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Wie ein Stripclub vom heiligen Geist erfüllt wird

Das Manor ist ein Stripclub, in dem jeden Sonntagnachmittag inbrünstig gepredigt wird.

Ein Stripclub namens The Manor in Guelph, Ontario, verleiht dem Konzept von Sünde und Vergebung eine ganz neue Bedeutung. Nach einem typischen Samstagabend im Club mit Titten und Alkohol wird am frühen Sonntagnachmittag ein Gottesdienst abgehalten. Es ist 13 Uhr. Auf der Bühne, auf der sich am Abend zuvor mehrere Frauen unter roten und blauen Lichtern entblößt haben, spielt jetzt eine vierköpfige Band Hits wie „Worthy is the Lamb" und „We believe", während Verehrer (von Jesus, nicht von Ärschen) die Gospelzeilen auf einem Fernseher angezeigt bekommen und wie beim Karaoke mitsingen.

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Jack Ninaber, ein nicht konfessionsgebundener christlicher Pastor, wurde von seiner Frau auf die Idee gebracht, den Gottesdienst im Stripclub abzuhalten, als sie 2013 am Manor vorbeifuhren. Sie hielten einmal die Woche einen Gottesdienst in ihrem nahegelegenen Haus ab, doch waren es mit der Zeit 35 Besucher geworden, sodass die beiden nach einem neuen Veranstaltungsort suchen mussten.

Jack gibt zu, dass er die Idee seiner Frau anfangs für verrückt hielt und nur darüber lachen konnte. Doch nachdem sie einen Dokumentarfilm (​The Manor, der 2013 das ​Hot Docs eröffnet hat), den Shawney Cohen, der Sohn des Besitzers gedreht hatte, sahen und herausgefunden hatten, dass an den Stripclub eine Übergangsunterbringung angeschlossen war, bekamen sie den Eindruck, dass die bizarre Location vielleicht doch funktionieren könnte.

Sue's Inn, die vorübergehende Unterkunft für die Armen, ist das persönliche Anliegen und Projekt von Manor-Inhaber Roger Cohen. Er wuchs selbst in Armut auf und wollte Menschen helfen, die es schwer hatten: denjenigen, die gerade von Drogen losgekommen waren, denen, die gerade aus dem Gefängnis entlassen worden waren, oder einfach nicht in der Lage waren, eine Kaution zu hinterlegen. In Anbetracht der Tatsache, dass 35 belegte Zimmer direkt an das Manor anschlossen, waren sich die Ninabers fast sicher, dass sie ein neues Publikum gefunden hatten.

Roger erzählte mir: „Ich dachte, die wären verrückt! Ich dachte, es gebe 1000 Gründe dafür, es nicht zu tun. Ich meine, es ist doch ein Stripclub! Ich nahm auch an, dass es negatives Feedback aus der Gemeinde geben würde."

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Nachdem sie monatelang mit Roger verhandelt hatten, hielten die Ninabers ihren ersten Gottesdienst Anfang 2014 im Manor ab. Es war Ostersonntag und ungefähr 75 Menschen kamen. Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, muss man sich um das ein oder andere Detail kümmern, wenn man einen Stripclub zeitweise in eine Kirche umwandeln möchte. Die Plakate von spärlich bekleideten Frauen mussten mit Jesus-Bildern abgehängt werden, die Stange musste desinfiziert werden, die Spiegel mit aufgedruckten Bildern von Stripperinnen mussten mit Vorhängen verhüllt werden und ein Billardtisch musste überdeckt und mit Mini-Sandwiches, Gugelhupf und Orangen gedeckt werden.

Ich gebe zu, dass ich wie Roger anfangs etwas skeptisch war. Ich wurde römisch-katholisch erzogen, doch als ein Lehrer von der Sonntagsschule mir am Anfang meiner Pubertät erzählte, dass ich in die Hölle kommen würde, wenn ich jemanden mit offenem Mund küsse, trieb mich das in den Atheismus. Mir wurde allerdings schnell klar, dass der christliche Gottesdienst, den die Ninabers abhielten, nicht weiter vom Katholizismus hätte entfernt sein können. Ich sprach mit einer der Besucherinnen, die ebenfalls katholisch erzogen worden war.

Ein eingeladener Prediger

Tiara Corrigan brachte einen unehelichen Sohn zur Welt und wurde daraufhin von ihrer katholischen Gemeinde gebeten, nicht mehr in die Kirche zu kommen. Der Gottesdienst im Manor war seitdem ihre erste alternative religiöse Erfahrung. Sie wurde wegen Brandstiftung zu einer Haftstrafe verurteilt. Als sie aus dem Gefängnis entlassen wurde, brauchte sie ein Dach über dem Kopf—und fand sich im Sue's Inn wieder. Als ein Zimmer im Erdgeschoss frei wurde (Corrigan sitzt im Rollstuhl), hatte sie Glück. Als sie einen der Flyer fand, die die Ninabers im Inn verteilt hatten, war ihr Interesse geweckt und sie fing an, die Gottesdienste zu besuchen. „Anfangs habe ich die Stange gar nicht bemerkt, aber irgendwann schaute ich richtig hin und dachte mir: ‚Oh, da ist ja eine Stange.'"

