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The Sprinkles of the Sandman Issue

Wer braucht schon die Fifa?

Vergesst die Bundesliga und die EM. Der VIVA World Cup ist die wichtigste Meisterschaft für Länder, die es eigentlich gar nicht gibt.

Das Gastgeberteam wurde von seinen kurdischen Fans grandios unterstützt / Fotos von Safin Hamid/metrography

In diesem Sommer verfolgte der größte Teil der westlichen Welt mit Spannung die Europameisterschaft 2012 sowie die Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft: schön gemütlich von zu Hause aus, voll klimatisiert und zu literweise Gerstensaft in die Sessel furzend. Doch in Darfur, Sri Lanka, Sansibar, Westsahara, Nordzypern, der französischen Region Provence und einer Handvoll anderer Orte richteten sich alle Augen auf Erbil, die Hauptstadt von Kurdistan-Irak, wo im Juni der fünfte VIVA World Cup stattfand. Dieser ist eine alle zwei Jahre vom Non-FIFA-Board (besser bekannt als NF-Board) ausgerichtete Fußballmeisterschaft und die wichtigste Meisterschaft für Teams, die vom internationalen Fußballestablishment nicht anerkannt werden. 27 der NF-Board-Mitglieder kommen aus autonomen Ländern, doch die Mehrheit repräsentiert staatenlose Nationen. Beim VIVA World Cup geht es, wie bei vielen anderen internationalen Meisterschaften, nach außen hin um Eintracht, Frieden und Verständigung, aber die Sportler sind zudem unglaublich stolz darauf, ihre Mikronationen und Regionen zu repräsentieren. Natürlich sind sich alle einig, dass solche Ideale ganz nett sind, aber der Sieg zählt doch viel mehr.

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Besonders beeindruckend war, dass Darfurs Flüchtlingsteam sich für die Meisterschaft qualifizierte (zwar verloren sie die ersten beiden Spiele mit insgesamt 33–0, erzielten aber immerhin einen Treffer gegen Westsahara). Im Finale schlug Kurdistan Nordzypern mit 2–1. Einen Monat nach dem Ende der Meisterschaft sprach ich mit Muhammed Askari, einem eingefleischten Kurdistan-Fan, und Mark Hodson, dem Cheftrainer von Darfur United, um herauszufinden, was sie von der Meisterschaft, Fußball und Nationalstolz halten.

Ein Kurdistan-Spieler beim Schuss gegen Darfur United

Muhammed Askari ist ein 26-jähriger Journalist aus Südkurdistan. VICE: Warst du aufgeregt, als Kurdistan Gastgeberland wurde?
Muhammed Askari: Aber klar! Ich glaube, alle Kurden waren total begeistert, Gastgeber zu sein und die anderen Nationen hier willkommen zu heißen. Dieses Jahr waren neun Teams dabei, mehr als je zuvor. Die meisten kamen aus Europa, aber als bekannt wurde, dass wir die Gastgeber sein würden, wussten wir, dass wir gewinnen müssen, vor allem, weil wir 2010 gegen Padanien verloren haben. Wie war die Stimmung während der Meisterschaft?
Alle Kurden waren euphorisch. Unser eigenes Team die Nationalhymne singen zu hören, unsere Nationaltrikots mit der Flagge darauf zu sehen und all das … das ist der Traum eines jeden Kurden. Ich persönlich bezeichne mich nicht als Iraker, und ich denke viele Kurden im Ausland—wir leben im Mittleren Osten in vier Ländern—fühlen genauso. Es ist wirklich zu schade. Glaubst du, das könnte der Anfang eines international anerkannten Kurdistan sein?
Es ist der Beginn von etwas ganz Großem für Kurdistan und für das Fußballteam. Ich selbst hoffe, dass die FIFA diese Gelegenheit nutzt, um Kurdistan bei internationalen Meisterschaften willkommen zu heißen, so wie im Fall von Wales, Schottland und Nordirland. Das hört sich doch ganz realistisch an.
Ja, Kurdistan ist anders als der Irak. Seine Bäume, Berge, Natur; der Irak ist nur eine Wüste. Wir freuen uns, dass wir die Meisterschaft ausgerichtet haben—wir lieben Besucher und Touristen. Kurdistan ist jetzt seit einigen Jahrzehnten eine unabhängige Region; wir haben unsere eigene Regierung und Sicherheitskräfte. Anders als unsere muslimischen Nachbarn haben wir keine bestimmte Religion. Wir sind sehr offen. Wie die Politik sich auf der Meisterschaft widerspiegelt, ist schon merkwürdig—einige Spieler des kurdischen Teams spielen doch auch für den Irak, richtig?
Also, Halgurd Mulla Mohammed, der, wie ich finde, der beste Spieler der Meisterschaft war, spielte auch für die irakische Nationalmannschaft. Und Khalid Mushir auch. Aber ich denke, es begeistert sie mehr, für Kurdistan zu spielen als für den Irak, und dasselbe gilt für die übrige Mannschaft. Sie spielten mit Leidenschaft, weil sie wussten, dass sie nie wieder die Gelegenheit haben würden, im eigenen Land für ihre Nation zu spielen. Sie haben die Fans im eigenen Land glücklich gemacht. Kurdistan, VIVA World Cup Champion 2012. Hört sich doch toll an, oder?
Danke, vielen Dank. Es war wie im Traum. Wir haben die Europameisterschaft und die Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft, die parallel stattfanden, gar nicht mehr verfolgt, nur diese Endrunden. Ehrlich gesagt, die meisten Kurden waren überzeugt, dass wir Nordzypern schlagen würden. Es war aber knapper, als wir dachten. Doch wir behielten die Nerven und haben gewonnen. Was kommt als Nächstes?
Ich denke, wir sind bereit, gegen stärkere Teams anzutreten, wie Mexiko und so. Wir haben in Europa Spieler in einigen Jugendmannschaften in Schweden und den Niederlanden. Ich denke, die FIFA muss den Schritt tun und Kurdistan als vom Irak unabhängiges Team zulassen. Obwohl natürlich auch viel vom Fußballverband im Irak abhängt und der Politik in der internationalen Fußball-Community. Ein traditioneller kurdischer Tanz bei der Eröffnungszeremonie

