Die Medien begannen, jedes kleine Detail über den nun berühmt-berüchtigten „Pharma-Bro" zu veröffentlichen. Die Washington Post brachte eine detaillierte Nacherzählung eines Tinder-Dates mit Shkreli; Gawker analysierte einen seiner letzten Livestreams vor seiner Festnahme; Vanity Fair schrieb ein Profil, das ihn als „den sichtbarsten Bösewicht der Wall Street" bezeichnete; andere Plattformen machten sich über die vergangenen Klagen gegen ihn her, darunter eine, in der behauptet wurde, er habe eine ehemalige Mitarbeiterin belästigt. Shkreli sagt, ein Journalist vom New Yorker—der anscheinend herausgefunden hat, dass Shkreli auf Bands wie Thursday, Brand New und New Found Glory steht—liege ihm schon seit einiger Zeit damit in den Ohren, dass er mit auf eine Emo-Party kommen solle.„Ganz ehrlich, du könntest niemanden finden, der sagt: ‚Ja, dieser Typ hat mich um mein Geld betrogen.' Ist einfach nicht passiert." —Martin Shkreli
Er hatte auch andere Interessen, wie mit alten Männer in der öffentlichen Bibliothek Schach oder in einer Punkband namens Coney Island Whitefish (nach einem Joan-Jett-Song) Gitarre zu spielen. Shkreli erinnert sich, wie er hauptsächlich in die Highschool ging, um „mit Mädels abzuhängen und Gitarre und Basketball zu spielen", während er den Unterricht schwänzte. Ein ehemaliger Bandkollege beschreibt ihn als lustigen Faulpelz mit nur wenigen Freunden. Das Finanzwesen war schon immer sein Fixpunkt.Dann landete Shkreli 2000, noch vor seinem 18. Geburtstag, ein Bewerbungsgespräch bei Jim Cramer, der später als Börsenexperte die Finanzsendung Mad Money moderieren würde und damals noch einen eigenen Hedgefonds hatte. Shkreli arbeitete vier Jahre lang für ihn, während er am Baruch College studierte, und kam aus seiner Studienzeit als Blackberry tragender Partner in einer anderen Firma namens Intrepid Capital hervor.Shkreli erinnert sich, wie er hauptsächlich in die Highschool ging, um „mit Mädels abzuhängen und Gitarre und Basketball zu spielen", während er den Unterricht schwänzte.
Für das neue Projekt musste er Leute, die um einiges älter waren als er, dazu bringen, ihm große Geldsummen anzuvertrauen. Doch Shkreli hat ein überraschendes Talent dafür, Menschen für sich zu gewinnen. Er sagt, er habe seinen Atheismus heruntergeschluckt und sei nach Texas gereist, um an Gebetskreisen teilzunehmen, und einmal sei bei einer JP-Morgan-Konferenz aufgetaucht und habe laut Al Mann, einen Milliardär, dessen Firma intranasales Insulin entwickelt hat, herausgefordert. „Es ging so weit, dass der Alte versucht hat, draußen im Korridor mit Martin zu kämpfen", erinnert sich ein Freund, der an jenem Tag dabei war. „Man musste sie trennen." Der Stunt funktionierte jedoch, denn jeder musste einfach wissen, wer der Jungspund war, der sich traute, öffentlich mit einem Star der Branche zu streiten.MOTHERBOARD: Wie ein Sylter Senior mit einem geschmuggelten HIV-Medikament zum Millionär wurde
Shkrelis neue Firma war ein Erfolg, doch der Vorstand enthob ihn im September 2014 seiner Position als CEO. Im Dezember jenen Jahres gab es bereits zwei Klagen gegen ihn. Ein Mann behauptete, Shkreli kaufe und verkaufe die Aktien seiner eigenen Firma entgegen der Regeln der Börsenaufsichtsbehörde; weiterhin behauptete eine Gruppe von Investoren, er habe „Unregelmäßigkeiten" verursacht, indem er MSMB-Investoren Retrophin-Geld ausgezahlt habe. Die erste Klage wurde nach einem Monat abgewiesen. Doch in dem zweiten Rechtsstreit, der noch andauert und stark an die behördliche Strafanzeige erinnert, wird behauptet, Shkreli habe die Börsenaufsicht belogen, als er ihr mitteilte, MSMB Capital habe 2,6 Millionen Dollar, während die Bank- und Börsenkonten der Firma fast leer waren.Inmitten all dieser Geschehnisse enthüllte Shkreli im Februar 2015 sein nächstes Projekt, Turing Pharmaceuticals. Die Firma wurde mit drei Medikamenten gelauncht, die vorher Retrophin gehört hatten: ein Ketamin-Nasenspray für behandlungsresistente Depressionen, ein intranasales Oxytocin-Spray und ein Mittel gegen Bluthochdruck. Letzten August eignete sich Turing noch für 65 Millionen Dollar das Mittel gegen Toxoplasmose Daraprim an. Daraufhin erhöhte Shkreli den Preis von einem Tag auf den nächsten von 13,50 Dollar pro Tablette auf 750 Dollar. Shkreli behauptet, dies sei nötig gewesen, weil ein Medikament gegen etwas, an dem jährlich ein paar Hundert Menschen in den USA sterben, ansonsten keinen Profit abwerfe.„Wenn es jemanden gibt, der es verdient hat, reich zu werden, dann der Typ, der einem sterbenden Kind hilft." —Martin Shkreli
