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The Syria Issue

Wer unterstützt eigentlich noch Baschar al-Assad?

Auf einer Pro-Assad-Demo in Berlin bekennen die Regierungstreuen Farbe.

Fotos von Grey Hutton Diese Typen reisen durch ganz Deutschland, um an allen Pro-Assad-Demos teilzunehmen. 

Am 3. November fand am Alexanderplatz in Berlin eine Demonstration der Assad-Anhänger statt. Gewappnet mit syrischen Flaggen, Plakaten und Boxen, aus denen lautstark Musik und Sprechchöre drangen, zogen die rund 100 Demonstranten gemeinsam zum deutschen Außenministerium. Wohin man auch schaute, prangte ein stolzer und anmutiger Assad. Jenes Bild, das für mich, wie für viele andere auch, den Innbegriff eines blutrünstigen Diktators zeigt. Fast täglich steht sein Name neben den Worten Kriegsverbrechen, Massaker, Tötung von Zivilisten und Kindern. Aus den Medien weiß ich, wie brutal er gegen das syrische Volk vorgeht. 36.000 Menschen soll der Bürgerkrieg laut UN-Berichten nun schon das Leben gekostet haben und bis Ende dieses Jahres könnte die Zahl der Flüchtlinge auf 700.000 gestiegen sein. Ich hatte das Bild einer Regierung, die ihre Posten einfach nicht räumen will, und die ihre eigene Bevölkerung und Zivilisten zugunsten ihrer eigenen Macht opfert. Also was um Himmels willen, fragte ich mich, trieb diese Menschen auf die Straße, um für einen solchen Mann einzustehen? Ich traf Rocky, der mir erzählte, er sei extra für diese Demo angereist. Er lief an vorderster Front und gab sein Bestes, die Parolen aus voller Kehle mitzugrölen, leider sprach er aber kein Arabisch. Rocky ist Zigeuner und hat etwas gegen Rassisten, da er selber mal Neonazi war. „Der ist gegen Faschismus, verstehst’s? Ich bin hier, weil das alles meine Freunde sind, ich unterstütze die, verstehst’s?“ Rocky war jedoch nicht die einzige merkwürdige Gestalt auf dieser Veranstaltung. Ich unterhielt mich mit dem russischen Christen Vitali, auf dessen selbst geschriebenem Plakat „Assad tut Syriens Christen gut“ zu lesen war. Wie viele hier glaubte er, dass der Konflikt von den NATO-Staaten gesteuert wird. „Erst ist Syrien dran, dann der Iran und dann kommt Russland.“ Als Vitali sich dann als überzeugter Schwulenhasser entpuppte, begann ich an seiner Seriosität zu zweifeln. Kurze Zeit später traf ich eine elegante ältere Dame, die stolz ein kleines syrisches Fähnchen in ihren Händen hielt. Sie war der Auffassung, dass Syrien durch den Westen kolonialisiert wird. Auf meine Frage, ob sie Syrerin sei, antwortete sie: „Nö, ich bin Deutsche. Aber ich betone, dass ich aus der DDR komme. Nicht Westdeutschland, damit möchte ich nicht in einen Topf geworfen werden. Wir sind eine Kolonie der Bundesrepublik und mit denen will ich nichts zu tun haben.“  Für die syrischen Demonstranten gab es zwei Gründe, für die syrische Regierung an diesem kalten Tag auf die Straße zu gehen. Zum einen die Furcht vor einer möglichen Islamisierung, sollten die Rebellen die künftige Regierung stellen. Wie die meisten hier, war auch eine Syrerin, die extra aus Leipzig angereist war, der Meinung, dass der Krieg von Dschihadisten geführt wird. „Diejenigen, die in Syrien diesen Aufstand machen, sind fanatische Leute“, erzählte sie mir. „Jetzt sagen sie, sie wollen Demokratie, doch das ist bloß ein Vorwand, in Wirklichkeit wollen sie in Syrien einen Gottesstaat errichten.“ Sie war stolz, dass in Syrien für so lange Zeit eine—für muslimische Verhältnisse—doch sehr laizistische Politik vorgeherrscht hatte. Nada, eine aufgeschlossene sunnitische Muslimin, erzählte mir, „die Terroristen, die dort den Aufstand betreiben, sind diese Fanatiker aus der Moschee, die die Frauen und Mädchen zwingen Kopftücher zu tragen. Die meisten Syrer sind für Assad.“ Damit, dass die Zukunft der syrischen Minderheiten ungewiss ist, mögen die Demonstranten recht behalten. Amnesty International be­richtet, dass sich die Situation der Minderheiten in vielen Ländern nach dem Arabischen Frühling verschlechtert hat. Ich sagte Nada, dass ich nicht denke, dass eine Minderheitenregierung (Assad gehört selber einer Minderheit an) die Mehrheit unterdrücken dürfe. Ihre Antwort darauf: „Vielleicht können die Minderheiten in Syrien bloß friedlich leben, wenn eine Minderheit auch die Regierung stellt. Assad ist kein Engel, aber es gibt momentan keine bessere Alternative für Syrien.“