Mark Hodson ist ein in Kalifornien lebender, britischer Fußballtrainer, der Darfur United coachte. Wie bist du dazu gekommen?
Mark Hodson: Ich bin in England aufgewachsen, in der Nähe von Manchester, also habe ich mich schon immer für Fußball interessiert. Ich war anlässlich eines Traineraustausch-programms der Major League Soccer in Kalifornien und traf Gabriel Stauring. Er ist Mitgründer von i-ACT, der für das gesamte Projekt verantwortlichen NGO. Ich trainiere seine Kids in meiner Fußballschule, und kurz gesagt bin ich so an den Trainerauftrag für Darfur gekommen. Hast du dir das nicht zwei Mal überlegt?
Zuerst war ich total begeistert, dorthin zu reisen, aber dann dachte ich auch an die Gefahren dort—Darfur, Irak, Flüchtlingslager, du weißt schon. Ich hatte ein bisschen Angst, vor allem weil ich ja ein Unternehmen in Kalifornien habe und wegen meiner Familie, von der ich dann ja einige Zeit getrennt sein würde. Aber am Ende habe ich Ja gesagt, und ich bereue es nicht. Es war sicher ganz schön schwierig, das Flüchtlingslager zu erreichen.
Ja. Wir flogen nach Paris, dann Tschad, wo wir zwei Wochen auf die Bewilligung unserer Transitpapiere warteten. Nach diesen zwei Wochen flogen wir weiter in das Lager, Djabal, wo wir arbeiten sollten. Es lag mitten im Nirgendwo; die Landebahn war nur eine Schotterpiste und der Flughafen eine kleine Hütte. Wie bist du bei der Auswahl des Teams vorgegangen?
Es war, ehrlich gesagt, nicht einfach. Unser Plan war, uns 60 Spieler aus den zwölf Lagern östlich von Tschad zu holen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) unterstützte uns dabei, die jeweils fünf besten Spieler aus jedem Lager einzufliegen, und als sie in Djabal angekommen waren, brachten sie sie auch in Zelten unter. Gab es Probleme, alle auf eine Linie zu bringen, fußballtechnisch?
Schon allein die Gespräche sind beim Sport so wichtig, und du musst bedenken, dass es nicht nur zwischen den Trainern und der Mannschaft Kommunikationsprobleme gab, sondern auch zwischen den Spielern selbst. Die Flüchtlinge in Darfur gehören verschiedenen Stämmen an, und nicht alle kommen miteinander aus. Wie hast du die Teambildung gefördert? Wie hast du sie dazu gebracht, zusammenzuarbeiten?
Am ersten Abend hatten UNHCR und unsere Mitarbeiter die Idee, alle zu versammeln und sich gegenseitig in ihren Zelten zu besuchen. Eines der Lager wollte nicht mitmachen. Wir haben ihnen dann klargemacht, dass sie sich an das Programm halten müssen, um überhaupt spielen zu dürfen. Ich glaube, das war wichtig, um ein bisschen Zusammenhalt ins Team zu bringen. Wie hast du die Endauswahl vorgenommen? Ich schätze mal, fußballerisches Können war nicht das einzige Kriterium.
Ich sagte den Jungs: „Ihr seid für das Team hier, nicht für euch selbst.“ Wir begannen mit 60 Spielern und ließen sie ein paar Tage spielen, aber wir haben auch beobachtet, wie sie interagieren, wie sie auf und jenseits des Spielfeldes miteinander klarkamen. Und weißt du, als wir die endgültigen 15 aussuchten, wählten wir einen Spieler aufgrund seiner Führungsqualitäten, weil er mit allen zurechtkam und weil er seine Teamkollegen inspirierte. Er war ein echter Vereiniger—er war nicht mal der beste Spieler, oder so. Wir haben uns nicht nur auf‘s Fußballkönnen konzentriert, als wir das Team ausgesucht haben. Ein Fan von Tamil Eelam schwenkt eine Fahne der Tamil Tigers, der srilankischen Separatistengruppe.

