Hirnschäden, Taubstummheit und Struma—wie ein See ein thailändisches Dorf krank machte
Da, eine 64-jährige Frau mit vergrößerter Schilddrüse aus Ban Mae Toen. Fotos: Autorin Ana Salvá

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Hirnschäden, Taubstummheit und Struma—wie ein See ein thailändisches Dorf krank machte

Eine alte Fluorid-Mine verseucht das Grundwasser Ban Mae Toens. Die gesundheitlichen Schäden betreffen ganze Generationen.

Ban Mae Toen ist ein kleines, ländliches Dorf in der thailändischen Provinz Lampang, knapp 480 Kilometer von Bangkok entfernt. Zum Leidwesen der Einwohner befindet sich auch eine Fluorid-Mine in der Nähe. Auch wenn die Mine vor 40 Jahren geschlossen wurde, schuf man in der Gegend einen künstlichen See, der während der Regenzeit überläuft. Da es keine anderen Quellen gibt, haben die Leute jahrelang das Wasser des Sees getrunken. So wurde Ban Mae Toen zu einem sehr kranken Dorf-und das schon seit drei Generationen: Kinder können an Hirnschäden, Taubstummheit oder langsamer Hirnentwicklung leiden, während vor allem bei älteren Frauen die Schilddrüse vergrößert ist. Das war auch schon bei ihren Eltern der Fall.

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Da ist 64 Jahre alt. Mit 34 trank sie das Wasser aus dem See, woraufhin die Schilddrüse in ihrem Hals massiv anschwoll. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als Struma. Laut Da bereitet ihr das Ganze keine Schmerzen, es sieht bloß schrecklich aus.

„Meine Schilddrüse macht mir schon seit einiger Zeit Probleme. Ich habe mich aber daran gewöhnt. Ich kann Zuhause arbeiten und es tut nicht weh. Ich kann mich im Dorf frei bewegen", sagt Da.

Als die Schwellung begann, hat sich Da keine wirklichen Gedanken darüber gemacht. Sie ging gar nicht erst zum Arzt, weil sie bereits wusste, was los war. Schon in jüngeren Jahren konnte sie ähnliche Beulen am Hals ihrer Mutter und an den Hälsen von anderen älteren Dorfbewohnern beobachtet. Alle hatten das Wasser aus dem See getrunken.

„Die Schwellung war bei meiner Mutter ähnlich, bloß kleiner", sagt Da. „In den letzten 20 Jahren ist meine Struma nicht gewachsen. Mein Arzt sagte mir, dass er sie entfernen könnte. Das will ich aber nicht. Ich bin schwach und verblute vielleicht." Da ist zur Zeit als Haushälterin angestellt und hat drei erwachsene Kinder, die völlig gesund sind. Von der Regierung bekommt sie keine finanzielle Unterstützung-die bekommt niemand, der durch das Wasser des Sees vergiftet wurde.

„Ban Mae Toen hat das Problem, dass das für's Essen und Kochen verwendete Grundwasser mit Fluorid verseucht ist", erklärt Dr. Chatpat Kongpun, ein Mitarbeiter des thailändischen Gesundheitsministeriums. „Bei einem Teil der jüngeren Generation sind noch gesundheitliche Probleme zu beobachten, aber die sind nicht so schwerwiegend wie die der älteren Leute."

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In Thailand und anderen südost-asiatischen Ländern ist fehlendes Trinkwasser ein ernsthaftes Problem, denn dort regnet es normalerweise nur zwischen Mai und Oktober, also während der Monsunzeit. Deswegen greifen die Bewohner von Ban Mae Toen auf das Wasser des Sees zurück.

2007 veröffentlichte die australische Universität von Tasmanien einen Bericht, laut dem von den damals 1092 Einwohnern des Dorfes 11,2 Prozent einen angeschwollenen Hals wie Da hatten. Ein Großteil der weiteren Bewohner litt unter anderen Beschwerden. Ein Drittel der Männer und zwei Drittel der Frauen über 45 hatten verkrüppelte Extremitäten. Zwölf Menschen konnten gar nicht laufen, 21 fiel das Gehen schwer und 65 Prozent hatten verfärbte Zähne.

Der Bericht nennt Jod-Defizit als Ursache der Gesundheitsprobleme. Es wird gesagt, dass das Trinken von mit Fluorid verseuchtem Wasser die Aufnahme von Jod behindert. Das Element ist allerdings nötig, damit der menschliche Körper-vor allem das Gehirn und die Schilddrüse-ordentlich funktioniert. Wenn der Schilddrüse nicht genügend Jod zugeführt wird, muss sie mehr arbeiten und schwillt deswegen an. So entsteht eine Struma.

Während den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft ist Jod besonders wichtig für die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems der Babys. „Bei schwangeren Frauen, die kontaminiertes Wasser getrunken haben, können die Föten später an Gehirnschäden, Taubstummheit und geistigen Behinderungen leiden", sagt Pornthida Padthong. Sie war bis 2013 verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit bei UNICEF Thailand und hat auch schon in Ban Mae Toen gearbeitet.

Um die durch das Fluorid verursachten Probleme des Dorfes zu lösen, hat der australische Wohltätigkeitsverein Rotary Club of D'Entracasteaux of Tasmania dort im Jahr 2003 ein Wasser-Speichersystem eingeführt und die Dorfbewohner mit Behältern zum Auffangen von Regenwasser versorgt. Der Verein hat auch den oben genannten Bericht finanziert.

„Der Hauptspeicher von Ban Mae Toen kommt von einem Bohrloch drei Kilometer nördlich des Dorfes. Seit 2003 sind die Häuser mit ihm verbunden", erzählt Neil McGlashan, der auch den Bericht verfasste. Zusätzlich wurden auch noch ganze Säcke voller Jodsalz an die Bewohner verteilt.

Offiziell trinkt niemand mehr das Wasser des Sees. Laut eines Berichts der Organisation aus dem Jahr 2007 reicht die Wasserversorgung möglicherweise aber nicht aus, um die Leute durch einen ganze Trockenperiode zu bringen. „Als ich letzte Jahr im Dorf gearbeitet habe, litten ungefähr 50 Prozent der Schwangeren noch immer an Jodmangel", erklärt Pornthida Padthong. Sie deutet damit an, dass sich die Bewohner von Ban Mae Toen auch heute immer noch selbst vergiften könnten.