächsten (Monica Bellucci, in meinen Augen immer noch die schönste Frau der Welt) rum.

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Alles wie immer also, könnte man meinen, doch ziemlich schnell kippt Sam Mendes' aktuellster Streifen von „Bond entkommt auch der aussichtslosesten Situation"-absurd zu „wollt ihr mich verarschen?"-absurd. Spätestens dann nämlich, wenn er sein wahres Bondgirl (Dr. Madeleine Swann) trifft und sich seiner absoluten Nemesis, Franz Oberhauser, stellen muss. Versteht mich nicht falsch: mit ein bis zwei Flaschen Wodka macht der Film bestimmt trotzdem unfassbaren Spaß, es gab da aber trotzdem zu viele Szenen, über die wir uns ein bisschen geärgert haben.

(Spoiler. D'uh.)

  • Ist es nicht ein bisschen dumm, beim Kapern eines feindlichen Helikopters auf den Piloten einzudreschen? Irgendjemand muss den Vogel doch in der Luft halten, während man sich mit seinem tatsächlichen Eliminierungsziel prügelt.
  • Darf man Menschen einfach ungefragt irgendwelche Tracking-Moleküle in die Blutbahn injizieren? Selbst wenn man Agent ist, muss vor solchen Sachen doch bestimmt irgendeine Art von Einverständniserklärung unterschrieben werden?
  • Wenn James Bond Monica Bellucci durch das Töten der Auftragsmörder wirklich nur fünf weitere Minuten Lebenszeit geschenkt hat, weil dann die nächsten Killer vor der Tür stehen—ist es dann nicht ziemlich sicher, dass sie sofort getötet wird, sobald er sie im Bett zurücklässt und geht? Egal, wen er angerufen hat? Und wenn nicht, was hat er zu seiner Kontaktperson am Telefon gesagt? „Rette die schöne Witwe." - „Ist sie eine wichtige Zeugin und muss deswegen geschützt werden?" - „Nein, eigentlich weiß ich schon alles von ihr, was ich wissen muss. Außerdem habe ich eben mit ihr geschlafen und muss jetzt los." - „OK." ?

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  • Ergibt es wirklich Sinn, ein sehr geheimes Treffen einer sehr geheimen Geheimorganisation in einem riesigen palastähnlichen Bau mitten in Rom abzuhalten, vor dem Dutzende extrem teure Sportwagen stehen? Da wäre ein samstagnachmittägliches Treffen bei Primark ja konspirativer gewesen.
  • Wenn Spectre eine unfassbar mächtige Organisation ist, die Zugriff auf sämtliche Daten hat—wie kann es dann sein, dass sie James Bond immer hinterher hetzen müssen? Sie müssten doch ganz genau wissen, wo er sich aufhält, was er plant, wo er hinwill und wie man ihn am besten ausschaltet? Sie scheinen diese ganze Überwachungssache bei ihm nur ein einziges Mal zu nutzen, und zwar um M. ein Telefongespräch zwischen Bond und Moneypenny vorzuspielen.
  • Apropos: Hätte man die Parallelen zur „Datenkrake" Facebook und der aktuellen Diskussion um Privatsphäre und Geheimdienstüberwachung eigentlich nur dadurch noch offensichtlicher machen können, wenn Bond Madeleine Swann durch ihre Instagram-Selfies ausfindig gemacht hätte?
  • Spielt Christoph Waltz jetzt nur noch eine Rolle und wenn ja: Wann wird einem Filmemacher auffallen, dass dieses slapstickmäßige nicht immer passend ist? Wenn es um Krebs geht?

Auf der Suche nach dem kleinwüchsigen James Bond der Philippinen.

  • Wer ist eigentlich dieser grobschlächtige Typ, der Bond über den Großteil des Filmes verfolgt und sich seinen spektakulären Finishing-Move von Game of Thrones abgeguckt hat? Man erfährt weder seinen Namen noch seine Motivation.
  • An welchem Punkt ihrer unfassbar zeitsensiblen geheimen Mission haben sich Bond und seine Alte diese superfeschen Klamotten gekauft, in denen sie im Speisewagen dinieren? Liefert Zalando auch in geheime Unterschlupfe?
  • Was genau ist eigentlich das Ziel von Spectre? Sie führen Attentate in der ganzen Welt aus, um die Politik dazu zu zwingen, ihren Überwachungssystemplan abzuzeichnen … und dann? Verkaufen sie extrem personalisierte Werbung an Amazon und Douglas?
  • Wie heißt die Haltestelle im Nirgendwo, an der James Bond und seine Alte den Zug verlassen? „Supergeheimes Hauptquartier von dem Typen, der die ganze Welt kontrolliert"?

