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Sex

Wie überleben Truckerinnen eigentlich in einer Männerwelt?

Ich bin mit einer Truckerin mitgefahren und habe alles über den Beruf als Frau in einem Männerbusiness erfahren: billige Anmachen, Truckerinnen, die sich am Parkplatz jemanden in die Fahrerkabine holen, Gefahren und perverse Kollegen, die sich über...

Ich kenne Nicol nicht, ich habe sie bloß über Facebook kennengelernt und gefragt, ob ich sie mal bei einer Fernfahrertour nach Lyon begleiten könnte. Sie hatte nichts dagegen. Ich fühlte mich wie auf einem Blinddate, als ich am Stuttgarter Hauptbahnhof auf Nicol wartete. Als sie kam, erkannte sie mich sofort und ich sprang schnell in ihr Auto. Sogleich begann diese lebensfrohe Frau zu plaudern und ich fand sie sofort sympathisch. Ich war erleichtert. Über 24 Stunden mit jemandem, den man nicht ausstehen kann, in einer klitzekleinen Kabine zu verbringen, ohne Fluchtweg: So stelle ich mir die Hölle vor.

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Wir fahren zu dem Depot der Speditionsfirma, für die Nicol arbeitet. Hier steht ihr LKW, den sie liebevoll Zimtzicke getauft hat. Das einzige Gefährt, das sich hier mit seiner blauen Farbe von den anderen LKWs abhebt. Mit einer gekonnten Leichtigkeit „brückt“ sie zwei Container auf den Laster, dann müssen wir noch an der Security vorbei und schon geht mein Roadtrip nach Lyon los.

Nach 20 Minuten Fahrt stehen wir im Stau. Nicols Fahrzeugkabine ist ziemlich sauber. Keinem anderen außer ihrem Mann und ihrem Kollegen Opi würde sie es gestatten, das Fahrzeug zu fahren. „Die Vorstellung, dass ein fremder Mann in meinem Bett liegt, ist einfach ekelhaft. Außerdem will ich nicht, dass irgendwer in meinen Sachen rumschnüffelt. Das geht niemanden was an.“ Der Truck ist sehr persönlich eingerichtet. Die Vorderseite ist beklebt mit Fotos ihrer Familie und ihrer Katzen. Der hintere Bereich outet Nicol mit vielen Bildern als Twilight-Fan. „Die Fahrerkabine ist fünf Tage die Woche mein Wohnzimmer, mein Esszimmer und meine Küche. Ich denke, keiner lebt gerne in einem Zuhause mit einer 0815-Einrichtung“, meint sie.

Vorne an der Scheibe sind Zwei Schilder. Auf dem einen steht „TEUFEL“, das ist der Spitzname von Nicols Mann und auf dem anderen „DARK ANGEL“. Im Gegensatz zu vielen anderen Truckern möchte Nicol nicht ihren richtigen Namen in der Frontscheibe haben, „weil man dann klar und deutlich erkennt, dass da eine Frau hinterm Steuer sitzt“, begründet sie. „Besonders als Frau bist du nachts auf Parkplätzen eher fällig, dass sie dir in die Kiste einbrechen. Vor allem im Sommer, wenn ich mit offenem Fenster schlafe, da kann das ruckzuck gehen, dass sie dir einen Schlauch mit Lachgas zur Betäubung ins Fahrzeug hängen. Und was passiert, wenn Kerle einbrechen und sehen, da liegt eine Püppi im Bett, die schon ganz weggetreten ist? Da hab ich keine Lust drauf und da ich international fahre, ist mir das Risiko einfach zu hoch.“

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Ein paar Tagen zuvor bin ich das erste Mal in einem LKW gefahren, mit Bianca. Den Beifahrersitz musste ich mir mit ihrer kleinen Hundedame Sissi teilen, die sogar ihr eigenes rosa Namensschild in der Frontscheibe hat.

Bianca ist in der Branche eine kleine Berühmtheit. Sie hat auf ihrer Facebook-Seite „Truckerlady Bianca“ mittlerweile schon über 8.000 Likes, außerdem hat sie eine Gruppe nur für Truckerinnen gegründet, „damit die Mädels sehen, dass sie gar nicht so alleine sind, wie sie oft denken.“

Vom Typ her könnten Bianca und Nicol kaum unterschiedlicher sein. Bianca stellt ihre Weiblichkeit gerne nach außen hin dar. Generell ist sie, vielleicht abgesehen von ihrem Beruf, ein klassisches Mädchen. Rein optisch hätte man sie mit ihrem rosa iPhone, ihrer rosa Kleidung, ihren künstlichen Fingernägeln und ihrer Model- und Reitvergangenheit am wenigsten hinter dem Lenkrad eines 40-Tonners erwartet.

