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Müssen sich deutsche Nudisten wegen eines Flüchtlingsheims anziehen?

Was sich wirklich hinter der 'Bild'-Schock-Geschichte verbirgt.
Foto: Aitor Méndez | Wikimedia | CC BY-SA 2.0

Das ist ein Drama, wie es nur das Jahr 2016 in Deutschland schreiben kann: Ein sächsischer FKK-Verein geht gerade auf die Barrikaden, weil seine Mitglieder glauben, dass man ihnen Badeklamotten vorschreiben will—was offenbar damit zusammenhängt, dass in unmittelbarer Nachbarschaft ihres Badestrandes ein Flüchtlingsheim entstehen soll.

Das ist zu viel für die Mitglieder des "Familiensport- und FKK-Bundes Waldteichfreunde Moritzburg e. V". Seit 111 Jahren, nämlich genau seit 1905, genießen Freunde des unverhüllten Fleisches an ihrem eigenen Badestrand die sächsische Sonne auf ihren sächsischen Körpern. Aber jetzt ist ein Schatten über das nackte Idyll gefallen. Die FKKler sollen sich anziehen, findet ein herzloser Funktionär angeblich. Wie konnte es dazu kommen?

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Angefangen hat es wohl mit der Nachricht, dass ein Flüchtlingsheim in die unmittelbare Nachbarschaft des FKK-Strands in Volkersdorf im Dresdner Umland einziehen soll. Als das bekannt wurde, baten die Waldteichfreunde den Landkreis um Geld, um einen Sichtschutz zu errichten—in Anbetracht der kulturellen Schockwellen, die ein entblößter sächsischer Seniorenkörper bei einem Bürgerkriegsflüchtling auslösen könnte, könnte das eine durchaus vernünftige Lösung darstellen.

Und jetzt der Affront, wie ihn Focus Online und Bild.de darstellen: Die "Deutsche Gesellschaft für Badewesen" habe den FKKlern stattdessen einen Satz Schwimmbadregeln zugeschickt, behauptet Focus. (Bei Bild heißt es etwas vager, die Regeln "wurden" geschickt, von wem, steht dort nicht.) "Die Benutzung des Schwimmbads ist nur in Badebekleidung erlaubt", zitieren beide diese Badeordnung. Die FKKler haben das offenbar so verstanden, dass sie jetzt selber nur noch in Badebekleidung ins Wasser gehen dürfen, und weigern sich, diese Regeln auf ihrem Gelände auszuhängen. Will hier also wirklich ein herz- und gesichtsloser Dachverein eine hundertjährige Nackt-Tradition auslöschen, um irgendwelche Befindlichkeiten der Flüchtlinge zu schützen? Gehört das Nacktbaden denn nicht zu den schützenswertesten Werten, die das Abendland überhaupt so zu bieten hat? Verhängen die Muslime uns jetzt auch noch die letzte freie Falte?

Mitnichten. "Das ist totaler Quatsch", ärgert sich Dr. Joachim Heuser von der besagten Deutschen Gesellschaft für Badewesen. Die Gesellschaft habe dem Verein nie irgendwas geschickt. Bei den zitierten Baderegeln handele es sich einfach um eine Sammlung von "Sicherheitshinweisen für Flüchtlinge in Bädern", die der Bäder-Verein auf seiner Webseite zum Download zur Verfügung stelle. "Wir wollten nur eine Hilfestellung geben, dass die Flüchtlinge sich in Bädern sicher bewegen", erklärt Heuser. Offenbar habe jemand in der Gemeinde oder im Landkreis sich dieses Blatt heruntergeladen und an den FKK-Verein geschickt. "Ich kann nicht verstehen, dass dieser FKK-Verein das jetzt so versteht, dass wir ihm vorschreiben, dass die sich Badehosen anziehen sollen, weil da Flüchtlinge daneben wohnen", wundert sich Heuser. "Das ist doch absurd." Wenn man sich das Original-Blatt auf der Seite der Gesellschaft mal anschaut, dann lautet die besagte Regel auch etwas anders: "Die Benutzung des Schwimmbads ist nur in Badebekleidung (keine Straßenbekleidung) erlaubt", steht da. Den Teil mit der Straßenbekleidung, der das Ganze natürlich sofort aufgeklärt hätte, haben sowohl Bild als auch Focus einfach unterschlagen.

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Irgendwo muss es also ein Missverständnis gegeben haben. Um das aufzuklären, haben wir natürlich auch direkt beim "Familiensport- und FKK-Bundes Waldteichfreunde Moritzburg e. V" angerufen. Leider gaben sich die Nackt-Bader am Telefon ausgesprochen zugeknöpft: Man wolle die Situation jetzt nicht mehr öffentlich kommentieren, rief ein aufgebracht sächselnder Moritzburger ins Telefon und legte auf. Offenbar sind die Wunden noch zu frisch.

Tatsächlich hätte die Bild das Ganze aber durchaus aufklären können, denn mit Dr. Heuser haben sie auch telefoniert. Der hat ihnen auch erklärt, dass seine Gesellschaft nie etwas mit diesem FKK-Verein zu tun gehabt hat. "Was in der Bild steht, ist eine völlig verkürzte und verdrehte Darstellung", sagt Heuser. "Uns ist doch völlig egal, wenn die da nackt rumlaufen, das ist doch was Schönes!"

Niemand hat also irgendjemandem verboten, nackt schwimmen zu gehen, weil ein Flüchtlingsheim in die Nachbarschaft kommt. Warum die Bild das trotzdem so aufschreibt? Weil die Leser sich dann mal so richtig schön empören können. "Was bedeutet Integration in diesem Land eigentlich?", schreibt einer, der dafür über 4.000 Likes bekommen hat. "Dass der Deutsche sich den Regeln seiner Gäste anzupassen hat?" Darunter pflichten ihm Hunderte bei: "Die kommen her und wollen das wir uns hier ändern? Da läuft doch was gewaltig schief." Tut es auch: Die Berichterstattung der Bild.


Titelfoto: Aitor Méndez | Wikimedia | CC BY-SA 2.0