FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Wie ein schwuler Pfarrer die Welt ein bisschen besser macht

Peter Gabriel hat den Namen eines Popstars und das Herz eines Pfarrers. Letzteres ist er tatsächlich. Und schwul ist er auch.

Foto: Brian Snelson | Flickr | CC BY 2.0 (cropped)

Im Oktober dieses Jahres hatte der 43-jährige Priester Krzysztof Charamsa, bis zu diesem Zeitpunkt Mitarbeiter im Vatikan, sein Coming-out. Vor versammelter Presse, an der Seite seines Lebensgefährten, fiel ihm augenscheinlich eine kleine Felswand vom Herzen. Das Aberwitzige an der Geschichte ist gar nicht so sehr die Tatsache, dass die Bekanntmachung nahe des Piazza del Popolo stattfand—vielleicht ein bisschen—, sondern vielmehr der Umstand, dass Krzysztof Charamsa der erste Priester im Vatikan war, der diesen Schritt wagte. Er wurde umgehend suspendiert.

Anzeige

Der Klerus, so Charamsa, sei ohnehin überwiegend homosexuell. Und gleichzeitig, tragischerweise, überwiegend homophob. „Ja, man kann davon ausgehen, dass gut 20 Prozent der römisch-katholischen Priester schwul sind", sagt Dr. Peter Gabriel. Er hat den Namen eines Popstars, ist aber Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Hallein. Und eben auch schwul.

Im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche ist Sexualität eines Pfarrers für die evangelische Kirche kein Thema. Außerdem wählen Gemeinden ihre Pfarrer demokratisch. Ab 14 Jahren ist man wahlberechtigt, mögliche Anwärter bewerben sich und müssen sich anschließend einem öffentlichen Hearing stellen. In Hallein ist 2006 Peter Gabriel aus Delmenhorst einer von zweien.

Aus seiner Homosexualität macht er kein Geheimnis, schreibt es sogar noch in die Bewerbung. Klingt erst mal offensiv, und irgendwie witzig—Geburtsdatum, Familienstand, Besondere Kenntnisse, Sexualität? „Nein, man erwähnt natürlich eine Partnerschaft und bei mir ist das nun mal mein Mann. Meine Gemeinde hat ein Recht darauf, zu wissen, wie ich lebe."

Foto mit freundlicher Genehmigung von Peter Gabriel (dem Pfarrer, nicht dem Sänger)

Sein damaliger Kontrahent ist dreifacher Familienvater und Bilderbuch-Ehemann. Trotzdem wurde Peter Gabriel mit über 70 Prozent der Stimmen gewählt. Nicht weil er schwul ist, oder trotzdem, sondern weil die Gemeinde ihn einfach als passender empfand: „Schwul sein ist hier kein Kriterium für einen geeigneten Pfarrer." Natürlich gab es anfängliche Fragen, zu Anfeindungen oder abfälligen Äußerungen kam es aber nie. Diese ländliche Gemeinde in Hallein scheint eigentlich ziemlich super.

Anzeige

Obwohl ich mal Ministrant war, weiß ich nicht so richtig, wie ich einen Pfarrer, den ich nicht kenne, anreden soll. Königliche Päpstlichkeit? Euer Ehren? Wahrscheinlich irgendwas auf Italienisch. Umso schöner, wie schnell Peter mir ganz einfach das Du anbietet.

„Natürlich macht es mich traurig, wie in der römisch-katholischen Kirche mit schwulen Priestern umgegangen wird. Und die gibt es zuhauf." Aber warum will man dann überhaupt Priester werden? Warum entscheidet man sich als schwuler Mann für eine Institution, die einem verbietet, man selbst zu sein? Das ergibt für mich keinen Sinn. Selbsthass scheint ein essentieller Bestandteil im Leben von schwulen römisch-katholischen Priestern. „Der Beruf ist so attraktiv und so tödlich zugleich", so Peter.

Noisey hat sich Wiens schwule Partyszene angesehen.

„Einerseits entgeht man dadurch der ewigen Frage nach dem Heiraten." Als Priester muss man sich also vor Verwandten nicht dafür rechtfertigen, ledig zu sein. Dieses Leben nur deshalb zu wählen, nur um einer unangenehmen Antwort zu entgehen—die vermeintliche Attraktivität darin ist ziemlich subjektiv, aber sie ist real. „Andererseits ist es eine totale Männergesellschaft." Dieser Aspekt wiederum mag auf den ersten Blick auch nicht gerade fatal klingen. Beim Gedanken an ein Umfeld, das das eigene Sein jedoch als falsch abtut, wird aber schnell wieder klar, dass die römisch-katholische Kirche für schwule Männer eben kein Dating-Portal ist, sondern reine Selbstzerstörung.