Nicol möchte im Gegensatz zu Bianca ihre Weiblichkeit während der Arbeit weitestgehend verbergen. „Wenn ich am Wochenende mit meinem Mann zusammen bin, schminke ich mich und bin eine Frau. Aber wenn ich mit meinem LKW unterwegs bin, mache ich mich mit Absicht hässlicher, als ich bin. Dadurch habe ich meine Ruhe und kann meinen Job machen“, erklärt mir Nicol, während wir den Stau schon lange hinter uns gelassen haben und eine Tankstelle anfahren. Da Nicol über 600 Euro tankt, bekommen wir zwei Gratis-Kaffee, was mich freut.

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Sowohl Bianca als auch Nicol meinen, dass es an ihren Familien liegt, wenn Frauen in dieser Branche arbeiten. Die meisten Fahrerinnen sind mit großen Fahrzeugen aufgewachsen, weil der Papa gefahren ist oder die Familie eine eigene Spedition hat. So kamen auch Bianca und Nicol zu dem Job. Sie erzählt mir, dass es jetzt erst so langsam anfängt, dass sich auch Frauen für diesen Beruf interessieren, die damit eigentlich nichts zu tun haben. „Wir werden immer mehr“, meint Nicol. „Wir behaupten uns vor den Männern. Wir wollen ihnen zeigen, dass das, was für sie völlig normal ist, auch für Frauen völlig normal ist und dass wir diesen Job genauso gut machen können.“

In der Facebook-Gruppe, die Bianca extra zum Vernetzen der Fahrerinnen gegründet hat, sind mittlerweile schon 400 Kolleginnen.

Es war für mich nicht überraschend, dass mir beide Truckerinnen von viel Anfeindung, Diskriminierung, Sexismus und Mobbing erzählen können, aber das Ausmaß hat mich dann doch ziemlich erschreckt. Nicol erzählt mir von einer Situation, die ihr in Paris widerfahren ist: Sie lud auf einem Depot die Container von ihrem Laster ab und fuhr dann mit dem leeren Fahrzeug an einen Straßenrand. Plötzlich standen einige Männer, die ihr vom Depot gefolgt waren, an ihrer Fahrertür und wurden aufdringlich. Als Nicol sagte, sie sollen gehen, da sie jetzt schlafen möchte, kamen Sprüche wie: „Komm schon, ich helfe dir beim Einschlafen, bis hin zu: Ich fick dich richtig durch, und auch wenn du nein sagst, könnte ich es mir mit Gewalt nehmen.“ Obwohl Nicol nicht der Typ dafür sei, habe sie gelernt, in solchen Situationen Ruhe zu bewahren. Sie griff zu dem großen Hammer, der unter anderem für solche Situationen neben ihrem Fenster liegt, und drohte den Kerlen, die daraufhin abzogen.

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„Wenn du diesen Job machen willst und dich in diesem Beruf beweisen willst, oder auch in anderen Lebessituationen, die für dein Geschlecht oder für deine Ethnie nicht geschaffen sind, musst du mit diesen Widrigkeiten rechnen. Du musst lernen, wie du damit umgehst.“

Nicols Tattoo

Es ist 17 Uhr und wir kommen der französischen Grenze immer näher. Bianca sagte mir vorher, sie würde sich nie für die Nacht an die Straße stellen, sondern so lange fahren, bis sie einen sicheren, überwachten Parkplatz findet. Dass Bianca Schichten mit Übernachtung fährt, ist jedoch eher selten, und für Nicol, die mindestens vier Nächte die Woche in Industriegebieten verbringen muss, ist die Möglichkeit nicht gegeben, da die Parkplätze zum einen gegen Abend überfüllt sind, und zum anderen bedeutet langes Suchen weniger Schlaf. „Du musst dich halt auf dein Gefühl verlassen können, wo du dich sicher fühlst, obwohl du das nie selber unter Kontrolle hast“, meint Nicol.

Langsam geht die Sonne hinter den Hügeln unter. Wir beide genießen schweigend die letzten grellen Sonnenstrahlen auf unseren Gesichtern, bis Nicol die Stille unterbricht und sagt: „Das sind Momente, da ist man mit sich im Reinen. Ich weiß nicht, ob das jeder so empfindet, aber einige bestimmt.“ Nicol hat Recht, es ist wirklich beruhigend, wie dieses orangene Licht dich blendet, während du das monotone Geräusch des Motos hörst und sich das Fahrzeug dazu im Takt bewegt.