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Die Stange ist fest angebracht, weshalb die Gottesdienst-Organisatoren sich irgendwie damit arrangieren mussten. Nach der Eröffnungsmusik kam ein Gastredner auf die Bühne und schwang sich verspielt um die Stange herum, bevor er etwas sagte. Er war eindeutig enthusiastisch und war mit den Armen in der Luft im Club herumgelaufen, hatte (manchmal mit geschlossenen Augen) die Lieder mitgesungen und war offensichtlich auf einer Wellenlänge mit Gott. Wie das während der Gottesdienste von Ninaber so üblich ist, teilte der Mann seine eigene Geschichte über seinen Kampf mit Drogen und Alkohol mit den anderen Besuchern.

Jack: „Die Menschen erzählen uns, dass sie das Gefühl haben, dass sie anders gesehen werden, wenn sie eine [offizielle] Kirche betreten. Vielleicht haben sie nichts anzuziehen oder sie haben Tätowierungen und sie fühlen sie vorverurteilt—die Menschen schauen sie einfach schief an."

Ich lernte schnell, dass der Gottesdienst im Manor eine urteilsfreie Zone war. Als ich da war, trugen ungefähr 30 Menschen Jeans und setzten sich einfach irgendwo hin (auch in den VIP-Bereich). Eine Frau war mit ihrem Hund gekommen. Sogar ganze Familien mit ihren Kindern waren da (ich hätte nie gedacht, dass ich jemals Kinder in einem Stripclub sehen würde). Einer der Anwesenden hatte Jack zuvor einen verdammt coolen Pastor genannt und jetzt weiß ich auch warum. Eine Frau kam zu spät; statt sie böse anzustarren, begrüßte die Menge sie freundlich und Jacks Frau Sharon fragte ins Mikrofon: „Hi, wie geht es dir?" Außerdem gingen die Ninabers keineswegs davon aus, dass alle den Text von einigen der etwas kryptischeren Gospellieder und Bibelstellen verstanden, weshalb sie alles allgemeinverständlich erklärten. „Ich liebe dieses Lied, weil es mich daran erinnert, den heiligen Geist einfach einzuatmen", erklärte Sharon angeregt nach einem der Lieder. „Gott, ich atme dich ein und atme all den Mist aus—wir dürfen auf dieser Bühne Mist sagen. Wir sind authentisch."

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Als ich Jack nach den potentiellen moralischen Zweifeln fragte, die damit einhergehen können, dass man einen Gottesdienst in einer wortwörtlichen Lasterhöhle abhält, entgegnete er, dass es kein Problem für ihn sei: „Die Kirche besteht aus den Menschen, nicht aus großen, prunkvollen Gebäuden. Bei uns ging es nie um Regeln."

Einen Gottesdienst in einem Stripclub abzuhalten, war allerdings nicht gänzlich unproblematisch. Noch bevor sie anfangen konnten, mussten die Ninabers bei der Stadtverwaltung vorsprechen. Das Manor konnte nicht als religiöse Institution deklariert werden, weshalb sie darum kämpfen mussten, dass es als sozialer Dienst deklariert wird. Im Sommer, als auf dem Parkplatz des Manor in einem Ein-Personen-Pool Taufen durchgeführt wurden (Corrigan ließ sich ebenfalls taufen), folgten Beschwerden wegen Ruhestörung, die das Ordnungsamt auf den Plan riefen. Außerdem haben sie Streit mit der Kirche von gegenüber, deren Mitglieder den Gottesdienst der Ninabers kritisiert haben, weil sie angeblich keine „richtige Kirche" seien.

Trotz all der Kritik gab es auch schon Siege zu verzeichnen. Nicht nur hat Roger den Ninabers dabei geholfen, die Nutzungsänderung genehmigt zu bekommen, er hat im Oktober auch einige Dinge im Club verändert. Nachdem er gesehen hatte, wie viel Zeit die Ninabers brauchten, um all die Plakate im Club abzuhängen, entschied er sich dafür, große Rahmen anzubringen, sodass man Bilder einfach und schnell austauschen kann. Die Ninabers sind gerade dabei, ihre eigenen Plakate mit Bibelmotiven zu besorgen, die sie Sonntags dann in den Rahmen anbringen können. Allerdings müssen sie trotzdem noch das ein oder andere abhängen, zum Beispiel die durchsichtige Duschkabine, die die Tänzerinnen für Junggesellenabschiede verwenden. Heute wird sie von einem Wandteppich verdeckt, auf dem Jesus mit einem Apostel zu sehen ist.

Als der Gottesdienst um 15 Uhr vorbei war, beobachtete ich, wie der Club sich wieder in seine ursprüngliche, sündige Form verwandelte: Ein Schild zu Junggesellenabschieden tauchte wieder im Boxring des Clubs auf, ein Plakat mit einer Blondine mit offensichtlich operierten Brüsten und einem pinken Stringtanga kam wieder an seinen angestammten Platz, auf dem Fernseher, auf dem der Karaoke-Gospel angezeigt worden war, war wieder die Werbung für die „Whiskey Wednesdays" zu sehen. Als die Tänzerinnen gegen 19 Uhr zur Arbeit kamen, wartete schön ihr wöchentliches Präsent von den Gottesdienst-Veranstaltern auf sie: ein Vase mit Blumen im Umkleideraum.