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  • Wieso tun Oberhauser und seine Handlanger so, als hätten sie die ganze Zeit sehnsüchtig auf das Eintreffen von Bond und Dr. Swann gewartet? Offensichtlich haben sie noch wenige Minuten zuvor alles dafür getan, dass die Beiden auf der Zugfahrt dahin umkommen.
  • Kam es in einem Actionfilm eigentlich jemals zu der Szene, dass einer Protagonistin das Kleid nicht gepasst hat, dass ihr der Oberbösewicht für einen speziellen Anlass (in aller Regel ihren geplanten Tod) herausgelegt hat? Und wer hätte das Kleid getragen, wenn das Bondgirl, wie geplant, auf dem Weg zur Zentrale umgekommen wäre? Christoph Waltz' Perserkatze?
  • James Bond heult die letzten drei Filme einer Frau hinterher und wirft plötzlich sein ganzes Leben über den Haufen, weil er einmal mit einer Blondine rumgemacht hat, die sehr gut Französisch spricht? Wird mittlerweile eigentlich nicht mal mehr versucht, diese Bondgirl-Liebesgeschichten irgendwie glaubwürdig erscheinen zu lassen?
  • Gab es irgendjemanden, der beim Lesen des Scripts dachte „Moment mal: Da ist dieser Typ, der für alles Leid in Bonds Leben verantwortlich ist und über allen Bösewichten der letzten Filme steht—sollten wir dieser Backstory-Sache nicht mehr als drei Halbsätze widmen? Er ist immerhin zusammen mit James Bond aufgewachsen!" Wenn ja, warum hat man nicht auf ihn gehört?

Ein Ex-MI5-Agent behauptet, der britische Geheimdienst wollte „Blackfacing" zur Moschee-Infiltration nutzen.

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  • Haben wir den Rest der Erklärung irgendwie überhört, oder ist die einzige Rechtfertigung des Oberbösewichts für all seine Taten wirklich, dass sein Ziehbruder James das Lieblingskind seines Vaters war? Ich meine, selbst James Bond klingt etwas ungläubig, als er fragt, ob das der Grund für den Mord an seinem Ziehvater ist—und der stellt nicht mal seine eigene wirre Storyline in Frage.
  • Als Christoph Waltz diesen Super-Hightech-Bohrer in Bonds Schädel einführt, um sein Gedächtnis zu löschen—warum funktioniert das nicht? Hat er den falschen Knopf gedrückt? Hat es irgendwas mit diesem schwülstigen Liebesscheiß („Ich werde dich nie vergessen!", frei nacherzählter O-Ton) zu tun, den Bond seinem blonden Girl ins Ohr flüstert? KANN LIEBE WIRKLICH ALLES ÜBERWINDEN? Auch neurologische Eingriffe?
  • Was wäre passiert, wenn Bonds Geheimagentenuhr wirklich nur eine ganz normale Uhr wäre, wie ihm von Q zu Beginn erklärt wird? Wie konnte er sicher sein, dass sie eigentlich eine Bombe ist?

Awwww. Wie kann man ihm bei diesem Gesicht böse sein? Screenshot von YouTube aus dem Video ‚JAMES BOND 007 – Spectre | Trailer #2' von vipmagazin

  • War der finale Monolog des zweiten Antagonisten, der das Sicherheitssystem auf politischer Ebene durchgeboxt hat, eine Persiflage auf finale Antagonistenmonologe in Actionfilmen? Wenn nicht: Wow.
  • Warum tötet James Bond am Ende seine beiden Entführer, wenn er dann doch sowieso das Gebäude betritt, in das sie ihn bringen wollten? Christoph Waltz WOLLTE ja, dass Bond ihm in dem Gebäude ungefesselt gegenübertritt, das Ganze hatte also so oder so keinerlei Auswirkungen auf das Finale.
  • Und wenn wir schon bei dieser Sequenz sind: Wann hat Franz Oberhauser die ganzen schwarz-weiß Fotos von Bonds ehemaligen Feinden und Wegbegleitern ausgedruckt und aufgehängt? Bevor oder nachdem ihm von seinen Angestellten eine Wundersalbe ins Gesicht geschmiert wurde, mit der auch dramatischste Augenverletzungen sehr schnell abheilen?
  • Kann man mit einer Pistole wirklich einen Hubschrauber abschießen oder ist das einfach einer dieser „Whatever. I'm James Bond, Bitch!"-Momente?
  • Wenn Oberhauser hinter wirklich allen negativen Erfahrungen in James Bonds Leben steckte, warum schmeißt der dann jetzt seine Agentenkarriere hin? Die wäre nach der Einbuchtung seiner Nemesis doch sicherlich ziemlich entspannt weitergelaufen.

Fazit: Weniger Liebe und Pseudo-Deepness, mehr rohe Gewalt und coole One-Liner bitte. Und fürs nächste Mal einen Titelsong, der nicht so klingt, als würden ihn Herzschmerz-Teenager beim Nägel lackieren hören.

Lisa ist eigentlich nur enttäuscht, dass Daniel Craig ihr immer noch keinen parfümierten Liebesbrief geschickt hat. Folgt ihr bei Twitter.