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Ihre Mutter war am Anfang gar nicht begeistert von diesem Entschluss. Nicol, die in der DDR geboren wurde, hat nach der Schule zunächst eine Ausbildung zur Hotelfachfrau beendet, jedoch war ihr schnell klar, dass das nichts für sie ist. „Ich habe damals als kleines Mädchen schon lieber an den Trabis rumgeschraubt, als mit meiner Mutter in der Küche zu stehen.“ Nach der Ausbildung hat das Schicksal Nicol dann mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen: Nicol erlitt drei Fehlgeburten, die für sie lebensbedrohlich waren. Und als wären Fehlgeburten nicht schon furchtbar genug, wurde bei ihr zu alldem noch Krebs diagnostiziert. Daraufhin ist Nicol in ein tiefes Loch gefallen. „Heute sehe ich die Sachlage anders, aber da sind ja auch Jahre ins Land gegangen“, sagt sie. „Ich wollte dann nur noch das machen, was ich will, egal was die Leute dazu sagen. Gott und die Welt haben auf mich geschissen, als ich das machen wollte, was zu einer Frau gehört, also scheiße ich jetzt auf sie. Dann fing ich an zu überlegen, was mein absoluter Traumberuf sei, und das ist nach wie vor LKW-Fahrer“, erzählt sie mir, während uns die funkelnden Lichter von Lyon immer näher kommen. Nicol klapperte dann alle Firmen im Umkreis ab, um einen Ausbildungsschein zu bekommen, damit das Arbeitsamt ihr den Führerschein finanziert. Sie bekam immer die gleiche Antwort: „Was? Du bist ein Mädchen, nein, das geht nicht.“ Schließlich, nach langem Suchen, wurde sie dann doch genommen.

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Um 22 Uhr erreichen wir das Depot im Lyoner Industriegebiet. Als ich mit aussteige, um die Papiere im Büro abzugeben, bemerke ich die Blicke der Männer, die hier rumstehen. Ich fühle mich total beobachtet. Jetzt müssen wir uns einen Schlafplatz suchen. An einer kleinen Straße neben Bahngleisen finden wir noch ein kleines Plätzchen, in das Nicol ihre Zimtzicke zentimetergenau einparkt. Gepinkelt wird hinter einem Busch an einer Hofeinfahrt. In der Fahrerkabine beginnt Nicol, Sachen umzuräumen.

Jetzt merke ich, wie eng es hier eigentlich ist, ich stehe ihr permanent im Weg. Das untere Bett hat Nicol zu einer Küche umgebaut, mit einem Tisch mit Gaskocher und zwei Sitzen. Ich fühle mich wie beim Campen. Heute gibt es Hühnersuppe, die wir gemeinsam aus dem Topf löffeln, und zum Nachtisch frische gezuckerte Erdbeeren, die Nicol aus Deutschland mitgebracht hat. Danach klappen wir die vermeintliche Wand aus, die sich als Bett entpuppt.

Wir beziehen die Betten und gegen 23.30 Uhr lege ich mich ins obere Bett und Nicol in das untere. Ich schlafe tief und fest, als der erste Wecker um 4.50 klingelt. Wir haben leider kein Wasser mehr zum Waschen und Zähneputzen, also muss ich warten, bis wir im Depot sind. Dass Nicols Kaffemaschine genau vor zwei Wochen ihren Geist aufgeben musste, ärgert mich jetzt.

Nicol telefoniert in der Frühe mit ihrem Mann, der die ganze Nacht nicht geschlafen hat. Er ist auch Fernfahrer und hat zur gleichen Zeit seinen Führerschein gemacht wie Nicol, dabei haben sie sich auch kennengelernt. Am Anfang war Nicol „höllisch eifersüchtig.“ „Wenn ich unterwegs gewesen bin, habe ich mich immer gefragt: Ist er jetzt in Frankfurt, ist er jetzt im Bett oder ist er jetzt bei einer Anderen? Das hat erst mit der Zeit nachgelassen.“