Anzeige

Was machen dann die ganzen römisch-katholischen Pfarrer, die ein Coming-out erst gar nicht in Erwägung ziehen? „Solange man das nur ahnt und nicht wirklich weiß, ist ja auch immer alles OK", so Peter. Ich weiß recht schnell, wovon er redet und denke dabei an Priester und Bischöfe, deren Betthupferl quasi ein offenes Geheimnis sind. Jeder weiß es, nur ausgesprochen darf es halt nicht werden. Ein bisschen verlogen ist das schon.

Ein Coming-out als Geistlicher will ich mir gar nicht erst ausmalen. Das ist schon vor Familie und Freunden knifflig genug—vor jemandem wie, äh, Gott muss das noch mal extra schwierig sein. Das heißt, sofern man sich vor Gott überhaupt outen muss, ich weiß ja nicht. „Mir war immer schon klar: Gott liebt mich, so wie ich bin. Ich hatte nie das Gefühl, das würde nicht gehen. Ich wusste schon relativ früh, was mich geil macht—wenn ich mich selbst befriedigt habe, waren das eben nur Männer, an die ich gedacht habe."

Ich bin in einer römisch-katholischen Familie aufgewachsen und dementsprechend kurz entgeistert, dass ein Geistlicher überhaupt ein Wort wie „geil" in den Mund nimmt. Es stellt sich heraus, auch Pfarrer sind Menschen und haben so was wie sexuelles Empfinden. Irgendwie freut mich das. Meine Oma wäre vor Empörung aus ihren Schlapfen gekippt.

Mit dieser neuen Erkenntnis beschließe ich, mich in Gefilde zu wagen, die ich kurz darauf schon wieder bereuen würde. Aber ich muss einfach fragen. Auch wenn er Pfarrer ist. Sorry, Oma. „Hast du Grindr?" Ich möchte sofort darauf im Boden versinken. Peter weiß natürlich nicht, was ich meine, ich bin peinlich berührt und entschuldige mich verlegen. Was dachte ich mir bloß. „Aber ich bin auf GayRomeo und chatte dort auch mit Freunden", antwortet Herr Gabriel. Peter gewinnt im Leben. Was für ein guter Typ.

Anzeige

Dass der Mann von Peter Gabriel auch Peter heißt, klingt fast schon zu gut, um wahr zu sein. Er ist Fachinspektor für evangelischen Religionsunterricht—demnach teilen sich die beiden nicht nur den Vornamen und ein Tandem (wirklich), sondern auch noch ihren Glauben. Seit mittlerweile 24 Jahren sind Peter und Peter zusammen. 2001 wurden sie in Deutschland kirchlich und standesamtlich verpartnert, 2010 auch in Österreich. Die Liebe.

Wenn Peter nicht gerade damit beschäftigt ist, Pfarrer oder Ehemann zu sein, ist er als Seelsorge tätig. Dort betreut er Menschen, die sich gerade im Coming-out befinden oder eine Anlaufstelle brauchen. Auch Eltern, die mit der Sexualität ihrer Kinder nicht umgehen können, kommen auf ihn zu. Es sollte mehr solcher Ansprechpersonen in unmittelbarer Nähe geben, denke ich kurz.

Jemanden wie Peter als Pfarrer im Umfeld zu haben, macht jungen Leuten—vor allem am Land—schlicht und einfach bewusst, dass homosexuelle Menschen existieren. Es sorgt für Sichtbarkeit. Bemerkbar macht sich das vor allem auch in seiner Tätigkeit als Religionslehrer. „Meine Schüler würden niemals abfällig über Homosexuelle herziehen, weil sie wissen, dass es mich gibt." Der Gedanke an eine Schulklasse ohne Schwulenwitze ist ein guter.

Während Peter sein Leben so leben kann, wie er es möchte, sind seine Kollegen aus der römisch-katholischen Kirche weiterhin zum Schweigen gezwungen. Krzysztof Charamsa hat sich nicht zufällig kurz vor der Weltfamiliensynode in Rom—einer Versammlung der katholischen Kirche—für sein Coming-out entschieden. Eine erhoffte homosexuelle Revolution blieb aus, laut dem Abschlussbericht möchte man bestenfalls traditionelle Familien (homosexuelle Partnerschaften werden weiterhin nicht als solche anerkannt) mit homosexuellen Mitgliedern „begleiten". Am Ende liegt die Entscheidung darüber, was sich ändert, jedoch allein bei Papst Franziskus.

Ich frage Peter Gabriel, wenn er denn eigentlich mehr liebe—seinen Peter oder seinen Jesus. Er überlegt. Ich muss schmunzeln, schäme mich abermals für die Fragestellung. „Äpfel und Birnen", sagt er. Sein Mann würde das verstehen. Das sehe ich ein. „Aber glaubst du, du kommst in den Himmel?" „Klar."

Franz auf Twitter: @FranzLicht