„Er sollte Würfelspiele im Casino spielen, anstatt zu behaupten, er würde etwas für die öffentliche Gesundheit tun." —Barry Werth
Wir kehren in seine Wohnung zurück, wo er eine Magnum-Flasche Bordeaux öffnet, die laut ihm 15.000 Dollar gekostet hat. Er rollt auf einem Hoverboard über seinen Vinylfußboden und nimmt dabei 120-Dollar-Schlucke. Nachdem ich mich auf dem Hoverboard furchtbar dumm angestellt habe und ihm beim Herunterfallen aufs Auge geschlagen habe, setzen wir uns und sprechen über seinen Alltag. Er ist nicht länger CEO von Turing (auch wenn ihm die Firma noch gehört) und wurde als Chef von KaloBios gefeuert. Was macht er also den lieben langen Tag?Shkreli sagt, er gehe ins Büro, spiele Schach, lese wissenschaftliche Fachbücher und sei entweder in seiner Wohnung, seinem Büro oder auf seinem Livestream zu finden. Aufgrund des bevorstehenden Gerichtsprozesses darf er sich nicht weiter entfernen als das vorstädtische Westchester County (wo er mit Freunden Silvester gefeiert hat). Auch in seinen Heimatbezirk Brooklyn fährt er selten. Während das Wu-Tang-Album im Hintergrund läuft, erzählt Shkreli, er schwanke zwischen dem Wunsch, die Platte zu zerstören, und dem Traum, damit an einem entlegenen Ort eine Installation zu machen, sodass die Leute eine Pilgerreise unternehmen müssten, um sie zu hören. „Ich bin nicht nur der Heel der Musikwelt", sagt er. „Ich will der Heel der ganzen Welt sein."Er erzählt mir außerdem, er wisse, dass der neu ernannte US Attorney Robert Capers ihn aufgrund seines Rufs zu seinem ersten großen Fall gemacht habe—auch wenn die Anklage wegen Anlagebetrug nichts mit Turing zu tun hat und die Ermittlungen schon begannen, bevor Shkrelis Name jedem ein Begriff war.„Das hier ist ihr verdammtes Rampenlicht", sagt Shkreli über die Behördenvertreter. „Das hier ist ihre Chance, Götter zu sein, ein Rockstar zu sein, oder was auch immer—gefeiert eben." (Eine hörbar verärgerte Sprecherin des US Attorney's Office in the Eastern District of New York lehnte es ab, für diesen Artikel einen Kommentar abzugeben.)Er fügt hinzu, es sei unmöglich, dass sein Vorgehen dem Schneeballsystem entspräche, immerhin hätten die Leute, die er mit Retrophin-Aktien entschädigt habe, auch Gewinn gemacht: „Im Grunde wurden Menschen möglicherweise getäuscht, sodass sie viel Geld verdient haben."Er hat einen ähnlichen Groll auf die Kongressabgeordneten, die ihn im Vorfeld ihrer Ermittlungen bezüglich pharmazeutischer Preistreiberei gebeten hatten, bei einer Anhörung auszusagen, die angesichts der heftigen Schneestürme im Osten der USA verschoben wurde. „Politiker werden gewählt, wenn sie sich die Bösewichte vornehmen", sagt Shkreli. „Und jemand hat sich gesagt: ‚Er hier ist der Bösewicht, also muss ich ihn mir vorknöpfen.'"Obwohl der Himmel sich aufgetan und ihm noch etwas Bedenkzeit geschenkt hat, ist noch immer unklar, ob er sich dafür entscheiden wird, dem Kongress seine Geschichte zu erzählen oder sich einer Missachtung des Kongresses schuldig zu machen.„Ich schätze, ich kann keine nette Art finden, das zu sagen: Es ist nicht mein Job, Leuten beizubringen, wie Medikamente funktionieren", sagt er mir. „Das klingt jetzt gemein, aber wenn sie das System nicht verstehen wollen, warum ist es dann an mir zu verstehen, wie ihr System funktioniert? Das sollte so nicht sein."Es wirkt aktuell unwahrscheinlich, dass Shkreli vor dem Kongress etwas anderes sagen wird, als dass er von seinem im fünften Verfassungszusatz verankerten Recht der Auskunftsverweigerung Gebrauch macht. So viel hat sein Anwalt immerhin schon mitgeteilt, und da zusätzlich zu dem Gerichtsverfahren auch noch die Verbraucher- und Wettbewerbsüberwachungsbehörde FTC gegen ihn ermittelt, wäre es wohl nicht besonders weise, wenn Shkreli den Strafverfolgern mehr Material liefert.Andererseits geht es hier um einen Mann, der reiche Menschen davon überzeugt hat, ihm Geld zu geben, der seine Geschäftsmethoden in sozialen Netzwerken verteidigt hat, als die ganze Welt ihn bereits für diese Methoden hasste, und der absolut jedem, der fragt—Fans, Feinde, Journalisten—stundenlang jede Frage beantwortet und das ganze System erklärt. Wenn er sich in Washington vor einem Publikum an ein Mikrofon stellt, wird er dann überhaupt die Klappe halten können?Alle Fotos von Bobby Viteri. Bald gibt es auf VICE.com auch noch ein Video-Interview mit Martin Shkreli.„Ich bin nicht nur der Heel der Musikwelt", sagt er. „Ich will der Heel der ganzen Welt sein."