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Drogen

Wegen ein paar Gramm Gras: Bayrische Drogenfahnder gehen ordentlich ab

Ein zerstörter Mietwagen, ein abgehörtes Handy und gezogene Pistolen gegen vier Wochenendkiffer.
Symbolfoto, natürlich. (Foto: Imago/Christian Mang)

Vor ein paar Wochen wurde ich aufgrund einer kleinen Meldung in der Südwest-Presse hellhörig. In dem Baden-Württemberger Dorf Oberstotzingen bei Heidenheim hatten Polizisten aus dem bayrischen Neu-Ulm ein Auto mit jugendlichen „Rauschgiftschmugglern" gestürmt, die die unglaubliche Menge von sechs Gramm Gras geschmuggelt haben sollen. Doch wie bei so mancher Meldung hat die Zeit zum Nachhaken gefehlt, zumal Rambo-Style bei süddeutschen Drogenfahndern an der Tagesordnung ist.

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Als letzte Woche einer der Betroffen anrief und mir seine Sicht des Vorfalls schilderte, kamen mir ob der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme doch arge Bedenken. Die fünf Jungs im Alter von 18 bis 21 waren auf der Rückreise aus den Niederlanden und wussten nicht, dass die Polizei sie wegen ihres geplanten Holland-Trips wohl vorher schon observiert hatte. Sie waren aber nicht in Amsterdam, um Kilos zu schmuggeln, sondern um, wie so viele Jungs in ihrem Alter, fernab der repressiven Heimat im Coffeeshop mal einen drauf zu machen. Zwei der fünf hatten dann noch die tolle Idee, insgesamt dreieinhalb Gramm Gras (die Polizei sagt sechs) mit nach Hause zu nehmen. Kurz vor der Ankunft in heimischen Gefilden endete ihre Coffeefahrt abrupt.

Der Polizei-Pressesprecher hatte tags darauf gegenüber der Südwest-Presse erklärt, dass es sich bei den Beamten vor Ort nicht um Mitglieder eines klassischen Sondereinsatzkommandos gehandelt habe, sondern um Zivilbeamte der Kriminalpolizei, verstärkt durch Anti-Drogen-Kräfte, die auch zum Schutz ihrer Identität bei dem Einsatz Sturmhauben getragen hätten. Von Schusswaffen sei allerdings kein Gebrauch gemacht worden, weder von Seiten der Polizei noch durch die Insassen des Fahrzeugs. Da haben die fünf ja nochmal Glück gehabt, weiter südlich schießt man schon mal auf fliehende Betäubungsmittel-Täter.

Ich habe Jochen dann telefonisch gebeten, mir den Vorfall per E-Mail zu schildern und mir zusammen mit seinem Freunden ein paar Fragen am Telefon zu beantworten:

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„Am 30.08.15 fuhren Minh Thien D., Kevin H., David T., Felix K. und ich von Amsterdam nach Hause. In Oberstotzingen überholte uns 20 Meter vor einer Kreuzung ein silberner Mercedes. Im ersten Moment dachten wir alle, ,der hat es echt eilig'. Dann hielt der Wagen unvermittelt mitten auf der Kreuzung an und bremste uns aus. Ich dachte, dass er Streit sucht oder uns auf etwas hinweisen will. dann stieg ein Mann in Sturmmaske und Schutzweste aus. Er zog eine Pistole, rannte auf uns zu, stellte sich vor das Auto und schrie ,Hände Hoch!' und ,Aussteigen'. Er wies sich nicht als Polizist aus und auf der Schutzweste war kein Polizeisymbol. Im ersten Moment dachte ich, wir werden ausgeraubt und in dem Kaff auf offener Straße erschossen. Voller Panik verriegelte ich das Auto. Nach fünf Sekunden schlugen die Typen die linke hintere Scheibe ein und ich sah nur noch eine Faust mit einem Nothammer auf mein Fenster zufliegen. Als ich mein Gesicht reflexartig weg gedreht habe, flogen die Scheiben schon durch unser Auto. Danach öffnete ich die Tür und sah drei Pistolen auf mein Gesicht gerichtet. Drei der Männer gaben sich jetzt als Polizisten zu erkennen und schrien durcheinander ,Hände hoch', ,Hände aufs Dach', ,Keine Bewegung'. Ich schnallte mich ab, aber bevor ich aussteigen konnte, packte mich ein Polizist, zog mich aus dem Auto und drückte mich auf den Boden, der übersät mit Scherben war. Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, kam ein Polizist mit einer Videokamera und hat uns alle kurz gefilmt, wobei wir Name und Geburtsdatum sagen mussten. Alle fünf von uns lagen mit Handschellen in den Scherben auf dem Boden. Nach einer halben Stunde in den Scherben trugen sie uns auf einen Grünstreifen neben der Kreuzung. Drei von uns wurden dann relativ schnell in den Streifenwagen gesetzt. Felix K. und ich lagen jedoch eine dreiviertel Stunde mit den Handschellen in den Scherben. Insgesamt waren zehn Polizisten daran beteiligt, uns aus dem Auto zu holen. Danach wurden wir auf das Polizeipräsidium nach Neu-Ulm gebracht und verhört. Ich musste eine Urin- und Blutprobe abgeben. Die Polizei hat die Handys von David und Kevin behalten, weil sie bei David 0,5 Gramm Haschisch und bei Kevin drei Gramm Marihuana gefunden haben. Bei dem Mietwagen wurden alle vier Seitenscheiben zerstört. Die Polizei hat behauptet, sie habe uns abgehört, weil sie von jemand einen Tipp bekommen habe, dass wir Schmuggler seien. Im Verhör fragten sie öfter wo das halbe Kilo sei."