Auf dieser Demo trägt man entweder Flagge, ein Bild von Assad oder beides.

Der zweite Grund für den Protest war für viele Demonstranten die Annahme, dass der Konflikt durch die NATO-Staaten angefeuert wird, um den Nahen Osten zu destabilisieren. Sie sehen in diesem Konflikt einen Stellvertreterkrieg der USA. Ein Syrer, der sich eine Deutschlandflagge um den Körper gewickelt hatte, vertrat diese Meinung. „Die Destabilisierung Syriens wird vom Westen herbeigeführt, um dann den Iran zu schwächen“, erzählte er mir. Mein anfänglicher Eindruck, es hier mit einem Haufen Verschwörungstheoretiker zu tun zu haben, schwankte, je länger ich mich mit ihnen unterhielt. Am Alexanderplatz hatte sich mittlerweile eine Gegen­kundgebung eingefunden. Grimmig aussehende Polizisten hatten sich zwischen den beiden Lagern positioniert, ich schlängelte mich zwischen ihnen durch und fragte einen der Gegendemonstranten, warum er hier sei. „Die da drüben sind für einen, der Kinder töten lässt und sein Volk abschlachtet. Wir sind für die Freiheitskämpfer, wir sind für echte Demokratie.“ Ich war wohl nicht die Einzige, die die Situation verwirrte. Auch die Passanten schienen irritiert, Assads Bild hier so heroisch durch die Lüfte getragen zu sehen. Selbst einer der Polizisten, der zur Sicherung der Veranstaltung hier war, wusste offenbar nicht so recht, was er mit dieser Demonstration anfangen sollte. Er kam zu den Demonstranten rüber und fragte, warum sie für Assad auf die Straße gingen. Die Antworten konnte ich nicht genau verstehen, weil ein Schreihals auf Arabisch eine flammende Rede in das Mikrofon brüllte. Er bekam tobenden Applaus. Einer der Redner an diesem Tag war der Diplom-Politologe Said Dudin. Er wurde 1993 aus Syrien ausgewiesen und hatte bis 2005 Einreiseverbot, da die Beiträge des Journalisten und Autors dem Vizepräsidenten zu kritisch waren. Mittlerweile darf er das Land wieder bereisen, und erst vor wenigen Tagen war er von einem längeren Syrienaufenthalt zurückgekehrt. Am Ende der Kundgebung fragte ich ihn, warum er trotz der jahrelangen Ausweisung immer noch auf der Seite der Regierung stehe. „Ich verrate ihnen eine Sache“, begann er, „sie können 23 arabische Regierungen in der Pfeife rauchen, alle. Ich bin jetzt hier, weil ich den Frieden und Syrien verteidige. Ich möchte verhindern, dass das Mittelalter in Syrien wieder Einzug erhält, durch die Islamisten, die nichts weiter als Faschisten sind. Die unreflektierte Wahrnehmung der Deutschen ärgert mich einfach.“ Ich fragte ihn, ob er glaube, dass alle Rebellen Dschihadisten seien. Seine Antwort ließ mich an diesem kalten Tag verwirrt zurück: „Sie müssen zunächst einmal klären, ob sie den Unterschied zwischen Freiheit und Kartoffeln kennen.“