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Wie eine Waschmaschine funktioniert

Wie mich meine dreckige Wäsche dazu brachte, Flüchtlingen zu helfen.

Foto via: speed queens family | photopin | CC

In den letzten Monaten und Jahren hat sich in Europa viel verändert. Immer mehr Menschen benötigen unsere Hilfe und Unterstützung–in welcher Form auch immer. Manche Menschen stehen an Bahnhöfen und versorgen Neuankömmlinge, manche organisieren Unterkünfte und Essen. Und dann gibt es noch die alltäglichen Situationen, die so klein sind und oft doch so viel bewirken. Dieser Text beschreibt eine dieser Situationen.

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Ich besitze keine Waschmaschine und bei uns im Haus ist das Gerät in der Waschküche defekt. Ich suche also den Waschsalon bei uns im Siebten auf. Da sind eigentlich immer die gleichen Leute, egal, an welchem Abend man hingeht. An diesem Abend stehen drei junge Männer, die noch nie da waren, vor den Waschmaschinen und wissen nicht so recht weiter und vor allem nicht, wohin mit ihrer Unsicherheit. Die Frau, die keine Zähne mehr hat, starrt woanders hin. Der ältere Mann starrt die Frau an. Ich starre auf mein Smartphone.

Einer der jungen Männer tippt mich an und zeigt auf die Waschmaschine. Ich zeige auf die Trommel, dann auf den Automaten und mache mit Daumen und Zeigefinger das internationale Zeichen für Geld. Er tippt mich noch einmal an.

„Show. Please."

Ich helfe ihm, seine Wäsche in die Trommel zu werfen. Ich führe seinen Geldschein in den Automaten, entnehme das Waschpulver, kippe es in das richtige Fach und wähle, nachdem wir uns nicht darauf einigen können, dass 40 oder 60 keine Zeitangaben sind, das 40 Grad-Programm. Damit machst du nie was falsch.

Das gleiche mache ich für seine zwei Begleiter. Den gesamten Prozess, Wäsche, Automat, Pulver, Start.

„Syria?", frage ich.
„Iraq", antworten sie.

Dann warten wir. Als meine Wäsche fertig ist, verabschiede ich mich. Alle drei umarmen mich. Sie geben mir das Gefühl, gerade das Größte vollbracht zu haben und ich fühle mich doof. Sie führen ihre rechte Hand zur Brust, einer sagt: „Brother." Der andere: „Özil." Man kann von Fußball halten, was man will, aber am Ende des Tages, jenseits von Krieg und Frieden, sagt der Name eines Fußballers mehr als 100 Jahre Diplomatie.

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Die Maschinen in unserer Waschküche funktionieren wieder. Ich bin gestern Abend trotzdem wieder in den Waschsalon gegangen. Wirtschaftlicher Wahnsinn, 5,50 Euro kostet eine Ladung, aber was soll's. Ich dachte mir, vielleicht ist da wieder jemand, der das Mittelmeer und die ungarische Grenze überlebt hat, aber nicht weiß, wie die Waschmaschine in einem Waschsalon funktioniert. Gestern waren da ein syrisches Ehepaar und zwei junge Männer aus dem Irak. Ich setzte mich hin, starrte auf mein iPhone.

„Speak Arabic?", fragt einer der jungen Männer, das syrische Paar gesellt sich dazu. Nein, leider nicht. Aber ich weiß, wie die Waschmaschine funktioniert. Zum Abschied die Hand aufs Herz. Brother. Ich fühle mich wieder doof, aber diesmal schon ein bisschen weniger.

Ich bin Asperger. Zwischenmenschliche Kommunikation ist eine Fremdsprache für mich, soziale Interaktionen ein Graus. Ich spreche nicht Mensch. Menschen sind die größte Herausforderung meines Alltags. Für mich ist es ein unvorstellbarer Horror, mich fremden Menschen aussetzen zu müssen.

Ich habe es mir mühsam aneignen müssen, simpelste Kommunikation zu betreiben. Sogar enge Freunde und Arbeitskollegen überrascht das, aber das ist nicht weiter verwunderlich. Ich bin sehr gut darin, Unfähigkeit zu überspielen und meine Profile in den sozialen Medien meinem superironischen, souveränen Alter Ego zu überlassen. „Fake it 'til you make it" war das erste, was ich in der Grundschule gelernt habe. Bloß nicht unangenehm auffallen. Ich nenne es Verdrängung, meine Therapeutin sagt dazu: Anpassungsfähigkeit.

Ich habe allergrößten Respekt, fast schon Ehrfurcht, vor den vielen großartigen Menschen, die sich aufopferungsvoll und persönlich vor Ort um Flüchtlinge kümmern. Meine größte Leistung bislang bestand darin, Kleidung auszumisten und in Taschen zu packen. Und auf meiner TAN-Liste die richtige Zahl rauszusuchen und Geld zu überweisen. Ich kann nicht fremde Menschen bei mir aufnehmen, ich kann mich nicht auf fremde Menschen einlassen und ihnen zuhören, ich kann nicht stundenlang an Bahnhöfen stehen, Menschen empfangen, Wasser reichen, Hände schütteln, gemeinsam weinen, helfen, da sein, spüren, das packe ich alles nicht, das kann ich nicht.

Aber was ich kann, ist erklären, wie eine Waschmaschine funktioniert.

Misha Anouk ist deutscher Autor und treibt sich auch auf Twitter herum: @mishaanouk