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VICE: Wisst ihr, wessen Handy abgehört wurde?
Jochen P.: Der Einsatzleiter sagte, dass mein Handy abgehört wurde. Ich hatte aber bisher noch nie Ärger mit der Polizei, auch nicht wegen Gras oder anderen Drogen. Das Handy von David wurde auch abgehört. Er ist als BTM-Konsument schon mal aufgefallen, aber mehr nicht.

Wer wurde verletzt?
Minh Thien hatte Schürfwunden am Gesicht, David ein geprelltes Knie und ich leide seit dem Vorfall unter Angstzuständen sowie Schlafstörungen. Ich befinde mich seit dem Vorfall in psychologischer Behandlung.

Habt ihr einen Anwalt?
David und ich sind bereits zu einem Anwalt, der auch Akteneinsicht beantragt hat.

Schon Post von der Staatsanwaltschaft oder von der Führerscheinstelle? Wisst ihr schon, was euch vorgeworfen wird?
Bis jetzt kam noch keine Anzeige und nichts von der Führerscheinstelle. Alle von uns hatten in ihrem Leben noch nie so eine Angst. Da stand jemand mit einer Pistole, der bereit war zu schießen. Wegen der dreieinhalb Gramm Gras, die Kevin und David dabei hatten.

Was ist mit dem Schaden am Auto?
Also bis jetzt haben wir von der Autovermietung noch keine Nachricht erhalten. Ich habe auch schon mal bei der Polizei nachgefragt. Die werden das nicht bezahlen.

Da die beiden Ertappten noch Heranwachsende sind, können sie in Baden-Württemberg kaum mit einer Einstellung des Verfahrens wegen Eigenbedarf rechnen. Spätestens dann wird sich auch klären, ob es sechs Gramm oder, wie die Jugendlichen versichern, nur 3,5 Gramm waren. Doch auch sechs Gramm Gras wären kaum ein Grund für ein so brutales Vorgehen. Nicht nur der Fahrer, sondern alle fünf könnten, sofern sie im Besitz einer Fahrerlaubnis sind, obendrauf noch eine Überprüfungsanordnung wegen des Verdachts auf BTM-Konsum bekommen. Gerade in Heidenheim ist man da nicht gerade zimperlich. Wenn man keine bekifften Autofahrer findet, macht man sich halt selbst welche. So wie der korrupte Heidenheimer Drogenfahnder, der vor vier Jahren mit Tipp-Ex rechtsmedizinische Gutachten so manipuliert hatte, dass diese über 1,0 ng/ml THC im Blut aufwiesen. So bearbeitete Gutachten führten damals in etlichen Fällen zur Verfolgung von Fahrzeuglenkern wegen Fahrens unter Drogeneinfluss. Im Zuge der damaligen Ermittlungen hatte man die ganzen Truppe der Heidenheimer Kifferjäger kurzeitig aufgelöst, um sie ein halbes Jahr später wieder loszulassen.

Der mehr als fragwürdige Erfolg der Einsatzkräfte ist starker Tobak für fünf Jungs, die nur mal übers Wochenende in Amsterdam feiern waren. Aber auch die Einsatzkräfte klagen über Verluste: Ein nicht gesicherter Dienstwagen rollte während der rabiaten Aktion rückwärts und schubste ein parkendes Motorrad um.


Titelfoto: Imago/Christian Mang