Die Jungs, die es ins Team geschafft und für Darfur gespielt haben, haben sich doch bestimmt extrem gefreut, oder?
Ja, das erleben zu können! Für viele von ihnen war es nicht nur das erste Mal, dass sie auf Gras gespielt haben, es war auch das erste Mal, dass sie Schuhe getragen haben. Wir mussten ihnen die Regeln beibringen, weil es in Afrika selten Spielfelder gibt, die den Regeln entsprechen, deshalb geht der Ball nie ins Aus und das Spiel wird nicht unterbrochen. Es war eine riesengroße Erfahrung für sie, auf internationalem Level zu spielen und das weltweite Spiel kennenzulernen. Konnten die Fans den Spielen folgen?
Na ja, das ist schwierig. Es gibt kein Internet in Darfur und wenn, dann ist die Verbindung sehr schlecht. Wir haben ein paar politischen Anführern und Vertretern aus den Gemeinden mitgeteilt, ob wir gewonnen oder verloren haben, und die haben es dann verbreitet. Aber eigentlich war es vollkommen egal, ob wir gewonnen oder verloren haben, es ging vielmehr darum, dass Jungs aus den Lagern Fußball auf internationalem Level spielen und das Land Darfur repräsentieren. Das hat wahrscheinlich eine Menge für die nationale Identität getan.
Auf jeden Fall. Tausende haben uns beim Training zugesehen, vom ersten Tag an, bis wir nach Kurdistan geflogen sind. Und ich spreche hier von früh morgens. Um fünf Uhr morgens war der Platz umringt von Kindern, da waren Frauen, die sich extra für die Spieler fertig gemacht hatten. Es hat Darfur vereint. Das war mit Sicherheit ein Meilenstein. Was kommt als Nächstes?
Ich gehe wieder zurück und wir machen weiter. Die 15 Jungs, die im Team waren, sind jetzt wieder zurück in ihren Lagern und trainieren Kinder zwischen fünf und zwölf. Wir arbeiten auch mit den islamischen Würdenträgern zusammen, um Frauenfußball in Darfur zu entwickeln. Wir haben nicht sehr große Ressourcen, aber der Fußball braucht die auch nicht. Fußball ist das perfekte Werkzeug, um Teamwork und eine Gemeinschaft zu schaffen, harte Arbeit und Motivation. Und die Jungs stolz zu machen, egal, ob sie spielen oder nicht. Wie hat sich das Projekt finanziert?
Dank i-Act und Gabriel Stauring, er ist der Präsident und Mitgründer, aus L.A. Wir haben keine große Sponsoren oder Sponsoren aus der Wirtschaft, nur Freunde, Familienmitglieder und nette Leute, die an uns glauben. Fußball scheint ja echt Verbindungen zu schaffen.
Ja, es ist eine weltweite Sprache. Ich denke oft daran, dass ich in Afrika war, mit 60 Spielern, die sich gegenseitig nicht kannten und alle sprachen eine andere Sprache und ich habe nur einen Ball gebraucht, um alle zusammenzubringen.