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Davon konnte mir auch Bianca ein Lied singen. „Wenn ich in der Disco jemanden kennenlerne, ist die dritte Frage nach ‚Wer bist du?‘ und ‚Woher kommst du?‘ immer: ‚Was machst du?‘ Hmm … Ich sage dann immer, dass ich für eine Spedition fahre, aber die hinterfragen das dann immer und wenn rauskommt, dass ich nicht bloß so einen kleinen Sprinter fahre, sondern einen 40-Tonner, sagen die Typen immer, sie finden das cool, melden tun sie sich dann aber nicht nochmal.“ Bianca erklärt das damit, dass sich die Männer in ihrer Männlichkeit gekränkt fühlen, wenn eine Frau diesen Männerjob ausführt. Sie findet das dumm und meint: „Trotz meines Jobs bin ich doch noch immer eine Frau, außerdem bin ich ja kein Mannsweib.“ Und das ist die hübsche Bianca mit ihren allzeit geschminkten blauen Augen keineswegs.

„Es gibt auch Männer“, erzählte sie mir, „die geben dann bei ihren Kumpels damit an, dass die eine Truckerin gebumst haben, aber eine Beziehung wollen die nicht. Manche denken, ich sei ein fahrender Puff, bloß weil ich ein Bett da hinten drin habe.“ Auch Nicol meint: „Wenn ich das wollte, könnte ich mir an jedem Depot einen anlachen, mit dem ich Spaß haben könnte, wenn ich das wollte, aber ich will das nicht, ich habe mich dagegen entschieden.“

Nicol zieht an ihrer Liquid-e-Zigarette. Sie hat früher zweieinhalb Schachteln am Tag geraucht und hat zum Glück nichts dagegen, dass ich im Fahrzeug rauche, denn Raucherpausen und Pinkelpausen werden außerplanmäßig nicht eingelegt. Bloß alle viereinhalb Stunden müssen wir die gesetzlich vorgegebene Ruhepause einlegen.

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Viele Trucker wissen allerdings, wie man diese Ruhezeit austrickst, bloß in eine Polizeikontrolle darf man dann nicht geraten, erzählt mir Nicol. Sie kann es gut verstehen, dass Trucker hier das Gesetz austricksen. Nicol wird, wie die meisten ihrer Kollegen, nicht pro Stunde bezahlt und „wenn man dann mal in einen Stau gerät und zehn Minuten vor dem Ziel noch eine 45 minütige Pause einlegen muss, ist das schon ziemlich ärgerlich.“ Ein weiteres Problem, dem die Trucker ausgesetzt sind, ist das Lohndumping. Nachdem wir uns an einer französischen Tankstelle mit französischem Käse eingedeckt haben, erzählt Nicol mir, dass sich Speditionen ihre Mitarbeiter immer öfter aus Tschechien holen, da die bereit sind, schon für 600 Euro im Monat zu fahren.

Sowohl Bianca als auch Nicol nutzen den Funk nicht allzu häufig, sie nutzen lieber ihre Handys zur Kommunikation. Manchmal hat Nicol aber schon den Funk eingeschaltet. „Ab und an kannst du da ganz spannende Geschichten mitbekommen. Das Witzigste ist eigentlich, wenn ich mich dann plötzlich in das Gespräch mit einklinke, dann herrscht sofort Totenstille, weil die auf einmal erschrocken sind, dass da eine Frau mit hört.“

Nicols Tattoo am Rücken

Als Bianca gerade erst ihren LKW-Führerschein mit 21 hatte, war die damals noch sehr Zartbesaitete erschrocken darüber, dass sich die Männer da am Funk über den besten Puff in der Gegend unterhielten und auch Details nicht ausließen. Als ich Nicol von Biancas damaligen Erlebnissen erzähle, sagt sie: „Ja, sowas ist gang und gäbe. Du hörst halt oft, wie die sich im öffentlichen Funk darüber unterhalten, wie sie am Wochenende ihre Alte durchgenommen haben oder wie sie sich mit ihr gestritten haben.“

Heute ist der Funk zu meiner Enttäuschung ziemlich ruhig. Ab und zu knistert eine Stimme, die von einem Stau oder von einer Kontrolle berichtet. Plötzlich hüpft Nicol von ihrem Sitz auf, zeigt auf ein Lastwagen auf der anderen Seite, der seine Lichthupe betätigt, und schreit: „Da ist er!“ Es folgt ein langes Hupen und eine bassige Stimme knistert aus dem Funkgerät „Na Mädels, alles klar bei euch?“ Es dauert nicht lange, dann reißt die Funkverbindung auch schon ab. „Das war jetzt das letzte Mal, dass ich meinen Mann sehe, dann erst wieder Freitagnacht.“ Heute ist Dienstag.